BBC-Reportage aus der Ukraine "Hoffe, ich muss nicht zurück zur Armee" – Einblick in eine Haftanstalt für russische Kriegsgefangene

Kriegsgefangene
Kaum hat der Krieg begonnen, schon in Kriegsgefangenschaft: prorussische Kämpfer aus Luhansk im Februar 2022
© Anatolii Stepanov / AFP
Erst vor wenigen Tagen haben Russland und die Ukraine wieder Gefangene ausgetauscht. Für viele, aber nicht für alle Häftlinge ein erlösender Schritt. Ein BBC-Reporter hat sie in einer ukrainischen Haftanstalt für russische Kriegsgefangene getroffen.

In düsteren Gebäuden leben hunderte von russischen Kriegsgefangenen, aus der Ferne ist das Donnern der Flugabwehr zu hören. Einige Insassen haben Verbände an Händen oder Füßen, in den Werkstätten montieren sie Gartenmöbel. Zu Essen gibt es Brot, Maissuppe, Gersteneintopf mit Fleisch. "Die Wärter legen großen Wert darauf, zu zeigen, dass sie die Häftlinge gut behandeln." So beschreibt der Ukraine-Korrespondent der britischen BBC einen Besuch in einem Gefängnis für in Kriegsgefangenschaft genommene russische Soldaten.

Ungewisse Rückkehr nach Russland

Laut der Genfer Konvention ist es nicht erlaubt, die Kämpfer der Gegner öffentlich vorzuführen. Die meisten Häftlinge schweigen deshalb auch lieber, als mit Journalisten zu sprechen. Zudem droht manchen von ihnen bei ihrer Rückkehr ein ungewisses Schicksal. Die Söldnerarmee der Gruppe Wagner etwa protzt geradezu damit, freigelassene frühere Kämpfer als "Verräter" brutal hinzurichten.

Dennoch geben sich einige von ihnen dennoch als Söldner zu erkennen. Einer berichtet der BBC, dass er erst wenige Tage zuvor bei Soledar gefangen genommen wurde. Offenbar war er erst einen Monat Soldat. Ein anderer sagt, er sei Ende Dezember bei Luhansk von den Ukrainern festgenommen worden und warte seitdem auf einen Gefangenenaustausch: "Ich hoffe, ich muss nicht wieder zurück in die Armee", sagt er. Falls doch, denkt er darüber nach, "sich freiwillig zu ergeben". Die Ukraine bietet dafür eine Hotline an.

190 Kriegsgefangene ausgetauscht

Verhandlungen über den Austausch von Kriegsgefangenen ist aktuell der einzige verbliebene Kommunikationskanal zwischen Kiew und Moskau. Auch wenn die Gespräche oft über Vermittler wie die Vereinigten Arabischen Emirate oder die Türkei laufen. Die beiden Staaten waren es auch, die den letzten Gefangenenaustausch zwischen Russland und Ukraine moderiert haben. Dabei kamen Anfang Februar 116 ukrainische und 63 russische Gefangene frei.

Die inhaftierten Kämpfer sind mittlerweile fast schon zu einer Währung geworden. Denn in diesem Abnutzungskrieg zählt jeder Soldat – und sei es nur als Kanonenfutter. Laut des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj sind seit Kriegsbeginn 1762 seiner Landsleute aus russischer Kriegsgefangenschaft freigekommen. 3000 bis 4000 säßen noch in Lagern fest. Diejenigen Soldaten und Soldatinnen, die in die Heimat zurückkehren, täten dies in teilweise miserablem Zustand, wie es bei der Kiewer Regierung heißt.

Einem Bericht der UN-Menschenrechtskommission zufolge, seien Folter und Misshandlung von ukrainischen Kriegsgefangenen in Russland gängig. Weibliche Gefangene würden zwar nicht körperlich angegangen werden, dennoch klagten sie über psychische Belastungen, etwa durch die Schreie von Mithäftlingen. "Ich kann den Klang von Panzertape nicht ertragen. Damit fesseln sie die Gefangenen, bevor sie gefoltert werden", wird eine frühere Kriegsgefangene in dem Bericht zitiert.

Auch der ukrainischen Seite wirft die UN Verstöße gegen die Genfer Konvention vor, die den Umgang mit Kriegsgefangenen regelt. So gäbe es in der Ukraine Straflager, in denen "Willkommensschläge" üblich seien. Allerdings habe die Kiewer Regierung bereits eine Reihe von Untersuchungen wegen Misshandlungen von Kriegsgefangenen eingeleitet. Auch habe sie den UN-Ermittlern im Allgemeinen Zugang zu den Häftlingen gewährt, anders als die russische Seite.

Dokus über Mariupol

Mutmaßlich wird die britische BBC eher Vorzeige-Gefangenenlager zu sehen bekommen haben, und nicht die mit zweifelhaften Zuständen. Und offenbar scheint die Ukraine die Anwesenheit des Feindes für "pädagogische Maßnahmen" zu nutzen. Das Programm im Gefängnisfernsehen ist auf ukrainisch, was viele Russen nicht gut verstehen dürften. Zu sehen sind auch Dokumentationen etwa über die Geschichte der Stadt Mariupol, die vergangenes Jahr von Russland so gut wie in Grund und Boden gebombt wurde. Einige Gefangene haben dort gekämpft. Einer antwortet auf die Frage des Reporters, ob er das gerade Gesehene verstanden hat: "Mehr oder weniger. Aber ich fand es lehrreich". Mehr als höfliche Worte, so der BBC-Journalist, könne man in dieser Situation wohl auch nicht erwarten.

Quellen: BBC, DPA, UNHR, "Taz", Genfer Konvention

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