Nur weil sie so heißt, ist die Miesmuschel nicht gleich schlecht drauf. Sie verdankt ihren Namen bloß der Verwandtschaft von „mies“ und „Moos“. Der Anblick, wie sie den Meeresboden in weiten Teppichen überzieht, ähnele dem von Moosbänken am Boden des Schattenwalds, hat mir mal jemand gesagt. Nordseewasser ist trüb, darum habe ich es selbst nicht gesehen, aber ich vertraue den Muschelfischern, seit ich sie als stern-Praktikant mal begleiten durfte, Sommer 1988, vor Föhr. Im Winter, sagten sie damals, sei die See deutlich klarer, und an den seichteren Stellen könne man sie dann sehen, die Bänke.
Auch damals ging das Gros der deutschen Muscheln schon an holländische Aufkäufer, wohl auch, weil bei uns in den 80er Jahren zu lesen war, die Miesmuschel sei eine Art Klärwerk der Nordsee. Damals konnte die Industrie ihren Chemiemüll noch ungehemmt in der Nordsee „verklappen“, wie sie verniedlichte, und mit jeder Muschel, wurde einem Bang gemacht, zerbeiße man eine kleine Giftgranate. Stimmte das aber?
Seit der Lebensreformbewegung in der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert hat man in Deutschland das Essen stets am besten noch über Gesundheitsauswirkungen verkaufen können – oder was man dafür hielt.
Ganz anders bei den Nachbarn, wo sich Essen über den Geschmack empfiehlt. So stehen in Frankreich Moules marinières – Muscheln nach Seemannsart – und in Belgien Moules frites – mit Fritten – bis heute auf der Karte, wovon die Krähen dort auch nicht früher vom Baum fallen. Im Gegenteil: Jede Art „gefährliche“ Krusten- und Schalentiere mit Gusto verzehrend, leben die Franzosen länger als wir.
Auch Holland hat sich die Muschel nie vermiesen lassen, sie war und ist dort sehr populär. Gern wird sie dort in Essig eingelegt, so wie man es bei uns mit gerollten Möpsen macht. Am Niederrhein habe ich Mosselen in het zuur früher oft jenseits der Grenze gekauft; seit meinem Fortzug von dort bereite ich sie mir selbst zu. Das geht! Essigsaure Muscheln sind allerdings mehr Snack als Mahlzeit. Sie sind ein drolliges Nebenbei zu Bier, zu Korn und zu Skat. Technisch ist ihre Zubereitung einfach.
Wie Soleier setzt man die Muscheln rechtzeitig an, hält sie kalt vor und holt sie eine halbe Stunde vor ihrem Einsatz aus dem Kühlschrank. Für alle ohne Fischhändler: In Großmärkten gibt es auch vorgegarte Muscheln, das abgekochte Fleisch ohne Schale – damit würd ich es mal versuchen, so ich keinen hätte, der mir frische Muscheln besorgt.

Die Muscheln deckeln und rütteln
Ich nehme 1 kg frische Muscheln, Weißweinessig, Schalotten, frische Lorbeerblätter (wenn’s geht), Wacholderbeeren, schwarze Pfefferkörner und 1 Zitrone. Ferner habe ich ein Weckglas zur Hand, in dem ich den Lohn meiner Mühen später lagere und verlockend präsentiere.
Die Muscheln putze und wasche ich, d. h., ich schrubbe sie unter fließendem Wasser. Bei der Gelegenheit reiße ich ihnen auch die Byssus-Fäden vom Leib, sollten da welche zwischen den Schalen hervorschauen. Byssus-Fäden sind weder giftig, noch schmecken sie schlecht (eigentlich schmecken sie gar nicht), nur mag ich auf ihnen nicht unbedingt kauen – aus den langen Byssus-Fäden der Mittelmeermuschel pinna nobilis wird bis heute eine Art Seide gewoben; das sollte wohl alles sagen.
Muscheln mit angeknacksten oder offenen Schalen schmeiße ich weg.
Einen großen (!) Topf erhitze ich stark, gieße 150 ml trockenen Weißwein hinein und deckle die Sache, wodurch umgehend ein dicker Schwall Dampf entsteht. Kurz den Topf öffnen, die blitzsauberen Muscheln alle zugleich krachend in den Topf kippen, gleich wieder den Deckel auflegen und die Muscheln für ca. 3 Minuten volle Pulle garen.
Der Dampf erhitzt die Schalen und diese den innen verschlossenen Saft. Kälte können Muscheln gut ab, Hitze nicht. Immerhin dauert es nicht lang, bis ihnen blümerant wird: Rasch sagen sie: „Lass fahren dahin!“, geben erst die Hoffnung und dann den Löffel ab, sie öffnen die Schalen, und ihr austretender Muschelsaft vereint sich mit dem Wein zu einer köstlichen Brühe. Taschen des Widerstands beseitige ich durch beiläufiges Rütteln des Topfes.
Ich lupfe den Deckel und spinxe: Na, sind alle gut exekutiert? An den offen stehenden Schalen erkenne ich: Ja! Ich schütte die Ladung in einen Durchschlag und fange den Muschelsaft in einer Schüssel auf.
Das sich abkühlende Muschelfleisch klaube ich sanft aus den Schalen und lege es in einen tiefen Teller, die Schalen selbst entsorge ich. Hätte ich Hühner, würde ich sie zerstoßen und den Vögeln geben, als Kalkquelle für ihre Eier.
Den Muschelsaft filtere ich durch ein feines Sieb in eine Kasserolle, gieße 150 ml Weißweinessig hinzu, koche beides zusammen einmal kurz auf und stelle die Kochplatte aus. Der Flüssigkeit füge ich nun hinzu: 2 Schalotten in feinen Ringen oder Streifen, 2 frische Lorbeerblätter, 1 TL hübsch pralle, angedrückte Wacholderbeeren, 1 EL leicht angedrückte schwarze Pfefferkörner sowie 1 Biozitrone in schönen Scheiben.
Ein Weckglas in geeigneter Größe fülle ich im Wechsel mit Muschelfleisch, Schalotten und dem anderen Klumpatsch und gieße den sauren Sud fast randvoll darüber. Ich deckle das Glas und lasse es für einen Tag im Kühlschrank ziehen.
Dann habe ich mir Zechkumpane eingeladen und serviere die Muscheln mit Schwarzbrot, Käse und Schmalz zu irgendeinem Zeitvertreib. Wein schmeckt nicht zu Muscheln in Essig, ich würde dazu ein kaltes Bier und einen Aquavit empfehlen.
Aber das Brot muss den Muscheln Kontra geben, darum habe ich immer rheinisches Schwarzbrot im Haus, von dem ich mir ein Paket aus dem Eisfach nehme.
