Bodenoffensive Schwammbomben, Bunkerbrecher und Gas – so werden Bunker und Tunnel der Hamas zu Todesfallen 

Soldaten der IDF über für den Tunnelkampf
Soldaten der IDF über für den Tunnelkampf
© IDF
Das größte Hindernis für die israelischen Streitkräfte bei der Invasion des Gazastreifens ist das Tunnelsystem der Hamas. Um die Geiseln zu befreien, könnte ein Israel eine Operation wählen, die 2002 in Moskau zu einer Tragödie führte.

Tunnel, Stollen, Bunker oder Höhlen haben schon immer geholfen, den Widerstand der Verteidiger zu festigen, weil sie hier sichere Rückzugsräume hatten und geschützte Vorräte anlegen konnten. Nur eines durfte nie passieren: Die Verteidiger durften nicht die Oberfläche über ihren unterirdischen Anlagen verlieren. Schon im Mittelalter und davor gab es eine einfache Methode, unterirdische Stützpunkte zu bekämpfen: Sie wurden ausgeräuchert. An den Stellen, wo die Höhle oder die Anlage Zugang zur Luft hatte, wurden große Feuer entfacht. Rauch, Hitze und Sauerstoffmangel besorgten dann den Rest.

Die Betonung beim Wort Tunnelsystem liegt auf dem zweiten Hauptwort, dem System. Im Straßenkampf nutzen die Bunker, Unterstände und Stollen vor allem dann, wenn sie verbunden sind und die Verteidiger sich vom Gegner unbemerkt bewegen können. Um das System auszuschalten, muss nicht jeder Tunnel und jeder Bunker zerstört werden. Es genügt, wenn die Verbindungsadern an vielen Stellen gekappt werden und das große System in kleine Segmente zerfällt.

Zerstörung der Verbindungen

Im Gazastreifen bereitet Israel derzeit die Bodenoffensive vor, dabei wird das Tunnelsystem durch Bombenangriffe kontinuierlich abgenutzt. Häuser werden bombardiert und so werden die Ein- und Ausstiege in den Kellern verschüttet. Dazu setzt die israelische Luftwaffe spezielle Bunkerbrecher ein. Sie durchbrechen die Erdoberfläche, bohren sich in die Tiefe, zerschlagen selbst meterdicken Beton und explodieren tief unter der Erdoberfläche. Typische Zeichen sind zerbrochene Straßen im Gazastreifen, bei denen die zerborstenen Trümmer der Fahrbahn von unten hochgedrückt wurden. Israel nutzt die MPR500 von Elbit System, die Bombe durchschlägt einen Meter verstärkten Beton oder vier Schichten zu 20 Zentimetern.

Da die Hamas-Terroristen sich nicht offen zeigen können, ist es nicht möglich, derartige Schäden instand zu setzen. Solange die Luftwaffe weitere Ziele findet, ist es sinnvoll, mit einem massiven Einsatz von Bodentruppen zu warten. Die Luftschläge setzen der Hamas jeden Tag zu, ohne zu Verlusten der israelischen Truppen zu führen. Wichtig dabei: Israel nutzt so die Fähigkeiten der Hamas ab, ohne dass die Terroristen begonnen haben, die Geiseln zu töten.

Vater und Mutter aller Bomben 

Obwohl die Angriffe wenig Rücksicht auf die Zivilbevölkerung nehmen, sind andere Methoden der Bunkerbekämpfung tabu. Sowohl Russland als auch Amerika besitzen Bomben, die die Wirkung einer taktischen Atomwaffe erreichen. Die amerikanische "Mutter aller Bomben" basiert auf einem anderen Prinzip als der (noch stärkere) russische "Vater aller Bomben", die Wirkung ist aber die Gleiche.

Die USA haben 2017 die "Mother of all Bombs" gegen eine unterirdische Bunkeranlage eingesetzt. Diese Waffen dringen nicht wie ein Bunkerbrecher in die unterirdische Festung ein, sie wirken wie Thors Hammer, der auf den Boden schlägt. Die Druckwelle zerstört die inneren Organe von Menschen, Stollen und Bunker werden von ihr einfach eingedrückt. Tiefe Bunker können den Einsatz überstehen, nach der Explosion besitzen sie aber keinen Zugang zur Oberfläche. Auf der Oberfläche ist die Wirkung verheerend, daher ist es unwahrscheinlich, dass derartige Waffen, die ganze Bunkersysteme auf einmal zerstören, eingesetzt werden.

Bauschaum statt Granaten

Auch für den Kampf unter der Erde bereiten sich die israelischen Soldaten vor. Und durchaus anders als in früheren Kriegen. Im Ersten Weltkrieg wurde unter Tage mit Totschlägern und speziellen Haumessern gekämpft. Im Zweiten dann mit Flammenwerfern. Die IDF hat für den Tunnelkampf eine sogenannte "Schwammbombe" entwickelt. Sie arbeitet wie eine Art Super-Bauschaum. Statt zu explodieren und so einen Tunnel zum Einsturz zu bringen, verstopft sie den Hohlraum mit einem schnell bindenden aufgeschäumten Kunststoff.

Die Funktionsweise ist ist sehr simpel: In einem Behälter befindet sie ein Beutel, in ihm sind zwei weitere Behältnisse, die unterschiedliche Chemikalien enthalten. Wird der Beutel geworfen oder anderweitig beschädigt, vermengen sich die Substanzen und die Reaktion läuft ab. Das ist kein High-Tech, aber doch sehr wirkungsvoll, denn durch das Stopfen wird der Tunnel nutzlos. Die "Schwammbombe" erzeugt keine Druckwelle. Aus demselben Grund wurden im Zweiten Weltkrieg auch Flammenwerfer benutzt. Die Schwammbombe kann von eigenen Soldaten in einem engen Raum benutzt werden, ohne dass die Explosion sie selbst tötet. In Tunnelanlagen wirken Druckwellen verheerend, weil das detonierende Gas anders als an der Oberfläche nur wenig Raum findet, um sich auszudehnen.

Es gibt eine breite Palette von Anwendungen solcher Ladungen. Die eigene Truppe kann so wirkungsvoll ihre Verfolger abschneiden, sie kann den Gegner durch Schaumsperren immer weiter einengen. Solche Ladungen können von Robotern platziert werden, um das Tunnelsystem unbrauchbar zu machen. Man kann von der Oberfläche aus Löcher in den Boden treiben und die Tunnel dann ausschäumen.

Gas zur Geiselbefreiung

Ein Tunnelsystem ist als militärische Anlage also nicht unbesiegbar, es kann sogar zur Falle werden. Doch die israelischen Streitkräfte stehen vor besonderen Herausforderungen: Die Hamas hat ihre Geiseln in die Tunnel verschleppt. Darum können die rein militärischen Gewaltmittel nicht eingesetzt werden, wenn man das Leben der Geiseln nicht opfern will.

Doch auch das Eindringen in die Tunnel, um die Geiseln zu befreien, ist unsicher. Auch hier ist zu erwarten, dass sich die Hamas-Terroristen vorbereitet haben und die Geiseln töten, bevor sie befreit werden. Denn ein schneller, lähmender Einsatz dürfte in dem unterirdischen Labyrinth kaum möglich sein. Das Portal Middle East Eye zitiert eine anonyme Quelle mit einem Lösungsplan, der darauf basiert, die Tunnel mit einem lähmenden Gas zu fluten.

"Der Plan basiert auf dem Überraschungsmoment, um die Schlacht durch den Einsatz international verbotener Gase, insbesondere Nervengas, und chemischer Waffen, entscheidend zu gewinnen. Große Mengen Nervengas würden in die Tunnel gepumpt", schreibt das Portal. Es soll mit Hilfe von US-Spezialsten "große Mengen Nervengas in Hamas-Tunnel gepumpt werden, die in der Lage sind, die körperliche Bewegung für einen Zeitraum zwischen sechs und zwölf Stunden lahmzulegen."

In dieser Zeit könnte man die Geiseln retten und die Hamas-Kämpfer töten. Die Qualität der anonymen Quelle kann man bezweifeln, aber der Einsatz von lähmenden Kampfgasen ist sicher eine Option. So eine Operation hat man 2002 in Moskau versucht. Bei einer Geiselnahme im Moskauer Dubrowka-Theater hatten 40 bis 50 islamistische Terroristen damals 850 Menschen in ihre Gewalt gebracht. Russische Spezialsoldaten pumpten ein Gasgemisch aus Carfentanyl und Remifentanil in das Theater.

Das Ergebnis war fatal, denn die Russen hatten die Wirkung des Gases unterschätzt. 125 Geiseln sollen an dem Gascocktail gestorben sein. Aber den Terroristen gelang es nur, fünf Geiseln zu töten, bevor sie ausgeschaltet wurden. Findet man ein ebenso wirksames, aber weniger schädliches Gas, ist diese Methode vielversprechend. Angesichts der Größe der Tunnel und der Zahl der Geiseln, dürfte der Überraschungseffekt nur teilweise gelingen. Ein Teil der Geiseln wird vermutlich sterben. Dieses Risiko wird Israel aber nie ausschließen können.

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