Signora Cucchiara, spätestens seit Ihren Auftritten in der Kochshow "Kitchen Impossible" kennt Sie halb Fernseh-Deutschland. Eigentlich führen Sie einen kleinen Lebensmittelladen in München, einen Alimentari, wie haben Sie es zum Duell mit Tim Mälzer geschafft?
Tim Mälzer und mich verbinden viele Jahre Freundschaft. Wir kennen uns seit 2013. Damals habe ich bei "The Taste" mitgemacht und Tim war Juror. Natürlich hat er mich rausgeschmissen!
Huch?!
Er meinte damals, ich sei ein Rohdiamant und solle mich nicht von diesem kleinen Löffel schikanieren lassen. Ich glaube, er wollte nicht, dass ich die Art, wie ich koche, ändere. Naja, irgendwann rief er mich dann an und meinte: "Wieso habe ich für 'Kitchen Impossible' eigentlich noch nie an dich gedacht?" So wurde ich zur Originalköchin und Sternekoch Sven Wassmer musste mein Vincisgrassi kochen. In der Staffel darauf war ich dann selbst Tims Gegnerin. Ich genieße es, vor der Kamera zu stehen. Egal, ob ich gewinne oder nicht.
Sie bezeichnen Tim Mälzer und Jamie Oliver als Ihre Idole. Warum die beiden?
Durch Jamie Olivers Kochsendungen habe ich gelernt zu kochen, wie ich koche. Das war lange bevor ich den Alimentari hatte und Jamie Oliver noch ganz jung war. Ich habe wie er einfach geschaut, welche Zutaten ich zu Hause habe und damit rumprobiert. Irgendwann habe ich nur noch so gekocht. Und dann traf ich Tim Mälzer bei "The Taste". Ich dachte mir: Okay, Jamie Oliver wird zwar immer mein Idol bleiben, aber den werde ich niemals treffen, also nehme ich Tim Mälzer. Tja, fünf Jahre später besuchte mich doch tatsächlich Jamie Oliver in meinem Alimentari.
Beide Köche sind dafür bekannt, eine besondere Liebe für die italienische Küche zu haben, nennen Gennaro Contaldo ihren kulinarischen Ziehvater. Auch Sie werden hauptsächlich mit klassischer, traditioneller italienischer Küche assoziiert und für eine waschechte Italienerin gehalten. Dabei sind Sie in Argentinien geboren …
Sehr viele Menschen in Argentinien sind Italiener oder italienischer Abstammung. Auch in meiner Familie gibt es italienische Wurzeln. Es war normal, dass zu Hause viel italienisch gekocht wurde. Am besten hat meine Oma gekocht, von ihr habe ich viel gelernt. In Italien habe ich mich dann verbessert, verfeinert aber habe ich meine Kochkünste in Deutschland – schließlich musste ich als sogenannte Italienerin perfekt sein.
Sie haben als Musiktherapeutin gearbeitet, als Grafikerin, aber ausgebildete Köchin sind Sie nicht. Mit knapp 50 schmissen Sie trotzdem alles hin, um in München die Kochgarage zu eröffnen – eine Art Kochschule. Warum?
Mein Leben ist eine einzige Spontanentscheidung aus dem Bauch heraus. Ich war damals frisch geschieden, hatte ein bisschen Geld und diese coole Location. Außerdem habe ich das große Talent, spüren zu können, was Menschen brauchen. Durch Zufall war damals ein Fernsehteam zu einem Workshop bei mir und ich konnte beobachten, wie die Leute zu einer Mannschaft zusammenwuchsen. Daraufhin sagte ich zu meiner Schwester: Genau das müssen wir machen! Damals gab es – soweit ich weiß – solche Team-Building-Angebote und Coaching by Cooking nirgendwo. Eine richtige Kochschule war die Kochgarage aber nicht, eher eine Location für Koch-Events.
Und dort haben Sie den Menschen gegeben, was Sie brauchten? Was war das denn?
Das Motto meiner letzten 20 Berufsjahre: Kochen wie zu Hause. Es wirkt therapeutisch auf Menschen, wenn du ihnen das Gefühl gibst, wieder das kleine Kind in Mamas Küche zu sein. In unserer Kochgarage mussten sie sich nicht an irgendeine Etikette halten, sie konnten ganz frei sein – mit diesem Konzept waren wir sehr erfolgreich. Bis zur Pandemie kamen die größten nationalen und internationalen Unternehmen zu uns – von der Deutschen Bahn über Telekom bis Apple. Das war einmalig. Aber solche Events kosten Kraft. Man kocht ja nicht nur, man coacht und zieht eine große Show ab. Nach zehn Jahren war ich müde.
Sie haben es bereits erwähnt, Ihre Art zu kochen ist eine ganz besondere. So richtig viel von festgeschriebenen Rezepten halten Sie nicht, oder?
Einen richtigen Kochstil habe ich nicht, am ehesten ist es ein Improvisier-Stil. Ich mache meinen Kühlschrank auf und gucke: Was ist da? Was passt zusammen? Welche Richtung möchte ich kochen? Ich habe die Begabung, Aromen im Kopf interpretieren und speichern zu können und weiß, welche Zutaten zusammenpassen. Mein Gaumen erkennt, ob ein Gericht noch Säure braucht. Dann ist nur noch die Frage, ob ich Limetten oder Zitronen oder Cedros wähle.
Wollen Sie mir erzählen, dass Sie immer Limetten, Zitronen und Cedros zur Hand haben?
Meine Welt ist voller Lebensmittel. Wissen Sie, andere gehen bummeln, kaufen sich eine Kette, eine Tasche, Schuhe. Ich kaufe Lebensmittel. Wenn ich etwas improvisieren muss, fehlt es an nichts. Ich muss mir immer Mühe geben, dass meine Kühlschränke vor dem Urlaub leer werden. Ich schmeiße nichts weg, deswegen muss ich manchmal auch etwas mitnehmen.
In Ihrem neuen Kochbuch "Mamma mia: Italienische Rezepte mit Herz" erzählen Sie, dass Sie sogar das Olivenöl, in dem Artischocken eingelegt waren, zweitverwerten.
Oh ja, ich habe viele gefüllte Gläser und Flaschen. Kürzlich habe ich weiße, zarte Blätter von jungem Mangold in meinem Garten geerntet. Mein Plan: eine vegane Variante von "Sarde in saor" kreieren. Die Mangoldblätter dienten als Ersatz für die Sardinen. Die Blätter haben einen metallischen Bittergeschmack, kombiniert mit Olivenöl und einer Aceto Balsamico Bianco Crema schmecken sie ideal. Ich hatte nur zwei, drei Blätter, daher handelte es eigentlich fast eher um ein Amuse Gueule. Aber das war so geil! Ich werde versuchen, das Rezept aufzuschreiben. Manchmal klappt das aber nicht.
Wieso?
Das Gefühl, die Passion kann ich nicht weitergeben. In der Gastronomie wird seit einigen Jahren viel nach Listen und Plänen gekocht. Ein Jamie Oliver und ein Tim Mälzer haben bei Gennaro nicht nach Listen gearbeitet. Das war eine andere Art des Kochens.
"Es muss kein Hummer sein, mein Herz schlägt für die ehrliche Mamma-Küche", erzählen Sie im Buch. Was sind das für Gerichte, die Sie für "Mamma Mia" ausgewählt haben?
Die Verteilung ist klassisch: Antipasti, Primi, Secondi und Dolci. Ansonsten habe ich die Gerichte querbeet ausgewählt. Mamma-Küche ohne Chi-chi. Es sind auch viele alte italienische Rezepte darunter, zum Beispiel "Cáciù all'argintéra". Das ist ein typisch sizilianisches Gericht. In meinem Rezept wird Caciocavallo-Käse mit frischem roten Pesto aus Trapani, frischen Tomaten, Knoblauch, Mandeln und Minze zubereitet. Gekocht wird wie zu Hause. Ich wollte auch extra keinen Food-Stylisten fürs Buch haben. Die Gerichte sollten im Buch genau so aussehen, wie sie später auf den Teller kommen – sonst sind die Leute enttäuscht.
Gibt es ein Lieblingsrezept im Buch, das man unbedingt probieren sollte?
Man sollte die veganen Gerichte ausprobieren. Dabei handelt es sich um traditionelle alte Rezepte wie das "Panino cinque e cinque" – "Cecina", das ist eine Art Fladenbrot auf Basis von Kichererbsenmehl, mit gebratener Aubergine und scharfem Topping aus frittiertem frischen Peperoncino und Knoblauch. Das ist ein klassisches Streetfood aus der Toskana, in Ligurien nennt man es "Farinata". Ich finde es obergeil. Es ist weich, es ist crunchy und es ist umami. Und es ist ein Gericht aus meiner Kindheit. Damals habe ich es in Buenos Aires gegessen. "Farinata" gab es in der Pizzeria um die Ecke.
Multi-kulturelle Vielfalt in der Küche war Ihnen immer wichtig. Zeigt sich das auch im Kochbuch?
Nein, im Buch geht es ausschließlich um italienische Küche. Inzwischen koche ich unten im Alimentari, wo ich öffentlicher Mensch bin, nur noch italienisch. Oben bei mir zu Hause koche ich aber exotisch – mit Rosenwasser und all solchen Zutaten. Kochen ist für mich Reisen, Kulturen kennenlernen, Religionen und Traditionen. Ich reise dann gedanklich in die Gegend, aus der das Gericht stammt, stelle mir die Aromen vor. In der Kochgarage habe ich mich queerbeet durch die Küchen der Welt gekocht. Das vermisse ich immer noch.
Die Kochgarage ist der Corona-Pandemie zum Opfer gefallen, stattdessen betreiben Sie inzwischen erwähnten Alimentari. Außerdem bauen Sie eine Selbstversorgerfarm in Apulien auf. Andere hätten sich schon längst zur Ruhe gesetzt. Was treibt Sie an?
Ich bin zu aktiv im Kopf, als dass ich mich zur Ruhe setzen könnte. Ich muss immer etwas machen. Manchmal war es aber auch nötig, eine neue Tür aufzumachen. Ich bin nicht reich, keine Millionärin, ich muss arbeiten. Allerdings habe ich das Glück, dass ich selbst entscheiden kann, was ich jeden Tag arbeite. Außerdem wird mein Alimentari irgendwann abgerissen werden. Das ist der letzte alte Hof, der noch steht in München. Bislang hatte ich Glück, aber der Abriss wird kommen. Auch deswegen habe ich 2018 in Italien Land gekauft. Ich möchte mich dort irgendwann zur Ruhe setzen. Zumindest teilweise, ich brauche beides: die Münchner Stadt und das ländliche Italien.
Sie haben viel vor. Was planen Sie als Nächstes?
Gerade habe ich bei "Besserwisser" vom ZDF mitgemacht. Außerdem arbeite ich schon an meinem zweiten Kochbuch. Uuuund ich warte darauf, dass Tim Mälzer mich wieder anruft. Denn dieses Mal werde ich hartnäckig sein – das habe ich ihm schon gesagt.
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