Auch mir tust du, oh gute Pute, nicht wenig leid, aber auf dem Teller endet mein Mitgefühl auch schon. So kommt es, dass ich dich ganz gern esse, wenn auch nur selten und dann – Weihnachten ausgenommen – bevorzugt in geschmorter Form. Dein Brustfleisch meide ich, weil es auch in gebratenem Zustand a) nach wenig schmeckt und b) meist von Leuten bestellt wird, von denen ich bereits sicher weiß oder es als sicher annehmen kann, dass sie eine Meise haben.
"Ich nehm den Salat mit Putenbruststreifen …" ist ein Satz, der bei mir beim Hören die Schublade mit der Aufschrift
"div. Vögel" öffnet. Um daraus und nur aus der Unterrubrik Meisen einige zu nennen: die Kohlmeise (lügt), die Blaumeise (trinkt), die Haubenmeise (spinnt), die Schwanzmeise usw. Der Entdecker der Salatmeise (Parus gamerschlagi) bin ich, und ich erkenne sie sicher an ihrem Essverhalten.
Der Esser von Salat mit Putenbruststreifen weiß nichts von der Welt, oder ihm ist alles egal. Überhaupt sitzt er schon im falschen Laden, allein weil das Lokal diesen Erzlangweiler des Schnellverzehrs überhaupt führt – gut, ich sitze auch da, sonst wäre ich ja kein Zeuge der Bestellung, aber mich zwingt nur die Verabredung zur Anwesenheit, und ich bleibe auch nur so lange, wie es sein muss.
Verhaltensmuster der Salatmeise
Kommt das Gericht aus der Küche, fehlt es dem Haufen aus Salatblättern, Pinienkernen, Rauke, Crema di Balsamico, Himbeeren und trockenen Bruststreifen meist sogar noch an Olivenöl, da der Koch (natürlich zu Recht) davon ausgehen kann, dass es nur bestellt wurde, um jegliches Fett zu meiden. Warum nicht gleich Reiswaffeln?
Nun aber zurück zu dir, du gute Pute. Wenn ich etwas an dir schätze, dann deine Keulen und dort besonders die Schenkel! Erlaubt es mir eine Sonderzahlung aus Weihnachts- oder Urlaubsgeld, kaufe ich sie in Bioqualität und weiß mein Geld gut angelegt. Und noch etwas weiß ich: Keulenfleisch gehört geschmort.
Denn deine Schenkel stemmen all das Brustgewicht, das du bei Lebzeiten mit dir trägst, sodass sie durch die Erfüllung dieser Aufgabe halt fester sind und daher geschmort gehören und nicht gebraten.
Beim Einkauf bieten sich folgende Optionen: natürliches Fleisch oder gepökeltes; das Fleisch männlicher oder weiblicher Tiere (ca. 1,4 kg bzw. ca. 700 g pro Oberkeule); noch knochiges oder bereits entbeintes Fleisch. Manche Betriebe liefern fertige Rollbraten im Netzmieder; ich löse es ab, entrolle das Fleisch, würze es, rolle es wieder auf und steck's zurück ins Netz.
Für die folgende Zubereitung sind Form und Gewicht egal, nur die Garzeit ändert sich (gepökeltes Fleisch nicht salzen, da es schon Salz enthält; auch färbt Pökelsalz das Fleisch beim Garen schweinchenrosa).
2–3 EL Öl in einem Bräter bei mittelstarker Hitze einige Minuten erwärmen, das Putenfleisch, gesalzen und gepfeffert, ringsum für 5–10 Minuten goldbraun anbraten und dann herausnehmen. Das Öl abgießen (nicht in den Ausguss, sondern durch einen Trichter in eine später zu entsorgende Altölflasche). Den Bratensatz mit 1 EL Mehl bestäuben, das Mehl anrösten, mit 250 ml Retsina ablöschen und die Flüssigkeit auf- und fast ganz verkochen lassen. Den Saft von 3 Orangen sowie 200 ml Geflügelfond zufügen. 2–3 Knoblauchzehen und 3 Zwiebeln in Achteln dazugeben.
Das Fleisch zurück in den Bräter setzen und in den auf 200 Grad vorgeheizten Ofen schieben, die Temperatur nach 20 Minuten auf 160 Grad zurückschalten, etwas bedeckende Alufolie locker auflegen und den Braten geduldig garen lassen – je nach Mächtigkeit des Bratens dauert das bis zu 2 Stunden, das Geschlecht und damit die Größe des Vogels sind entscheidend. Das Fleisch ist gar, wenn es mit einer feinen Fleischgabel mühelos eingestochen werden kann. Den Braten in einer Schale im ausgeschalteten Ofen bei offener Tür ruhen lassen.
Den Bratensud durch ein Sieb in eine Sauteuse gießen, dabei Zwiebeln und Knoblauchzehe gut ausdrücken. Den Bratenfond sprudelnd auf ca. 250 ml reduzieren – die Sauce sollte leicht sämig sein, reicht die Zeit nicht zum Einkochen, dann mit kalt angerührter Speisestärke andicken. Hübsch ist es, den Braten mit ausgelösten Granatapfelkernen zu servieren.
Wer eine ganze große Oberkeule kauft, kann gleich zwei Gerichte daraus zubereiten – die Keule fleischseitig am Knochen aufschneiden und den Kameraden auslösen. Die einzeln erkennbaren, knubbelig geformten inneren Muskeln heraussezieren und mund gerecht schneiden. Die verbliebene Keule salzen, pfeffern und z. B. mit Berberitzen würzen, dann zum Braten aufrollen und binden. Die separierten Fleischstücke beim Anbraten der Keule mitgaren und als Gulasch servieren (z. B. für Onkel Hans).
Ein paar Variationen der Sauce
Nun zu den Spielereien: Puten und Enten mögen die kulinarische Gesellschaft von Orangen. Deren Beitrag lässt sich stärken, indem man der Sauce den Abrieb 1 Orange zufügt. Auch kann man dem Saucenansatz beim Einkochen 1 Schuss Triple Sec, Cointreau oder Grand Marnier zufügen (allesamt Orangenliköre).
Der Sauce fehlt es an Farbe? Da kann ein Dreifingerzwack von Safranfäden helfen, der zwischen den Fingern zerrieben und in 2 EL Wasser aufgelöst der Sauce zugefügt wird.
Oder man verfährt nach diesem Perser-Trick: Unabhängig vom Gericht kauft man 1 g Safranfäden im Glas (das ist keine geringe Menge und auch nicht billig), pulverisiert die Fäden zusammen mit 3 EL grobem Salz in einem Mörser, lagert sie in einem Glas mit Gummiring und Schnappverschluss. So präpariert lässt sich der teure Safran sparsam einsetzen, und man kann fortan trefflich mit ihm würzen, und zwar nicht nur Risotto Milanese.
