In diesen Tagen überzieht Russland die Ukraine mit einer strategischen Luftoffensive. Cruise-Missiles, ballistische Raketen und Drohnen werden in einem vorher nicht gekannten Maßstab auf Ziele in der Ukraine abgeschossen. Für Kiew und die westlichen Unterstützer sind diese Wellen an Waffen ein Schock. Sie belegen, dass die Kalkulation, Russland werden die Angriffswaffen ausgehen, falsch war.
Am gefährlichsten sind ballistische Raketen und die Hyperschallwaffe Ch-47M2 Kinschal, doch Russland ist es auch gelungen, die billigen Geran-Drohnen, die auf iranischen Vorbildern basieren, zu verbessern.
Drohnen mit Düsenantrieb
Die Drohnen wurden nämlich deutlich schneller. Im Original werden sie mit einem Propeller am Heck angetrieben und der wiederum von einem besseren Rasenmähermotor. Dieser Antrieb ist sehr billig, die Geschwindigkeit ist jedoch auf etwa 200 km/h begrenzt. Im Sturzflug kann sie auf 300 km/h steigen. Die neue Version der Geran-Drohne erreicht dank eines Strahltriebwerks 450 bis 600 km/h und eine Höchstgeschwindigkeit von bis zu 800 km/h im Sturzflug.
Der Iran hat ebenfalls eine neue Version der Shahed-Drohne mit einem Turbojet-Triebwerk vorgestellt. Die höhere Geschwindigkeit erschwert die Arbeit der Luftabwehr, denn je schneller die tieffliegenden Drohnen unterwegs sind, desto kürzer wird die Zeit, in der sie sich im Erfassungsbereich der Luftabwehr befinden. Allerdings dürfte die Drohne mit einem Strahltriebwerk auch teurer werden. Ein Vorteil der alten Baumuster war, dass sie sehr billig zu produzieren waren. Eine Shahed 236 ist deutlich billiger als eine westliche Luftabwehrrakete. Gleichzeitig dürfte sich der Verbrauch mit dem Düsentriebwerk erhöhen, so dass die Drohne bei gleicher Reichweite mehr Treibstoff und weniger Sprengstoff mit sich führen kann.
Missiles mit Täuschkörpern
Eine deutlich gefährlichere Waffe als die Geran-Drohnen sind die luftgestützten Cruise-Missiles vom Typ Ch-101. Diese Waffe ist ohnehin bereits mit Tarntechnik ausgestattet. Sie hat eine hohe Reichweite von über 3000 Kilometern und kann sich dem Ziel im Tiefflug nähern, bei Geschwindigkeiten von knapp unter 1000 km/h.
Diese schwer zu erfassenden Missiles haben unlängst eine weitere Verbesserung erhalten. Nun können sie im Flug Täuschkörper – sogenannte Flares – auswerfen. Flares sind eine Art von kompakten "Wunderkerzen", sie werden von einem Behälter innerhalb der Missile transportiert und bei Bedarf hinausgeschleudert. Ihre Hitzeentwicklung irritiert dann die Zielerfassung einer Abwehrrakete. Flares wirken nicht mit hundertprozentiger Sicherheit, geben der Missile aber doch eine gute Überlebenschance, selbst wenn sie von der Luftabwehr attackiert wird. In der Praxis bedeutet diese Neuerung, dass die Ukrainer mehr kostbare Abwehrraketen auf einen Marschflugkörper abfeuern muss, um eine gute Abschusswahrscheinlichkeit zu erreichen. Angesichts der Menge an russischen Flugkörpern kann dies die Luftabwehr überfordern.
Billiger Tarnanstrich
Weitere kleinere Verbesserung zeigen, dass die Russen ihr Angriffsarsenal optimiert haben. Auch einfache Drohnen erhalten inzwischen einen schlichten Tarnüberzug mit Kohlenstoff. Dadurch werden diese Drohnen nicht komplett unsichtbar für den Gegner, doch ihr Radarschatten wird verringert.
Kiew berichtete weiterhin, dass die Geran-Drohnen mit ukrainischen Sim-Karten ausgerüstet werden. Neben der Satellitennavigation können die Drohnen damit Standort und Kurs anhand der Funkmasten bestimmen, mit denen die Sim-Karte Kontakt hat. Die Geran-Drohnen werden in Zukunft komplett in Russland hergestellt, dazu wurde ein Standort in der Sonderwirtschaftszone Alabuga errichtet. Hier sollen bis zu 6000 Drohnen im Jahr gebaut werden, als Lizenzproduktion und nicht als Montagelinie iranischer Bestandteile.
Ziel ist es, die Luftabwehr zu überfordern
Derzeit weiß niemand, wie groß die russischen Vorräte sind und wie lange Russland derart intensive Angriffe durchführen kann. Dennoch sind die Angriffe gefährlicher als im Vorjahr. Die einzelnen Ziele werden mit einem Mix verschiedener Waffen angegriffen. Das Kalkül ist dabei, die Luftabwehr zu erschöpfen. Die Ukrainer sollen gezwungen werden, ihre kostbaren Abwehrraketen schon für die Geran-Drohnen zu verwenden, damit die gefährlicheren Missiles und Raketen dann durchkommen. Wenn ein Ziel mit zehn Geschossen angegriffen wird, wird es auch dann zerstört, wenn es den Ukrainern gelingt, acht Abschüsse zu erzielen.
Typisch dabei ist das Vorgehen in der Nacht zum 2. Januar. Die Hauptstadt Kiew wurde zunächst von Geran-Drohnen angegriffen. Danach wurden von Flugzeugen aus Missiles vom Typ Ch-101, Ch-55 und Ch-555 gestartet. Dazu sollen mehr als zehn Kinschal-Raketen eingesetzt worden sein. In den Städten der Ukraine haben diese Angriffswellen verheerende Wirkung, selbst wenn die russischen Waffen abgefangen werden. Im Abwehrkampf über Städten und bebauten Gebiet gilt: Alles kommt irgendwo runter. Wenn die russischen Waffen ihr ursprüngliches Ziel verfehlen, stürzen sie unkontrolliert zu Boden. Gleiches gilt für die Abwehrraketen.