Die USA haben viel daran gesetzt, iranische Atomwaffen zu verhindern. Bislang mit Erfolg. Aber sie konnten den iranischen Aufbau einer gewaltigen Macht an präzisen Fernwaffen nicht aufhalten. Trotz aller Sanktionen erstreckt sich das Arsenal von einfachen Drohnen über Marschflugkörper bis hin zu ballistischen Raketen. Nur ganz wenige Staaten auf der Erde besitzen derartige Möglichkeiten. Damit wird der Iran nicht zu einer globalen Supermacht, doch er wächst aus dem Rahmen einer begrenzten Regionalmacht heraus. Denn Teheran ist in der Lage, militärische Macht auch weit über 1000 Kilometer vom eigenen Land entfernt zu entfalten.
Modernste Rakete
Der Angriff auf ein angebliches israelisches "Spionagehauptquartier" in der Nähe des US-Konsulats in der nordirakischen Stadt Erbil und auf Ziele im Norden Syriens am 15. Januar zeigt, dass Teheran inzwischen bereit ist, diese Macht einzusetzen. Und der Iran demonstrierte, wie wirksam die eigenen Waffen sind. Satellitenbilder zeigen die überaus präzisen Einschläge der iranischen Raketen. Das beweist die Fähigkeit Teherans, Ziele punktuell zu treffen. Und es ist anzunehmen, dass auch die Soumar-Marschflugkörper mit immerhin 2500 Kilometern Reichweite diese Genauigkeit auch erreichen. Im Prinzip könnten sie Ziele in Süd- und Osteuropa ins Visier nehmen. Anzunehmen ist, dass in Zukunft Raketen hinzukommen, die Mitteleuropa abdecken.
Konkret überraschte die Kheibar Shekan. Die Feststoffrakete wurde gegen ein Ziel in Idlib eingesetzt. Ihre Reichweite soll 1500 Kilometer betragen. Die Besonderheit liegt nicht allein in der Präzision. Ihr Gefechtskopf ist in begrenztem Maße steuerbar, ein anspruchsvolles Ziel für die Luftverteidigung. Eine deutliche Warnung, denn diese Rakete hätte auch Israel erreichen können.
Kein Militärschlag ohne Risiko
Mit diesen Angriffen werden die Karten im globalen Machtpoker neu gemischt. Bislang waren derartige Schläge eine Option, die den USA vorbehalten war. In der näheren Umgebung auch Israel. Mit präzisen Einsätzen wurde das militärische Potenzial eines anderen Landes – dann gern "Schurkenstaat" genannt – reduziert. In der Regel ohne Risiko für die USA, weil der Gegner nicht in gleicher Weise zurückschlagen konnte.
Diese Regel gilt für den Iran nicht. Schon nach der Tötung von Qasem Soleimani reagierte der Iran mit einem Raketenangriff auf Einrichtungen der USA im Irak. Die neue Rakete erhöht die Gefahr. In der Reichweite seiner Waffen befinden sich eine Unzahl potenzieller Ziele der USA und ihrer Verbündeten von unterschiedlicher Güte. Es wäre unmöglich, sie alle durch eine entsprechende Luftverteidigungsglocke zu schützen. Ebenso aussichtslos wäre die Idee, das iranische Arsenal mit einem begrenzten Schlag auszuschalten, nach dem Teheran dann wehrlos wäre. Dagegen spricht die schiere Menge der Waffen, die zudem in Bunkern und Stollen gelagert werden. Der US-Geheimdienst schätzt, dass der Iran über 3000 ballistische Raketen größerer Reichweite und einen schnell wachsenden Bestand an Marschflugkörpern verfügt. Zählt man einfachere Raketen kleinere Reichweite hinzu, werden Zahlen von 60.000 bis 200.000 Stück genannt.
Raketenpower trotz Sanktionen
Dazu kommt die tief gestaffelte Luftverteidigung des Landes. Der Iran verfügt über mehr Systeme zur Luftverteidigung als die gesamte EU. Über die Leistungsfähigkeit ist wenig bekannt, es wird aber angenommen, dass Teheran technologisch die alten Sowjetsysteme hinter sich gelassen hat. Auch ohne Atomwaffen hat sich Teheran so in beinahe unangreifbare Position manövriert. Jeder Angriff müsste mit einem Gegenschlag rechnen, bei dem der Iran die nächste Eskalationsstufe wählen kann. So kann es bei einem bloßen Schlagabtausch bleiben, Teheran könnte sein Ziel aber auch so wählen, dass die USA wiederum reagieren müssten. Ein Eskalationspoker, bei dem am Ende – zumindest in der Theorie – ein ausgewachsener Krieg stehen kann. Den aber auch die Teheran Führung vermeiden will. Trotz aller Sanktionen steht das Regime kurz vor der A-Bombe. Das schlechteste Szenario wäre dies: Zuerst baut der Iran eine konventionelle Raketenmacht auf, die einen Angreifer abschreckt. In diesem Schutz folgt dann die nukleare Bewaffnung.
Das Beispiel des Irans dürfte andere Länder inspirieren. Auhc Saudi Arabeien will zur Raketenmacht aufsteigen. Kein Land hat die Möglichkeit, eine Flotte oder eine Luftwaffe aufzubauen, die es mit den USA aufnehmen könnten. Doch Drohnen, Marschflugkörper und Raketen ohne nukleare Bewaffnung geben ihnen die Möglichkeit, weit entfernte Ziele des Gegners anzugreifen. Die Zeiten, in denen die USA eine "Züchtigung" ohne Risiko durchführen konnten, gehen zu Ende. Aufzuhalten ist die Entwicklung kaum. Der Iran steht schon lange unter strengsten Sanktionen und konnte dennoch zur Raketenmacht werden. Die Iraner sind Meister darin, ihre Militärgüter aus zivilen Komponenten zusammenzubauen. Dazu ist der Iran Waffenlieferant für Russland, anzunehmen ist, dass Moskau nicht nur mit Rohstoffen und Devisen bezahlen wird, sondern auch mit dem Transfer von Rüstungs-Know-how.