Liebe Frau Peirano,
mein Freund und ich sind seit drei Jahren zusammen (ich bin 37, er 38). Vor ein paar Wochen habe ich seinen Computer benutzt und auf einem Fenster in seinem Browser gesehen, dass er sich recht intensiv nach Prostituierten in Budapest umgesehen hat. Es waren ca. 20 Fenster geöffnet.
Er fährt öfter beruflich nach Osteuropa. Bei mir ging sofort das Gedankenkarussell los. Ich sah ihn mit Prostituierten im Bett, die ihn anfassten, mit ihm Sex hatten. Es ist ekelhaft.
Grauenhaft, aber ich kriege die Bilder nicht mehr aus meinem Kopf. Ich habe ihn auf seinen Suchverlauf angesprochen, aber er hat relativ cool reagiert und gesagt, er würde das nur "interessehalber" mal recherchieren, weil er mal was über Prostitution in Ungarn gelesen hat.
Er meinte, ich würde ja auch viele Sachen aus Neugier googeln. Ich werde trotzdem dieses unangenehme Kopfkino nicht los. Ich frage mich natürlich auch, ob er öfter mal ins Bordell geht und ob das vielleicht für ihn eine Gewohnheit ist. Wir haben nie darüber gesprochen, und ich habe vorher nie darüber nachgedacht. Ich finde den Sex zwischen uns sehr gut, aber vielleicht etwas selten. Aber deswegen ins Bordell gehen? Krass.
Aber klar, es gehen viele Männer zu Prostituierten, warum sollte gerade mein Freund es nicht tun? Und man findet ja nichts heraus, alles ist diskret und es gibt keine Nachrichten oder Anrufe.
Aber natürlich kann ich mich aufgrund eines bloßen Verdachts nicht trennen. Ich habe ja nichts gegen ihn in der Hand, und kontrollieren kann und will ich ihn auch nicht. Das würde auch gar nicht gehen. Er ist recht oft beruflich auf Reisen, und da ist auch viel Alkohol (und wohl manchmal auch Kokain) im Spiel und er und seine Geschäftspartner (die ich nicht kenne) sind abends lange unterwegs. Das fand ich schon immer schwierig, aber es gehört halt zu seinem Job.
Was soll ich bloß machen? Wie ich es auch drehe und wende, finde ich keine Lösung.
Viele Grüße
Natalie G.
Liebe Natalie G.,
ich kann mir gut vorstellen, dass Ihnen bei den inneren Bildern von Ihrem Freund zusammen mit einer Prostituierten erst einmal übel geworden ist. Da hat sich, wie Sie sagen, ein "Kopfkino" in Ihrem Kopf gedreht und das werden Sie erfahrungsgemäß nicht so einfach wieder zum Stillstand bringen. Gerade bedrohliche Szenarien üben eine Faszination aus, sie sich immer wieder und wieder vorzustellen.
In Ihrem Fall ist natürlich die zentrale Frage: Gibt es einen Anlass zu der Vermutung, dass Ihr Partner zu Prostituierten geht, oder ist es bloß ein Angstszenario?
Prostitution ist diskret und zielt auf Heimlichkeit ab. Deshalb ist sie schwer zu entdecken. Und in ihrem Fall sind die Rahmenbedingungen besonders schwierig. Ihr Partner ist öfter alleine ihn Ausland unterwegs und trifft sich mit Geschäftspartnern, die Sie nicht kennen. Es ist Alkohol (oder Kokain) im Spiel, und es wird öfter spät. Ich sage es mal so: Sie müssten schon sehr viel Vertrauen aufbringen, um in dieser Situation nicht misstrauisch zu werden oder sich nicht ab und zu zu fragen, was denn noch alles passiert in diesen enthemmten Situationen. Sind eigentlich auch weibliche Geschäftspartnerinnen bzw. die Frauen der Geschäftspartner dabei oder sind die Männer unter sich? Und was für einen Eindruck haben Sie von der Atmosphäre durch die Schilderung Ihres Partners gewonnen? Wie fühlen Sie sich dabei, wenn Sie etwas davon hören oder sehen?

Dr. Julia Peirano: Der geheime Code der Liebe
Ich arbeite als Verhaltenstherapeutin und Liebescoach in freier Praxis in Hamburg-Blankenese und St. Pauli. In meiner Promotion habe ich zum Zusammenhang zwischen der Beziehungspersönlichkeit und dem Glück in der Liebe geforscht, anschließend habe ich zwei Bücher über die Liebe geschrieben.
Informationen zu meiner therapeutischen Arbeit finden Sie unter www.julia-peirano.info.
Haben Sie Fragen, Probleme oder Liebeskummer? Schreiben Sie mir bitte (maximal eine DIN-A4-Seite). Ich weise darauf hin, dass Anfragen samt Antwort anonymisiert auf stern.de veröffentlicht werden können.
Vertrauen ist die wichtigste Grundlage für eine Liebesbeziehung. Und Vertrauen ist nicht einfach da und bleibt, sondern es wächst mit vertrauensbildenden Situationen. Oder es bekommt Risse, die gekittet werden müssen oder mitunter auch nicht mehr zu reparieren sind.
Vertrauen unterteilt sich in verschiedene Bereiche, ähnlich wie es in der Schule verschiedene Fächer gibt, deren Noten ganz unterschiedlich ausfallen können.
Ein Bereich des Vertrauens ist zum Beispiel die Verlässlichkeit: Macht mein Partner das, was wir vereinbart haben? Ist er pünktlich, erledigt er die abgesprochenen Aufgaben, kann ich mich im Alltag auf ihn verlassen?
Ein anderer Bereich des Vertrauens ist die Lebensgestaltung oder der Stil: Wählt er Geschenke aus, die mir gefallen, bucht er einen Urlaub, den ich auch mag, kann er mich gut einschätzen und gute Unternehmungen für das Wochenende aussuchen?
Ein wichtiges Thema ist das Vertrauen ihn die Pflege der Beziehung: Hat der Partner bewusst mich ausgewählt und will er unsere Beziehung wahren und intensivieren?
Ein sehr zentraler Bereich des Vertrauens ist die Treue: Hält sich mein Partner an unsere Absprache bezüglich Treue? Im Falle von Exklusivität würde das bedeuten, dass der Partner keinen anderen Frauen zweideutige Nachrichten schreibt, nicht mit anderen Frauen intim wird (seelisch oder körperlich) und mir erzählt und sich dagegen wehrt, wenn jemand in unsere Beziehung eindringen will.
Haben Sie mit Ihrem Partner eigentlich schon mal über seine Anschauungen zu dem Thema Treue gesprochen? Und haben Sie auch schon mal generell über seine Meinung zur Prostitution nachgefragt?
Es gibt zum Beispiel nicht wenige Männer, die den Besuch bei einer Prostituierten nicht als Fremdgehen definieren. Vor einigen Jahren habe ich schon einmal etwas über das Thema gebloggt und erhielt viele empörte Zuschriften von Männern, die meinten, ein Besuch bei einer Prostituierten sei kein Fremdgehen.
Für andere (auch das ist nicht selten) ist es eine Art Kavaliersdelikt, das im Zusammenhang mit Alkohol und Männerabenden zu rechtfertigen sei.
Ich frage dann manchmal zurück, ob betrunkenes Autofahren in dem Zusammenhang auch in Ordnung sei, worauf ich dann oft höre: Das würde ich NIE machen, den Autoschlüssel lasse ich gleich zu Hause, wenn ich trinken gehe.
Es hört sich so an, als wenn Sie, gelinde gesagt, Ihren Partner in Bezug auf seine Einstellungen zur Treue und Prostitution nicht einschätzen können. Und ich würde aufgrund einiger Stichworte, die Sie mir gegeben haben, davon ausgehen, dass er gerne mal über die Stränge schlägt und sich enthemmt verhält. Ich kann also gut verstehen, dass bei Ihnen die Alarmglocken angehen, wenn Sie sehen, dass er sich nach Prostituierten umschaut und sich nicht mit der Antwort abspeisen lassen, dass das aus reiner Neugier geschieht. Wahrscheinlich müsste man dazu auch nicht 20 Fenster im Internet öffnen…
Ich kann Ihnen nur raten: Reden Sie mit ihm und schauen Sie, wie Sie sich dabei fühlen. Fragen Sie ihn doch, ob er Ihnen mehr über seinen Kontakt mit den ungarischen Geschäftspartnern erzählt, Fotos zeigt und berichtet. Ich finde, dass er einen großen Vertrauensvorschuss von Ihnen einfordert (oder voraus setzt), und durch die Ungereimtheiten können Sie ihn auch bitten, das Vertrauen wieder herzustellen.
Versetzen Sie sich doch einmal in seine Lage: Sie würden zum Beispiel im Ausland Freunde besuchen und tanzen gehen und Ihr Partner hätte Bedenken und wäre eifersüchtig. Wie würden Sie sich fühlen und was würden Sie tun, um ihm mehr Sicherheit zu geben?
Man könnte ja zum Beispiel mehr darüber erzählen, was man erlebt und mit wem man unterwegs ist, sich häufiger melden, gerade spätabends und den anderen einbeziehen, z.B. indem man Fotos schickt. Er könnte Ihnen sagen, was er über Prostitution denkt und seine Haltung dazu beschreiben.
Und letztendlich ist es dann an Ihnen, zu sehen, wie sich das anfühlt (unbedingt auf das Bauchgefühl achten), ob Ihnen das reicht und Sie sich wieder sicherer fühlen.
Kontrollieren können Sie ihn nämlich nicht, und Sie sollten es auch nicht. Denn je mehr man kontrolliert, desto größer werden die Zweifel und Sorgen. Das ist ein Teufelskreis, ähnlich wie bei Zwangskranken, die um so mehr zweifeln, ob der Herd aussieht, desto öfter sie es bereits kontrolliert haben. Und außerdem neigen die Menschen, die kontrolliert werden, oft auch zu Trotzreaktionen im Sinne von: Du vertraust mir ja eh nicht. Dann kann ich auch ruhig mal fremd gehen. Das ist also keine Lösung.
Sie brauchen Vertrauen, und Vertrauen ist etwas, das BEIDE herstellen müssen und das bei immer wieder pflegen müssen, wenn es Risse bekommen hat. Aus meiner Sicht ist er jetzt am Zug, denn er die Risse zu verantworten.
Beim Thema Vertrauen ist es wichtig, auf das Bauchgefühl zu hören und sich auf keine faulen Kompromisse einzulassen. Denn eine Beziehung hat ohne Vertrauen keine Aussicht auf Glück.
Herzliche Grüße
Julia Peirano