In der Ukraine werden Kampfpanzer und gepanzerte Fahrzeuge reihenweise abgeschossen. Russland soll insgesamt über 2000 gepanzerte Fahrzeuge aller Art verloren haben. Kühne Durchbrüche und tiefe Schnitte gelingen den Panzereinheiten dagegen gar nicht. Es scheint, als ginge das Zeitalter der Panzer zu Ende. Es begann gegen Ende des Ersten Weltkrieges und dauerte über hundert Jahre an. Was ist heute im Krieg gegen die Ukraine neu? Zwei Dinge setzten den stählernen Ungetümen zu. Das eine sind infanteristische Panzerabwehrwehrwaffen aller Art, darunter auch hochmoderne Lenkwaffen. Und das andere Moment sind Drohnen. Drohnen, die Panzer direkt bekämpfen oder aber die nur ihre Position exakt ausmachen können. Beide "Gegner" sind nicht komplett neu – aber die Art ihres Auftretens gab es so noch nie in einem Krieg.
Panzerabwehr im Zweiten Weltkrieg
Zu Beginn des Zweiten Weltkrieges konnten Kampfpanzer nur durch andere Kampfpanzer und spezielle Kanonen abgeschossen werden. Mit Zunahme der Panzerung wurden die Abwehrkanonen immer größer, "der" Klassiker ist die deutsche "Acht-Acht". Infanteristen konnten sich der Panzer kaum erwehren. Nur in selbstmörderischen Angriffen konnten sie versuchen, Minen am Fahrzeug anzubringen oder mit einem Bündel von Handgranaten die Ketten abzusprengen oder mit dem Molotow-Cocktail – ein Ölgemisch – das Fahrzeug in Brand zu setzen. Im Laufe des Weltkrieges änderte sich das. Tragbare Waffensysteme wie Bazooka oder Panzerschreck konnten die Metallarmierung der Panzer durchschlagen. Möglich wurde das durch eine andere Form der Munition. Die Panzerung wurde nicht durch die Wucht eines Hartgeschosskerns zerstört, sondern durch eine Art von gerichtetem heißen Plasmastrahl aufgeschweißt. Auf diesem Prinzip basieren noch heute die meisten Panzerabwehrwaffen. Doch im Zweiten Weltkrieg war die Reichweite dieser Waffen gering und die Wirkung begrenzt. Wenn die Panzer im Gefecht von Infanteristen begleitet wurden, war es schwer, mit einer Panzerfaust – effektive Reichweite zwischen 50 und maximal 100 Metern – einen Abschuss zu erzielen.
Zeitenwende mit dem Jom-Kippur-Krieg
Erst mit dem Aufkommen von kleinen Lenkwaffen großer Reichweite zur Zeit des Jom-Kippur-Krieges änderte sich das gewaltig. Die deutsche Milan aus den 1970er-Jahren hat eine Reichweite von 3000 Metern. Heute übersteigt die Reichweite vieler tragbarer, kleiner Panzerabwehrraketen die einer tonnenschweren Panzerkanone. Dazu sucht die Lenkwaffe heute selbst ihr Ziel und muss es nicht einmal auf direktem Weg anfliegen. Die modernsten Typen wie die Javelin aus den USA fliegen über den Panzer und greifen die schlecht geschützte Oberseite an. Einen Vorgeschmack auf die Realität des Ukraine-Krieges gab es in Syrien. Dort versorgten die USA über Umwege die Aufständischen mit TOW-Panzerabwehrraketen, die dann die Panzer der Assad-Truppen unter Feuer nahmen. Doch der Zustrom der unhandlichen TOW war immer begrenzt, das heißt, die Aufständischen verfügten keineswegs in jeder Stellung über diese Lenkwaffen. Das ist nun in der Ukraine ganz anders. Die Kiewer-Soldaten verfügen über ein breites Spektrum an Panzerabwehrwaffen in großen Stückzahlen. In dem relativ unübersichtlichen Gelände und vor allem in bebauten Gebieten kommen entsprechende Jagdkommandos immer wieder zum Abschuss. Dabei sind sie fast immer tödlich. Die Abwehrtechniken der russischen Panzer helfen in der Praxis nicht.
Luftherrschaft schlägt Bodenherrschaft
Der zweite Effekt sind Drohnen. Auch hier ist es nicht neu, dass die schwerfälligen Panzer aus der Luft bekämpft werden können. Die beherrschende Wirkung des Panzers auf dem Gefechtsfeld endete schon 1944. Unter der alliierten Luftherrschaft in Frankreich konnten die deutschen Panzer, obwohl bestens ausgerüstet, nicht bestehen. Mit Bomben, Raketen und Bordkanonen konnten Panzer sehr wohl ausgeschaltet werden. Sie selbst konnten Luftziele nicht wirksam bekämpfen. Sie mussten sich tarnen, verstecken und konnten sich nicht mehr offen bewegen – an offensive Operationen großer Formationen war gar nicht zu denken. Selbst die Propagandafotos zeigten die Deutschen wie sie mit Ästen und Netzen bedeckt in Gräben besorgt nach oben schauten.
Die Luftherrschaft dominierte den Bodenkrieg, doch diese Lektion hatte kaum Auswirkungen. Einfach, weil die großen Mächte in den Kriegen nach dem Zweiten Weltkrieg auch den Luftraum beherrschten. Wer Panzer am Boden bewegte, hatte auch Flugzeuge in der Luft. Die eigenen Bodentruppen wurden nie aus der Luft bekämpft. Das ist in der Ukraine nun anders, denn Russland konnte keine echte Luftherrschaft erreichen. Die Luftabwehr der Kiewer Streitkräfte fügt der russischen Luftwaffe kontinuierliche Verluste zu.
"Demokratisierung" des Luftraums
Neben den großen und teuren Jets und Kampfhubschraubern tummeln sich Drohnen über der Ukraine. Und das verändert alles. Kampflugzeuge und Hubschrauber sind in Anschaffung und Unterhalt teuer und aufwendig. Nur die militärischen Großmächte können sich größere Stückzahlen moderner Systeme leisten. Alle anderen Staaten verfügen nur wenige Exemplare und dazu wird auf ältere Modelle ausgewichen. Im Falle eines Krieges würden die Menge der einsatzfähigen Flugzeuge schnell schwinden.
Das ist bei Drohnen ganz anders. Selbst größere Kampfdrohnen sind im Vergleich zu Kampfflugzeugen billig und einfach zu unterhalten. Einweg Kamikaze-Drohnen und einfache Flugdrohnen kann man zu Hunderten beschaffen. Zumal es relativ einfach ist, zivile Drohnen, wie sie in der Landwirtschaft genutzt werden, auch militärisch einzusetzen. Die Folge für diesen Krieg und wohl auch für die nächsten Konflikte: Der Luftraum wird überall und immer militärisch genutzt. Jede Kompagnie von Infanteristen kann Drohnen mit sich führen. Jede Bewegung am Boden kann bemerkt werden. Das Ziel wird dann direkt von der Drohne bekämpft oder aber sie beobachtet es nur und lenkt einen Feuereinsatz darauf. Für große und auffällige Systeme wie Panzer bedeutet dies: Sie werden entdeckt und zum Ziel, lange bevor sie selbst eingreifen können. Die russischen Panzer mögen falsch eingesetzt werden, sie mögen veraltet sein und ihre Besatzungen kampfunwillig – doch das Grundproblem stellt sich allen Streitkräften: Sehr billige Drohnen können den Luftraum besetzen und so nicht nur Infanteristen, sondern auch sehr teure Systeme wie eben Kampfpanzer ausschalten.
Fürs erste matt gesetzt
In seiner über hundertjährigen Geschichte wurde der Kampfpanzer schon häufiger totgesagt und konnte sich dann doch behaupten. Das kann auch wieder so kommen, doch heute ist der Kampfpanzer erst mal mattgesetzt. Damit sich das ändert, müssten zwei Dinge geschehen. Panzerung und Abwehrsysteme von Panzerfahrzeugen müssten "kleinen" panzerbrechende Waffen sehr viel wirksamer begegnen können, als sie es heute tun. Und es müsste kostengünstig und einfach möglich werden, auch kleine Drohnen aufzuspüren und zu bekämpfen. Aber selbst wenn dies geschehen würde, gäbe es keinen "sicheren" Luftraum mehr, weil man nie ausschließen könnte, dass der Gegner nicht doch noch ein paar Drohnen wird starten können. Die Kriege um Bergkarabach und um die Ukraine werden dazu führen, dass Armeen weltweit ihr Drohnenarsenal massiv aufstocken werden. Gerade technologisch rückständige Streitkräfte können es einem sonst überlegenen Gegner sehr schwer machen, Gelände zu erobern und es zu halten.