Krieg in der Ukraine Welche Bedeutung die Eroberung von Soledar für Russland hat

Moskau: Wagner-Chef will "zeigen, dass seine Soldaten fähiger sind"
Die ukrainischen Städte Soledar und Bachmut werden weiterhin hart umkämpft. Moskau-Reporter Rainer Munz erklärt, welche Rolle die Soldnergruppe Wagner dabei spielt. 
Sehen Sie im Video: Kampf um Soledar – Wagner-Chef will "zeigen, dass seine Soldaten fähiger sind, als die russische Armee". Videoquelle: n-tv.de
Die ukrainische Front ist bei Soledar eingebrochen. Noch ist die Stadt nicht komplett eingenommen, doch nach Monaten der Kämpfe hat Russland einen blutigen Sieg errungen.

Der Chef der russischen Söldnergruppe Wagner, Jewgeni Prigoschin, hat auf dem Nachrichtendienst Telegram behauptet, seine Kämpfer hätten die Kleinstadt Soledar eingenommen. Zum Beweis wurden auch Fotos gezeigt, die ihn selbst inmitten seiner Männer in einer der Salzminen der Stadt zeigen sollen. Mit "eingenommen" hat Jewgeni Prigoschin übertrieben. Russland kontrolliert den Großteil von Soledar, in der Stadt befindet sich ein Kessel, in dem die verbliebenen Verteidiger eingeschlossen sind. Auch ist anzunehmen, dass sich bei den Salzminen der Stadt Widerstandsnester befinden.

Bedeutung nur als Festungsstadt 

Wie auch im Fall von Bachmut ist die strategische Bedeutung von Soledar als "Stadt" gering. In beiden Städten finden Kämpfe statt, die man als "Fleischwolf" bezeichnen kann. Was heißt das? Es kommt weniger auf Vormarsch und Eroberung an, es geht in diesen Kämpfen vorrangig darum, dem Gegner schwere Verluste zuzufügen. Den Ukrainern kommt dabei zur Hilfe, dass diese Städtchen seit Jahren systematisch befestigt worden sind. Sie konnten an allen zentralen Stellen befestigte Positionen errichten. Anderseits saugen auch diese die Kleinstädte Truppen auf, so dass sich immer Lücken und freie Zonen bleiben, in denen der Gegner einsickern konnte.

In der Stadt selbst wird seit Monaten blutig gekämpft. Teils gelangen den Russen Vorstöße, dann wurden sie wieder zurückgeworfen. Beide Seiten haben es bis jetzt verhindern können, dass größere Gruppen ihrer Soldaten abgeschnitten wurden. Das Städtchen wird von einigen Hochhäusern beherrscht, von denen aus die weitere, flache Bebauung eingesehen und beschossen werden kann. Weitere Besonderheit ist eine Kette von Salzminen. Solche unterirdischen Labyrinthe – wie es sie auch unter dem Azow-Stahlwerk in Mariupol gibt – sind praktisch nicht zu stürmen und bieten den Verteidigern einen sicheren Unterschlupf. Zumindest so lange, bis ihnen Munition, Verpflegung und Medikamente ausgehen.

Umfassung in kleinem Raum

In den letzten Wochen gelangen den Russen stetige Gewinne im Stadtgebiet. Die Schlacht um Soledar wurde jedoch entschieden, weil die ukrainischen Linien an den Flanken der Stadt nicht standhielt. Hier brach die ukrainische Verteidigung ein. Wirklich tiefe Einbrüche mit einer beweglichem Kampfführung gelangen den Russen auch hier nicht, doch sie drückten die Ukraine immer weiter zurück. So lange bis die Positionen im Stadtgebiet wie eine Beule ins russisch kontrollierte Gebiet hineinragten. Als abzusehen war, dass auch die letzte Zufahrt verloren geht, soll es Kiew gelungen sein, die Masse seiner Kämpfer aus der Stadt herauszuziehen. Nur eine verlorene Nachhut soll sich noch in der Stadt befinden.

Politischer Sieg für Prigoschin

Die Bedeutung des Sieges ist nur schwer abzuschätzen. Politisch bedeutet sie in Russland auf jeden Fall einen Triumph von Prigoschin und der Wagnergruppe, die die Hauptlast der Kämpfe getragen haben und die sich in Konkurrenz zum regulären Heer befinden. Das sich nach wie vor schwer tut, einen Krieg zu führen, den man so nicht geplant hat.

Fraglos ist es ein militärischer Erfolg. Denn so klein die Stadt auch ist, so ist sie doch nicht unbedeutend für das ukrainisches Festungssystem im Donbass. Wie Bachmut liegt Soledar als "Wellenbrecher" vor der letzten Kette von Städten in der Region. Fallen diese Städtchen werden die Russen bald die letzte Verteidigungslinie auf ähnliche Weise attackieren. Zuvor wird Russland seine Artillerie vorziehen und dann die nächste Reihe von Versorgungslinien und Städten anzugreifen. Ohne Frage hat Kiew entschlossen versucht, Soledar zu halten. Es ist nicht gelungen. Ein weiterer Durchbruch dürfte angesichts der Geschwindigkeit des Vormarsches demnächst nicht zu erwarten sein, doch müsste Kiew ihn auf Dauer um jeden Preis verhindern.

In der Logik des "Fleischwolfes" liegt es, Erfolg- und Nichterfolg einer Operation an den Verlusten der beiden Seiten festzumachen, zu deren Verhältnis keine verlässlichen Angaben vorhanden sind. Glaubt man Kiew und seinen Verbündeten, hat Russland ungeheure Verluste erlitten – die Rede ist von 5000 Mann in einer Woche – während die Verteidiger nur überschaubare Verluste hinnehmen mussten. Dieses Szenario wird über den ganzen Krieg hinweg beschworen und ist wenig realistisch. Kiew hätte weder Soledar noch die Regionen an den Flanken aufgegeben, wenn es nur geringe eigene Verluste gegeben hätte.

Das Gesetz der größeren Zahl

Die Schlacht um Soledar scheint ein weiterer Faktor entschieden zu haben. In dieser Zone haben die Russen erstmals eine zahlenmäßige Überlegenheit erlangt, und das hat die Lage auf dem Schlachtfeld entscheidend verändert. Russland ist mit kaum 200.000 Mann in die Ukraine einmarschiert, schon am Tag Null waren die ukrainischen Truppen von der Zahl her gesehen nicht unterlegen. Die Massenmobilisierung hat dann dazu geführt, dass die ukrainischen Truppen enorm verstärkt worden sind. Doch seit der Teilmobilisierung von 300.000 Mann in Russland schwindet dieser Vorteil dahin. Er kann sich ins Gegenteil verkehren, wenn Russland, wie Experten vermuten, im Frühjahr weitere 500.000 Mann einziehen wird.