Anzeige
Anzeige

Wenn Familien auswandern Unser Leben im Traumland vieler Eltern - in Schweden

Wenn man als Familie die Koffer packt und seine Zelte in Deutschland abbricht, steht man am Beginn eines großen Abenteuers. Im zehnten Teil unserer Serie erzählt Eva Häußling von ihrem Familienleben in Schweden.

Seit 20 Jahren lebt Eva Häußling in Schweden. Ihr Mann Mikael ist gebürtiger Schwede - genauso wie ihre drei gemeinsamen Kinder. Der Älteste, Bartolomeus, hat in diesem Jahr sein Abitur an der Deutschen Schule in Stockholm gemacht  und wird in Zukunft in Berlin studieren - und das, obwohl er noch nie länger in Deutschland gelebt hat.  Im zehnten Teil der stern-Reihe "Wenn Familien auswandern" erzählt Eva Häußling von ihrem Familienleben im hohen Norden - und verrät, ob das schwedische Sozialsystem wirklich so toll ist wie sein Ruf.

Family Facts

Neben dem Ältesten, dem 19 Jahre alten Bartolomeus, haben Eva Häußling und ihr Mann noch zwei Töchter: Die 15-jährige Josefine und die neunjährige Pauline. Die beiden Mädchen gehen auf die Deutsche Schule in Stockholm und wundern sich manchmal sehr über ihre deutsche Verwandtschaft: "Pauline findet es immer sehr lustig, wenn sie im Winter in Deutschland sieht, dass sich manche mit Regenschirmen gegen Schneefall schützen", erzählt ihre Mutter. "Auf diese Idee würde in Schweden niemand kommen."

Was unterscheidet Elternsein in Schweden vom Familienleben in Deutschland?

Wie ich nach Schweden kam
Ich habe meinen Mann Mikael in Deutschland kennengelernt, er war mein Tischherr auf einem Ball - sehr romantisch. Mikael hat damals in Deutschland gearbeitet und nach unserer Hochzeit haben wir uns entschieden, nach Schweden umzuziehen. Das war für mich als deutsche Juristin nicht einfach. Ich habe mich aber nicht entmutigen lassen und einen tollen Job gefunden. Nach fünf Jahren in einem schwedischen Unternehmen hatte ich Sehnsucht nach mehr Deutschland und habe die Leitung der Rechtsabteilung bei der Deutsch-Schwedischen Handelskammer in Stockholm übernommen. Inzwischen arbeite ich beim schwedischen Arbeitgeberdachverband Svenskt Näringsliv in der Internationalen Abteilung.

Wenn mein Mann Mikael nicht auf Geschäftsreise ist, arbeitet er im Home Office, da das Headquarter seiner Firma mehrere hundert Kilometer entfernt ist. Gerade für unsere Jüngste ist es natürlich schön, wenn der Papa da ist, wenn sie von der Schule nach Hause kommt.

Hausfrauen sind eine Seltenheit
In Schweden ist es selbstverständlich und meistens auch aus finanziellen Gründen notwendig, dass beide Elternteile arbeiten. Eltern, die mit ihren Kindern mehrere Jahre zu Hause bleiben, sind sehr rar. Ein solches Kind hätte in seiner Nachbarschaft auch gar keine Spielkameraden, da die meisten Kinder mit 18 Monaten in die Kita gehen und die Eltern zur Arbeit zurückkehren. Man ist keine Rabenmutter oder ein Rabenvater, nur weil man wieder arbeitet, wenn das Kind auch erst ein Jahr alt ist.

Wenn man im Geschäftsleben weiß, dass jemand kleine Kinder hat, würde man mit dieser Person keine Besprechungen vor 9 Uhr oder nach 16 Uhr einplanen. Es muss immer damit gerechnet werden, dass Kinder zu diesen Uhrzeiten zur Kita gebracht oder geholt werden müssen.

Das oft kopierte schwedische System
Dank der guten Kinderbetreuungsmöglichkeiten in Schweden waren Familie und Beruf für uns beide gut zu vereinbaren. Unsere Kinder sind bereits mit zwölf Monaten in die Kita oder zu einer Tagesmutter gegangen. In Schweden haben Eltern anderthalb Jahre Elternzeit und bekommen für 16 Monate 80 Prozent ihres Gehalts von der staatlichen Sozialversicherungskasse, jedoch nicht mehr als 3000 Euro brutto pro Monat. Dem Arbeitgeber entstehen also grundsätzlich keine Kosten. Die Elternzeit soll zwischen den Eltern aufgeteilt werden. Man darf sich gegenseitig Elterngeldtage abtreten, 60 Tage muss aber jeder Elternteil selbst in Anspruch nehmen. Dieses System gibt es schon seit vielen Jahren und Deutschland hat bei der Änderung seiner Elternzeitregelungen sicher Schweden zum Vorbild gehabt.

Aber nicht alles ist perfekt
Für mich war es immer eine Selbstverständlichkeit, eine Familie und einen Beruf zu haben. Das wurde mir in Schweden sicher leichter als in Deutschland gemacht. Doch verdienen auch in Schweden nach wie vor Männer mehr als Frauen in vergleichbaren Positionen und eine Quotierung in Verwaltungs- oder Aufsichtsräten wird immer wieder diskutiert. Wenn ich in Deutschland geblieben wäre, weiß ich nicht, ob ich meinen Beruf so hätte ausüben und drei Kinder mit meinem Mann ohne fremde Hilfe großziehen können.

Sind die Kinder krank, wird "gevabbt"
Kinder werden ja auch mal krank und was passiert dann? Da hält das schwedische System eine großartige Lösung bereit, die den Arbeitgeber finanziell nicht belastet. Für jeden Tag, den ein Elternteil mit einem kranken Kind, das nicht älter als 12 Jahre ist, zu Hause bleiben muss, erhält er/sie Elterngeld in Höhe von 80% des Gehaltes, jedoch nicht mehr als 105 Euro brutto pro Tag. Die Eltern haben das Recht pro Kind und pro Jahr bis zu 120 Tage zu Hause zu bleiben! Dieses Elterngeld wird von der schwedischen staatlichen Sozialversicherung gezahlt und wird kurz VAB (vård av sjukt barn) genannt. In der Umgangssprache hat sich daraus das Verb "vabben" entwickelt.

Es ist in Schweden im Geschäfts- und Arbeitsleben übrigens völlig in Ordnung, zu vabben. Wenn unsere Kinder krank sind, lösen wir das meistens folgendermaßen: Wir besprechen, wer von uns beiden sehr wichtige Termine hat, die schlecht verschoben werden können. Dann geht derjenige mit den wichtigeren Terminen zur Arbeit und der andere bleibt beim Kind. Oftmals teilen wir uns den Tag auch auf und jeder bleibt einen halben Tag zu Hause. Man kann nämlich auch nur halbe Tage vabben. Das hat die letzten 18 Jahre eigentlich immer prima geklappt.

Was ich vermisse
Ich bin ja schon recht lange in Schweden, aber trotzdem gibt es nach all den Jahren immer noch einige Dinge, die ich gerne aus Deutschland mitbringe. Das sind Schattenmorellen im Glas für die Schwarzwälder Kirschtorte, Opekta 3:1 (eine Gelierhilfe, Anmk. der Red.) fürs Marmeladekochen und Vanillepudding. Vermissen tue ich auch die Annodazumal-Brötchen und das Dinkelbrot vom heimischen Bäcker sowie im Herbst den Federweißen und Zwiebelkuchen.

Blaumachen erlaubt
In Schweden können Eltern mit ihren Kindern schon mal in Urlaub fahren, auch wenn keine Ferien sind. Dies wird der Schule dann einfach mitgeteilt und diese hat keine Möglichkeit, eine Reise während der eigentlichen Schulzeit zu verhindern. Für den Schulbetrieb ist das natürlich keine gute Sache.

Das schwedische Schulsystem
Schulnoten gibt es in Schweden erst ab der sechsten Klasse. Es gibt auch keine Unterteilung in Haupt-, Realschule und Gymnasium, sondern alle gehen zwölf Jahre zur Schule. In den letzten drei Jahren sucht man sich dann eine Schule mit einer bestimmten Ausrichtung aus. Das kann auch eine berufliche Ausrichtung wie zum Beispiel Automechaniker sein. Wer nach dem sogenannten "Studentexamen" nach der 12. Klasse studieren will, wählt meist eine naturwissenschaftliche, sprachliche oder gemeinschaftskundliche Richtung.

Wenn man eine Arbeit sucht, sind Noten und Studienabschlüsse nicht so wichtig wie in Deutschland. Es wird eher großen Wert auf das Sozialverhalten gelegt und ob die Person gut zum Unternehmen und den Menschen dort passt.

Das Gesetz von Jante

Das Jantelagen - ein ungeschriebenes Gesetz in Skandinavien - besagt, dass man weder auffallen noch glauben soll, dass man etwas Besonderes ist. Etwas übertrieben ausgedrückt könnte das Jantelagen im wirklichen Leben so aussehen: Ich trage ein tolles, edles und teures Halstuch und treffe eine Freundin, die das Tuch bewundert. Die richtige Antwort darauf wäre: "Ach, der alte Fetzen, den habe ich im Schrank gefunden, das ist doch nichts Besonderes".
Kinder werden nicht dazu erzogen, immer die Besten in allem zu sein. Wo das Jantelagen allerdings meines Erachtens nach nicht gilt, ist im sportlichen Bereich. Dort "pushen" Eltern ihre Kinder oft zu Hochleistungen. Nach langen Schultagen haben viele Kinder abends und am Wochenende noch sportliche Aktivitäten und Wettkämpfe. Das ist schon manchmal hart.

Mit Kindern in der Notaufnahme
Wenn die Kinder am Wochenende oder nachts akut krank werden, muss man mit ihnen zum Kinderkrankenhaus zur Notaufnahme. Dort gibt es wenige Ärzte und wir haben schon ganze Nächte verzweifelt mit einem kranken Kind in der Notaufnahme verbracht. Die kinderärztliche Versorgung außerhalb der normalen Praxiszeiten ist in Schweden leider nicht sehr gut.

Deutsch-Schwedisches Weihnachten
Unsere Töchter besuchen in Stockholm die Deutsche Schule. Es ist eine sogenannte Begegnungsschule und folgt dem schwedischen und deutschen Lehrplan. Es werden deutsche und schwedische Feste gefeiert. Am 6. Dezember zum Beispiel kommt der Nikolaus und am 13. Dezember wird das Lucia-Lichterfest mit der ganzen Schule in der Deutschen Kirche gefeiert. Zu Weihnachten haben wir unsere eigenen Traditionen entwickelt. Am 23. Dezember feiern wir den kleinen Heiligabend (lilla julafton) eine Tradition aus dem Süden Schwedens (Skåne), der Heimat meines Mannes. Da wird dann schon mal der Weihnachtsschinken probiert und Glögg (skandinavischer Glühwein) getrunken. Am Heiligabend kommt morgens das (deutsche) Christkind und legt ein Geschenk für jeden unter den Weihnachtsbaum. Am Nachmittag folgt dann der (schwedische) Weihnachtsmann (jultomte) mit den restlichen Geschenken. An Heiligabend essen wir das traditionelle Julbord mit Köttbullar, Hering, Schinken, Kartoffeln, Lachs, wie man es von Michel aus Lönneberga oder den Kindern von Bullerbü kennt. Dazu trinken wir dann aber deutschen Nahewein vom Weingut meiner Brüder.

In Schweden pflegt man nicht so nahen Kontakt zu seinen Nachbarn, wie man es in Deutschland tut. Wir laden seit einigen Jahren alle Nachbarn – wir wohnen in einer Einfamilienhausgegend – im Advent zu einem deutschen Adventskaffee mit Stollen, Plätzchen und Glühwein ein. Wir sind dann um die 25 Kinder und Erwachsene. Die Nachbarn finden es herrlich, kommen jedes Jahr sehr gerne, würden aber selbst nichts Derartiges machen.

Kein Alkohol unter 18
Als Bartolomeus mit 16 Jahren ein halbes Jahr in Deutschland war, hatte er sich daran gewöhnt, dass er abends auch mal in einer Kneipe ein Glas Bier oder Wein trinken durfte. Zurück in Schweden musste er sich das sofort wieder abgewöhnen. Alkohol darf erst ab 18 Jahren in Kneipen oder Restaurants getrunken werden. Ohnehin darf man Alkohol nur in den staatlichen Monopolgeschäften kaufen und das erst ab 20 Jahren. Diese strenge Politik ist gegenüber jungen Menschen sicher sinnvoll. Als Bartolomeus dann nach seiner Rückkehr aus Deutschland in Stockholm abends bei Vapiano essen gehen wollte, durfte er das Lokal gar nicht erst betreten, da dort Alkohol ausgeschenkt wurde. Es ist also für die unter 18-Jährigen gar nicht so einfach, mal nett auszugehen. 
Diskussionsfreudiger Haushalt

Manchmal werde ich im Bus oder in der Bahn seltsam angeschaut, wenn ich mit den Kindern lauthals auf Deutsch diskutiere. Die deutsche Sprache kann schon sehr autoritär rüberkommen. Außerdem sind die Schweden eher zurückhaltend und diskutieren nicht so viel. Das ist bei uns ganz anders. Wir können hier zu Hause regelrechte Debatten über alle möglichen Themen führen und das geht manchmal ziemlich hoch her. Das finde ich herrlich, ist aber in schwedischen Familien eher nicht üblich. Schweden kritisieren andere ungern und schon gar nicht vor anderen. In meinen 20 Jahren hier bin ich ein einziges Mal von einem Schweden öffentlich kritisiert worden. In Deutschland ist mir das schon weit öfter passiert.

In Deutschland ganz normal, in Schweden ein Skandal?
Wenn man in Deutschland eingeladen ist, behält man normalerweise die Straßenschuhe an. Das ist in Schweden nicht üblich. Entweder bringt man ein paar weitere Schuhe für drinnen mit oder geht in Strümpfen.

Alkohol darf in manchen Parks und zu bestimmten Uhrzeiten gar nicht getrunken werden. Ein Picknick mit einem Glas Sekt ist also an vielen Orten verboten.

In Schweden ganz normal, in Deutschland ein Skandal?
In Schweden sprechen sich alle mit dem Vornamen an und duzen sich - das ist in Deutschland vor allem im Geschäftsleben wohl eher keine gute Idee …

Lesen Sie in den anderen Teilen unserer Reihe, wie das Leben deutscher Familien in MexikoSüdafrikaFrankreichIstanbulShanghaiRom
DubaiBangkok, und den Südstaaten der USA aussieht.

Mehr zum Thema

Newsticker

VG-Wort Pixel