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Krieg in der Ukraine MIM-104 Patriot – mit diesem Luftabwehrsystem kann Kiew Russlands Luftoffensive zurückschlagen

Ukraine Krieg: Der Launcher der Patriot startet eine Abwehrrakete.
Der Launcher der Patriot startet eine Abwehrrakete. Die USA liefern der Ukraine das moderne Flugabwehrsystem.
© FRANK TREVINO, USA/ / Picture Alliance
Die USA liefern der Ukraine ein modernes Luftabwehrsystem. Es handelt sich zunächst nur um eine Patriot-Batterie – aber sie ist ein wichtiges Signal. Auch Kanzler Scholz wird sich nicht länger wegducken können.

Das Patriot System ist das Arbeitspferd der US-Luftverteidigung – es entspricht in den Leistungen grob dem russischen S-300. Die Patriot-Batterien wurden auch an ausgesuchte Verbündete geliefert und sind bereits lange Zeit im Einsatz. Das heißt auch, dass es mehrere Schübe von Verbesserungen und Modernisierungen gab und – wiederum wie bei der S-300 – Patriot nicht gleich Patriot ist. Nun haben sich die USA nach langem Zögern entschlossen, ein System zu liefern. Das hört sich wenig an, hat aber große Bedeutung.

Besteht aus mehreren Komponenten

Wie alle Luftverteidigungssysteme größere Reichweite besteht eine Patriot-Batterie aus mehreren Fahrzeugen und Modulen, die nur gemeinsam miteinander wirken. Es ist kein Stand-Alone-System wie der deutsche Flakpanzer Gepard oder das russische Pantsir S-1, bei denen ein einzelnes Fahrzeug ganz allein kämpfen kann ("USA erbeuten Putins Luftabwehrsystem Pantsir S-1 in Libyen")

Der klingende Name Patriot ist eine Abkürzung für "Phased Array Tracking Radar to Intercept On Target". Das System besteht aus einer ganzen Handvoll Komponenten. Auf Fotos und Videos tauchen meist die martialischen Raketenstarter auf, dabei sind sie nur das "ausführende" Organ. Das ganze System besteht aus einem Radar, einer Antennenanlage, einem Feuerleitstand, den Startern und zum Austausch mit anderen Einheiten kommt noch ein weiteres Modul und ein Gefechtsstand zusammen. Alle diese Untersysteme wirken zusammen, der Ausfall eines Moduls führt zum Ausfall der ganzen Anlage.

Zentral für die Leistungsfähigkeit ist das Radar. Mit seiner Phased-Array-Antenne kann es bis zu 125 Flugziele erfassen und bis zu neun Raketen auf gleichzeitig sechs Ziele lenken. Die Reichweite des Radars beträgt bis zu 180 Kilometer, im Nahbereich arbeitet es nicht. Jeder Starter trägt vier Abfangraketen. Je nach Generation unterscheiden sie sich in ihren Leistungen. Die neuesten Modelle können ein Ziel bis etwa 70 Kilometern Entfernung vernichten, Luftziele können sie zu einer Höhe von 25 Kilometern attackieren, eine ballistische Rakete in einer Höhe von bis zu 34 Kilometern abfangen.

Wenig Schutz für ein großes Land wie die Ukraine

Das sind eindrucksvolle Daten, die sich bei einem Einsatz in der Ukraine jedoch deutlich relativieren. Die Ukraine ist ein großes Flächenland, in dem die Ziele der russischen Fernwaffen überall verstreut sind. Das gilt schon für rein militärische Objekte aber erst recht für die Stromversorgung. Die eindrucksvolle Reichweite eines Patriot-Systems markiert dann nur einen kleinen Klecks auf der Landkarte. Gleichzeitig muss die wertvolle Anlage im Nahbereich von weiteren Flugabwehreinheiten wie dem Gepard geschützt werden. Mit etwas Pech könnte sonst eine tiefliegende Billigdrohne die Patriot ausschalten.

Auch Schwarmattacken können die Patriot lahmlegen. Bei aller Leistungsfähigkeit des Radars hilft es gegen tieffliegende Drohnen nur bedingt. Auch ein Phased-Array-Radar kann nicht durch die Erde spähen. Die Erdkrümmung und die Höhen und Senken der Landschaft erzeugen einen Radarschatten, den ein Angreifer ausnutzen kann. Im Ukrainekrieg ist es allerdings wahrscheinlich, dass die Überwachungsflugzeuge der USA Kiews Truppen mit Daten versorgen.

Austausch der Sowjet-Systeme 

Als Ergänzung der Luftverteidigung wären auch ein einziges Patriot-System oder eins bei drei Iris-T-Batterien wirksam, wenn sie als weitere Bausteine hinzugefügt würden. Das Problem von Kiew ist aber umfassender: In der Masse basiert die Luftverteidigung der Ukraine auf den Buks und S-300 der Sowjetzeit und diesen Einheiten geht allmählich die Munition aus. Es soll auch nicht möglich sein, weitere Raketen bei ehemaligen Staaten des Warschauer-Paktes aufzutreiben. Erschöpfen sich Kiews Vorräte, müsste auf einen Schlag das Gros der Luftverteidigung ausgetauscht werden und dafür reichen ein oder zwei Abwehrbatterien aus dem Westen nicht aus ("Vorräte an Luftabwehrraketen leeren sich rapide – nur die Patriots können helfen")

Doch die Lieferung eines Systems ist ein Anfang. Die USA haben bei allen Hilfslieferungen bislang eine Salami-Taktik angewandt. Nach und nach erhöhen sie Umfang und Art der Waffenhilfe, vermeiden dabei aber stets einen spektakulären Aufschlag, der Moskau zu einer weiteren Eskalation reizen könnte. So gesehen, kann man formulieren, die USA liefern "erstmal" nur ein Patriot-System. Dieses System wird auch von Verbündeten wie Deutschland benutzt. Mit dem "Go" aus Washington ist es wahrscheinlich, dass auch weitere Länder mit dem Einverständnis der USA rechnen können, ihre Patriots weiterzugeben. Der Ball liegt jetzt also auch im Kanzleramt.

Berlin ist gefragt 

Neben der technischen Leistungsfähigkeit liegt die besondere Bedeutung der Patriots darin, dass sie eben das "Arbeitspferd" der Luftabwehr der USA sind. Das System ist verbreitet und es gibt größere Vorräte an Munition. Hier kann der Westen, wenn er will, dauerhaft Abwehrraketen nachliefern. Und diesem Punkt steht die Patriot besser da, als alle anderen westlichen Luftabwehrsysteme. Eine Kernherausforderung der russischen Luftoffensive kann auch die Patriot nicht wirklich lösen: Moskau zwingt Kiew sehr teure und aufwändige Abwehrwaffen einzusetzen, um damit simple Billigwaffen abzuschießen. Bislang sind das vor allem Drohnen iranischer Bauart. Es ist denkbar und wahrscheinlich, dass auch simple ballistische Raketen hinzukommen.

Fazit: Die Lieferung ist ein großer Schritt für Kiew, hier öffnet sich ein Fenster, um die russische Strategie zu durchkreuzen. Russland baut bislang darauf, mit ganzen Wellen von Drohnen Kiews Vorräte an Abwehrraketen zu erschöpfen. Wenn die einmal verbraucht sind, hätten die russischen Fernwaffen freie Bahn. Mit der Patriot besteht nun eine gute Chance, dass Kiew in einem Maß aus dem Westen beliefert wird, dass Putins Rechnung nicht aufgeht.

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