Herr Henssler, sind Sie ein Workaholic?
Nee, wie kommen Sie denn darauf?
Sie machen TV-Shows, betreiben drei Restaurants, schreiben Bücher, gehen auf Tourneen, haben eine Kochschule und eine Plattenfirma. Das klingt nach einem ziemlich rastlosen Menschen.
Na ja, wenn Sie das jetzt alles so aufzählen, denke ich auch: Wow, der Mann kann kein Privatleben haben. Hab ich aber. Keine Sorge. Ich mache das ja nicht alles allein und auch nicht alles auf einmal. Ich habe ein richtig gutes Team. Leute, die ich lange kenne.
Aber Ihr Leben ist schon ziemlich durchgetaktet. Einen Termin für unser Gespräch zu finden war nicht einfach.
Ich arbeite gern und viel. Das nervt mich ja auch nicht. Im Gegenteil: Ich hab da richtig Bock drauf.
Waren Sie schon immer so ein Daueraktiver?
Ja, schon als Kind.
Ihre Mutter ist an Krebs gestorben, als Sie neun waren.
Ja, das hat mir gezeigt, wie schnell das Leben vorbei sein kann. Vielleicht lebe ich deshalb heute so sehr nach dem Motto: Carpe diem, nutze den Tag. Du weißt nicht, was morgen ist. Ich habe diese Gier nach Leben.
Was passierte nach dem Tod Ihrer Mutter?
Meine Eltern waren damals schon getrennt. Ich lebte bei meiner Mutter in Pinneberg, und wir hatten ein wirklich tolles Verhältnis. Nach ihrem Tod musste ich sofort weg aus Pinneberg und zog zu meinem Vater nach Hamburg. Das war für mich eine komplette Umstellung, mein kompletter Alltag änderte sich.

Was empfanden Sie?
Das war schon ziemlich heftig, eine sehr harte Zeit. Mehr will ich dazu jetzt nicht sagen.
Ihr Vater war damals schon Gastronom und im Dauereinsatz.
Ja, auch für ihn war das eine Riesenumstellung und bestimmt nicht einfach für beide. Aber wir haben uns zusammengerauft, und dann lief es sehr gut.
Sie haben ja noch Geschwister.
Ja, drei Brüder und eine Schwester, aber die kamen erst später. Damals war ich Einzelkind.
Sie gingen also auf eine neue Schule.
Ja, leider auf eine, die man sehr anspruchsvoll nennen kann. Von der ging man aufs Johanneum und studierte dann. Ich kam da an wie der Dorfdepp. Die sprachen im Deutschunterricht vom Plusquamperfekt. Und ich dachte: Alter, was geht hier ab? Plusquamperfekt – das klang wie 'ne Krankheit aus den Tropen.
Und? Wie lief es weiter?
Na, sehr mäßig. Irgendwann sagte meine Klassenlehrerin, ich würde wohl später irgendwas Handwerkliches machen müssen. Nach der mittleren Reife war dann Schluss.
Und Sie haben was Handwerkliches gemacht.
Ja, eine Kochlehre in "Andresens Gasthof" in Bargum. Ich hatte da drei anstrengende, aber sensationelle Jahre. Die hatten gerade einen neuen Küchenchef bekommen, Torsten Ambrosius, ein angehender Sternekoch, der von Witzigmann kam. Der brannte förmlich. Der stellte alles infrage, wollte alles neu machen. Und er sah wohl irgendwas in mir und machte mich erst zu seinem Handlanger und dann zu seiner rechten Hand. Ich habe damals zwar auch viel auf den Sack gekriegt, aber irre viel gelernt.
War das Grundlage für den späteren Erfolg?
Absolut. Das war die Basis. Dazu kam, dass ich damals eine gewisse Härte entwickelt habe. Auch aufgrund der privaten Erlebnisse. Mich konnte nicht mehr viel erschrecken.

Sie haben jetzt selbst Kinder.
Ja, zwei großartige Töchter, neun und zehn Jahre alt.
Aus ehemaligen Partnerschaften.
Richtig. Zwei unterschiedliche Mütter. Ist manchmal so im Leben.
Altersmäßig liegen die beiden aber ziemlich dicht beieinander.
Tja, ist manchmal so im Leben.
Sehen Ihre Kinder ihren Papa mehr im Fernsehen als zu Hause?
Definitiv nicht. Beide sind regelmäßig bei mir. Wir verbringen viel Zeit miteinander. Das lasse ich mir nicht nehmen. Die beiden sind auch extrem lustig. Starke Charaktere. Ich finde, Vater von zwei Töchtern zu sein – mehr geht nicht. Absolut klasse.
Sind Sie ein strenger Vater?
Nö, das kann man nun wirklich nicht sagen. Das ist alles sehr locker bei mir. Ich lasse schon viel durchgehen. Und ich rede so mit den beiden, wie ich auch sonst rede. Da hätte ich vielleicht einen Hauch vorsichtiger sein sollen. Die hauen Sprüche raus, da fällt einem nix mehr ein. Ich frage mich, wie das erst in der Pubertät werden soll.
Kommen die Kids nach Ihnen?
Die beiden haben viel von mir. Ich muss fast "leider" sagen.
Inwiefern?
Ich muss, zum Beispiel bei Brettspielen, alles geben, um zu gewinnen. Und sehr aufpassen. Sonst ziehen die mich übern Tisch.
Und Sie sind mittlerweile neu vergeben?
Ja, schon seit ein paar Jahren. Und sehr glücklich damit.
"Bei mir gibt es wenig Grau" , haben Sie mal gesagt. Sind Sie ein Mann der Extreme?
Das klingt mir zu krass. Richtig ist: Ich bin kein Freund von Wischiwaschi. Entweder finde ich etwas gut, oder ich lasse es. Und wenn ich etwas mache, mache ich es richtig.
Sie sind keiner, der sich besonders viel mit Selbstzweifeln aufhält?
Das würde ich direkt so unterschreiben.
Sie verlieren nicht gern.
Ich trete nirgendwo an, um Zweiter zu werden.
Sind Sie ein schlechter Verlierer?
Finde ich nicht. Ich trete nicht nach.

Reiner Calmund hat mal gesagt, Sie seien "krankhaft ehrgeizig".
Das stimmt nicht. Ehrgeizig ja. Aber das ist ein gesunder Ehrgeiz. Ich muss nicht an jeder Ampel der Erste sein, der bei Grün losrennt.
Er meinte wohl den einen oder anderen Ausraster von Ihnen vor der Kamera.
Na, ja, ich bin schon mit Leidenschaft dabei. Und das macht mich auch aus. Da kann mir, wenn’s stressig wird, auch schon mal ein Fluch rausrutschen. Wo ist da das Problem? Ich bin ja kein Benimm-Trainer.
Haben Sie sich immer im Griff?
Ja! Nee. Hmm …, kommt drauf an. Wenn mich was wirklich nervt und es nicht aufhört, dann bricht es schon mal aus mir raus. Dann bin ich kein Chefdiplomat. Aber keine Sorge, es bleibt beim Schimpfen.
Zweimal haben Sie jetzt in der TV-Show "Schlag den Henssler" als Nachfolger von Stefan Raab gekämpft? Zufrieden?
Sie ahnen die Antwort: Schnell zufrieden bin ich nicht. Aber ich finde, die beiden Sendungen konnten sich insgesamt schon sehen lassen. Wir lernen aber noch. Alles andere wäre ja auch seltsam.
Ein bisschen hurtiger könnte es da schon zugehen. Es gibt Längen. Unter drei Stunden lief bisher nichts.
Das war bei Stefan Raab auch so. Die Sendung war immer lang. Das gehört auch zum Konzept. Und man kann bei einer Livesendung dieser Art nicht alles voraussehen. Aber man kann daran arbeiten, überflüssige Längen zu vermeiden. Und das tun wir.
Sind Sie als Erwachsener eigentlich schon mal so richtig auf die Schnauze gefallen?
Ach, es gab Rückschläge, und nicht alles lief immer sofort. Aber richtig auf die Fresse gefallen bin ich nie. Es gab allerdings mal eine Phase, als mein Vater und ich unser Restaurant "Henssler & Henssler" aufmachten …
Wieso? Der Laden ist doch immer voll.
Aber wir eröffneten am 7. September 2001. Vier Tage bevor die Türme fielen. Auf einmal kam keiner mehr. Das war in der gesamten Gastronomieszene so. Die Leute saßen zu Hause vor dem Fernseher und machten sich Sorgen, und keiner hatte Lust, essen zu gehen. Das ging beinahe drei Monate so. Ein neuer Laden hatte es da besonders schwer. Und wenn du Bankkredite am Laufen hast und Angestellte und die Miete bezahlen musst, aber praktisch null Umsatz machst, dann wird's dir schon mulmig. Aber irgendwann kamen die Leute.
Warum sind fast alle berühmten Köche Männer?
Weil die Branche insgesamt asozial ist. Im eigentlichen Sinne des Wortes: Man hat kein vernünftiges, soziales Leben, wenn man das ernsthaft betreibt.

Inwiefern?
Da sind die schwierigen Arbeitszeiten. Da sind der große Druck und das sehr raue Klima in den Küchen. Das ist offensichtlich vor allem etwas für einen bestimmten Männertyp. So Typen mit Dominanz-Gehabe. Das kommt natürlich auch im Fernsehen gut rüber. Hey, ich zeige euch mal, wer hier die Eier hat. Frauen sind da offenbar schlauer. Die haben das mit dem Geltungsdrang besser im Griff.
Aber sie sind offenbar auch in Ihrer Branche bisweilen Opfer. Kürzlich hat im stern eine junge Köchin von Sexismus und Übergriffen berichtet.
Wie gesagt, der Ton in unserer Branche ist manchmal etwas rauer, aber nicht nur. Ich selbst habe Fälle sexueller Belästigung nicht erlebt, auch nicht in meinen Läden, und mir sind auch keine zu Ohren gekommen.
Was wäre aus Ihnen geworden, wenn Sie nicht Koch geworden wären?
Ich bin mal als Schüler bei einer Berufsberatung gewesen. Da kamen am Ende zwei Vorschläge heraus: Tankwart und Forstgehilfe. Sie sehen: Ich hatte gar keine Alternative.
Wie kommen Sie runter?
Die Frage ist doch: Will ich überhaupt runterkommen? Ich fühl mich ganz wohl da, wo ich bin. Da muss ich nicht von runter.
Keine unerfüllten Träume mehr?
Das Ding ist: Wenn ich von was träume, dann mach ich es meistens einfach.
Stimmt es, dass Sie mal Profi-Boxer werden wollten?
Ja, das war eine Zeit lang eine echte Option. Ich habe auch vier Profi-Kämpfe gemacht.
Mit welchem Ergebnis?
Zwei gewonnen, zwei verloren. Irgendwann musste ich mich entscheiden: weiter an Sandsäcken trainieren oder den Kochlöffel schwingen.
Was passiert, wenn in einem Ihrer Restaurants einer randaliert und Sie anwesend sind?
Dann gehe ich hin und spreche zu ihm.
Und wenn er handgreiflich wird?
Dann wird er merken, dass ich zwei meiner Boxkämpfe gewonnen habe.
