Es begann Ende Februar. Betreiber von Windanlagen meldeten, ihre Stationen nicht mehr erreichen zu können. Es fließe zwar noch Strom, aber eine Fernsteuerung sei nicht mehr möglich, hieß es. Der Grund war schnell gefunden: Ka-Sat-Satelliten des US-amerikanischen Unternehmens Viasat sendeten nicht länger, die Leitung war tot. Später stellte sich heraus: Hinter der anhaltenden Störung steckte eine russische Malware namens "Acidrain" ("Säureregen"), welche die Modems der Nutzenden irreparabel beschädigt hatte.
Als Folge war nicht nur die Kommunikation gestört, sondern rund 5800 Windräder rotierten führungslos vor sich hin, ließen aufgrund mangelnder Optimierung des Betriebs massenhaft Kilowattstunden liegen. Um die Störung aus der Welt zu schaffen, musste Viasat 30.000 Modems ersetzen, da die alten Geräte nicht mehr zu retten waren.
Das eigentliche Ziel war die Ukraine
Das Windkraft-Problem war aber nur ein Effekt der zerstörten Modems – denn über Ka-Sat erreichen auch Privatpersonen und Unternehmen das World-Wide-Web. Laut Viasat betraf der Hack Tausende Menschen in der Ukraine und Zehntausende Anschlüsse in ganz Europa.
Sehr früh kam der Verdacht auf, Russland stecke dahinter. Der Zeitpunkt der Störung passte, denn am 24. Februar begann die Invasion der Ukraine. Doch erst jetzt bestätigen sowohl die USA als auch die EU, dass diese Theorie den Tatsachen entspricht.
US-Außenminister Antony Blinken erklärte gegenüber der Nachrichtenagentur "Reuters", der Cyberangriff habe darauf abgezielt, "die ukrainische Befehls- und Kontrollstruktur während der Invasion zu stören." Die Auswirkungen auf Netzwerke außerhalb der Ukraine seien offenbar ein Nebeneffekt gewesen, den Russland nicht beabsichtigt, aber in Kauf genommen habe.
Über die genauen Folgen für die Sicherheitskräfte der Ukraine schweigen sich die Länder aus, "Reuters" erklärt jedoch, dass Ka-Sat für die dortige Polizei und auch das Militär eine wichtige Rolle spielt – beziehungsweise spielte.
Auch Starlink steht unter Druck
Vielleicht auch deshalb war der Ruf nach einer Alternative zu Ka-Sat sehr früh sehr laut, denn auch irdische Leitungen litten stark unter dem Angriff, im Zuge der Invasion leitete Russland ganze Regionen der Ukraine über das eigene Land ins Internet, gewann so Kontrolle über das, was die Menschen dort sehen können und sagen dürfen (hier erfahren Sie mehr).

Bereits Ende Februar schaltete sich auf Bitten des ukrainischen Digitalministers Mychajlo Fedorow US-Milliardär Elon Musk ein. Er machte sein Satelliten-Internet Starlink für das Land verfügbar und schickt bis heute immer mehr Bodenstationen in das Land. Noch vor wenigen Tagen hieß es, mehr als 150.000 Menschen profitieren davon täglich – inzwischen könnten es nochmal mehr sein.
Wie das in der Realität aussieht, zeigte Fedorow am achten Mai auf Twitter. Die Bodenstationen werden mit langen Kabeln am Straßenrand aufgestellt, in gebührender Entfernung nutzen die Menschen den Zugang in ein freies, unzensiertes Netz. Der Abstand zwischen Mensch und Satellitenschüssel ist deshalb so wichtig, da sich die Bodenstationen orten lassen und mit Angriffen russischer Truppen gerechnet werden muss.
Doch wie lange Starlink noch so reibungslos funktioniert, ist unklar. Denn Ka-Sat war offenbar nur der Anfang, lässt ein Tweet von Elon Musk vermuten. Auf den Bericht, dass die EU und die USA Russland nun offiziell beschuldigen, die Satelliten angegriffen zu haben, schrieb er: "Starlink hat den russischen Cyberwar-Störungs- und Hacking-Versuchen bisher widerstanden, aber die Russen verstärken ihre Bemühungen."
Eine digitale Front auf beiden Seiten
Auch Russland steht an digitaler Front unter Druck. Das Hacker-Kollektiv Anonymous veröffentlicht beinahe täglich Berichte über Ziele, die in Russland gesperrt, vom Netz genommen oder um ihre Daten gebracht worden sind. Eine Zusammenfassung der Aktivitäten lesen Sie hier.
Quelle: Reuters