Seit zwei Monaten greift Russland gezielt die Stromversorgung in der Ukraine an. Bisher gelingt es, das Stromnetz in ganzen Regionen temporär auszuschalten, es gelingt aber nicht, die Versorgung mit Strom dauerhaft zu unterbinden.
Das liegt an der effektiven Luftverteidigung der ukrainischen Streitkräfte. Nach deren Angaben schlagen nur etwa 15 Prozent der russischen Missiles im Ziel ein. Auch wenn es möglich ist, dass die Zahlen etwas geschönt sind, kann man doch davon ausgehen, dass der Großteil der Angriffe abgefangen wird.
Doch dieser Erfolg ist nur ein halber Sieg. Denn Kiews Vorräte an Abfangraketen und Munition, etwa für die Flakpanzer Gepard, schwinden rapide. Neben den aktuellen Kämpfen im Luftraum gibt es einen strategischen Krieg. Und in ihm geht es um die Frage: Wem geht zuerst die Munition aus? Ist Russland nicht mehr in der Lage, seine Missile-Offensive fortzusetzen? Oder kann Kiew irgendwann die russischen Flugkörper nicht mehr abfangen, weil die Magazine mit Abwehrraketen leer sind?
Moskau erschöpft die Luftabwehr
In diesem Licht sieht auch der Abwehrerfolg anders aus. Russland startet gezielt seine Missiles und Raketen mit dem Ziel, die Luftverteidigung der Ukraine zu erschöpfen. Dabei genießt Moskau einen strukturellen Vorteil: Kiews Luftabwehr muss auch Billig-Drohnen iranischer Bauart in Visier nehmen, denn wenn sie nicht abgeschossen werden, sind ihre Einschläge in das Energienetz genauso verheerend wie der Treffer eine High-Tech-Rakete. Eine sehr aufwendige Abwehrrakete wird verbraucht, um eine Drohne, die von einem besseren Moped-Motor angetrieben wird, abzuschießen.
Es gibt Anzeichen, dass Russland mehr alte, eigentlich ausrangierte Raketen einsetzt. Ein Grund ist, dass die Vorräte an modernen Präzisionswaffen zur Neige gehen, ein anderer ist sicher, dass Moskau so viele Waffen wie nur möglich auf die Ukraine abfeuern will.
Der zweite strukturelle Vorteil: Bislang gelingt es der Ukraine, das Stromnetz wieder in Betrieb zu nehmen. Doch die fortwährenden Beschädigungen setzen dem Netz zu, es wird immer fragiler. Heißt: Weitere Treffer hinterlassen in dem Kartenhaus der Stromversorgung immer stärkere Schäden.
Kein Nachschub für Sowjetwaffen
Der Kern der ukrainischen Luftverteidigung besteht weiterhin aus alten S300- und Buk-Systemen. Die vom Westen gelieferten modernen Abwehrwaffen haben bislang eine begrenzte Reichweite. Sie schützen nur ein Ziel oder maximal eine Region. Um das dezentrale Energienetz zu schützen, ist Kiew auf die alten Sowjetwaffen angewiesen. Um die Wahrscheinlichkeit eines Abschusses zu erhöhen, folgt Kiew der gängigen Praxis je zwei S300 oder Buks auf jede russische Rakete abzufeuern. Doch die Munition und Ersatzteile für diese Systeme gehen zur Neige, auch soll es kaum Bestände außerhalb von Russland geben. Raketen aus der Slowakei hat Kiew bereits früher erhalten.
Sollten Kiew die BUK- und S-300-Raketen ausgehen, wäre ein Großteil des Landes ohne Schutz. Dann ist zu befürchten, dass Moskau ganze Schwärme von ballistischen Raketen und Drohnen auf den Weg schickt. Auch könnte der Weg frei sein, schwere Bomber zumindest über Teilen der Ukraine einzusetzen. Das wäre fatal, denn die Bombenlast und damit die Zerstörungswirkung eines Bombers ist ungleich höher als die einer Cruise Missile. Eine russische Kalibr-Missile besitzt einen Sprengkopf von Maximal 500 Kilogramm. Ein Bomber vom Tu-95 "Bär" kann dagegen über 50 Tonnen an Waffen mit sich führen.
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System mit Munitionsvorräten
Es ist daher wichtig, dass die Ukraine schnell neue Luftabwehrsysteme bekommt. Systeme mit größerer Reichweite. Die Patriot schützt einen Bereich von 160 Kilometer Radius – das entspricht in etwa der Reichweite der entwickeltsten Raketen für das S-300-System. Und dazu hat die Patriot einen weiteren Vorteil: Für gibt es Vorräte an Raketen, die zumindest im Prinzip an Kiew geliefert werden könnten. Nagelneue Systeme wie das Iris-T-System haben den Nachteil, dass sie frisch auf den Markt kommen und es keine Staaten gibt, die sich einen Hort an Munition dafür zugelegt haben. Hier muss der Bedarf aus der laufenden Produktion gedeckt werden und die wird nicht für den Krieg in der Ukraine ausreichen. Die USA und auch die Verbündeten fahren die Produktion von Raketen, Manpads und Artilleriemunition hoch – doch diese Programme werden frühestens im Frühjahr zu ersten Ergebnissen führen. Nach langem Zögern sieht es nun danach aus, dass die USA die Patriots nun doch liefern werden.