Am 24. Februar 2022 greift Putin die Ukraine an. Seitdem werden etliche Städte zerstört und tausende Menschen verletzt und getötet. Bomben fallen vom Himmel und zersprengen ganze Landstriche. Schüsse sind zu hören. Millionen Menschen sind auf der Flucht und lassen hinter sich, was sie einst ihr Leben nannten.
Doch was tun, wenn man nicht nur für das eigene Leben und das seiner Familie verantwortlich ist? Was, wenn hunderte Hunde und Katzen auf einen angewiesen sind? Das Land verlassen, in einen anderen Ort fliehen oder im Bunker Schutz suchen – alles unmöglich. Genau diese Erfahrungen machen Tierschützer*innen in der Ukraine. Organisationen wie der kleine Verein White Paw, der bereits seit 10 Jahren Tierschutz in der Ukraine betreibt, wollen helfen. Aber auch die Tierrechtsorganisation Peta ist vor Ort. Nach Angaben der Organisationen konnten insgesamt schon mehr als 800 Tiere vor dem Krieg gerettet und in polnische Einrichtungen gebracht werden.
Befreundete Menschen und ihre Tiere retten: Eine Mammutaufgabe
Der Verein White Paw e.V. besteht aus 20 tierlieben Menschen. Seit 2011 setzen sie sich gemeinsam für Tierschutz im In- und Ausland ein. Dabei konzentrieren sie sich nach eigenen Angaben auf diejenigen Gegenden, die im Tierschutz weniger Aufmerksamkeit bekommen, wie beispielsweise Polen und die Ukraine.
Als Ende Februar die Ukraine in die weltweiten Nachrichtensendungen kam und markerschütternde Bilder und Botschaften durch die Medien gingen, war das für den Verein gleich in doppelter Hinsicht eine besorgniserregende Nachricht: Denn in mehr als 10 Jahren gemeinsamer Arbeit haben die Vereinsmitglieder*innen nicht nur Tiere gerettet, sondern auch Freund*innen dort gefunden.
"Wir sind das erste Mal losgefahren, als der Krieg ausgebrochen ist. Wir waren gleich Montag vor Ort und sind rüber gefahren nach Lwiw", erzählt die zweite Vorsitzende von White Paw, Melanie Vogelei, im stern-Interview über die gemeinsame Reise mit ihrem Ehemann. Noch am gleichen Tag brachten sie die ersten Tiere über die Grenze nach Polen. Sicherheit. Dann beginnt das Warten. Sehnsüchtig erwartet Vogelei mit ihrem Mann die Menschen und Tiere, die sich auf die Flucht begeben haben.
"Viele ukrainische Tierschützer wollten erst fliehen, mit der Zusage, dass wir alle ihre Tiere aufnehmen", erzählt Tierschützerin Vogelei. Mit den Worten "Bitte, bitte, rettet den auch noch" drückten die Tierschützer*innen Vogelei noch mehr Tiere in die Arme – obwohl vorher besprochen worden war, wie viele Tiere bei Transporten mit über die Grenze genommen werden konnten. Andere ukrainische Tierschützer*innen würden das Land nicht verlassen, weil sie die die Tiere nicht alleine lassen möchten. "Das sind die stillen Helden", sagt Melanie Vogelei. "Die Tierschützer in der Ukraine, die das Land nicht verlassen, um die Tiere nicht im Stich zu lassen. Das sind unsere Helden."

Peta-Kampagnenleiter über den Ukraine-Einsatz: "Die Lage vor Ort wird täglich schwieriger"
Viele Tierschützer*innen, Organisationen und Vereine sind an die Grenze oder auch in die Ukraine gefahren, um Mensch und Tier zu helfen. Neben White Paw auch die bekannte Tierschutzorganisation Peta. "Die Lage vor Ort war von Beginn an heikel, aber sie wird täglich schwieriger", so Daniel Cox, Leiter des Kampagnenteams bei Peta, der selbst vor Ort im Einsatz war. "Unter gefährlichen Bedingungen bringen ukrainische Tierschützer in Privathäusern zurückgelassene oder in Tierheimen lebende Hunde und Katzen aus Charkiw, Kiew und anderen Orten nach Lwiw. Dort nehmen wir sie in Empfang. Wir wissen abends nicht, ob wir am nächsten Tag wieder fahren können, oder ob in der Zwischenzeit auch Lwiw angegriffen wurde."

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Die Soldatin mit der letzten Katze
"In mein Hirn eingebrannt hat sich eine Volontärin, die schon mit ihrer Uniform kam, weil sie in den Krieg zieht", erzählt Melanie Vogelei über eine der Tierschützer*innen, die in der Ukraine auch Volontär*innen genannt werden. Die Soldatin brachte Vogelei eine Katze mit einem gebrochenen Bein und habe sie gebeten, sich um die Katze zu kümmern. Alle anderen Tiere hätte die Volontärin bereits zur Rettung verteilt gehabt, berichtet Vogelei mit schwerer Stimme. Die Katze sei das letzte Tier gewesen.
"Nimm sie, nimm sie. Dann zieh ich jetzt in den Krieg", zitiert Tierschützerin Vogelei die Soldatin. Die Frau sei "aus Herz und Seele Tierschützerin gewesen und muss jetzt in den Krieg ziehen." Melanie Vogelei muss kurz innehalten, als die Bilder wieder vor ihrem inneren Auge auftauchen. Die Soldatin hätte sie noch umarmt und sich "tausendmal" bei ihr bedankt. Die Katze mit dem gebrochenen Bein habe Vogelei dann nach Polen in die Tierklinik gebracht.

Nicht nur Hunde und Katzen bedroht
Neben Hunden und Katzen sind auch sogenannte Nutztiere in der Ukraine auf die Hilfe des Menschen angewiesen. Seit dem Krieg würden sie oft sich selbst überlassen, wo die früheren Besitzer*innen die Stalltüren nicht geöffnet haben, verhungern und verdursten sie in ihren Ställen.
Zootieren geht es ähnlich. Wenn niemand mehr da ist, der sie in ihren Gehegen und Käfigen füttert, droht ihnen der Hungertod. Durch den Krieg werden zudem auch Zoos von Raketen und Bomben getroffen, was bei den Tieren zu Verletzungen oder Panik führen kann. Die Rettung der Haustiere, die an den Menschen gewöhnt sind, ist schon schwierig genug. Die Farm- und Zootiere von der Grenze aus zu retten, grenzt ans Unmögliche.

Aufgeben ist keine Option
Genauso fatal ist die Kriegssituation auch für die Tierretter*innen. Eine Tierschützerin hänge beispielsweise in der Stadt Bucha fest. Der Rettungskorridor sei geöffnet, aber Tiere würden nicht evakuiert. Ein anderes Tierheim sei komplett von der Außenwelt abgeschottet. Die 700 Tiere und ihre Tierschützer*innen befinden sich in völliger Isolation.
Daniel Cox von Peta sieht im Aufgeben keine Option. Die Tierschützer*innen erlebten immer wieder berührende Schicksale. Wie zum Beispiel "das Bild einer zitternden, verängstigten Hundemutter, die sich nichtsdestotrotz schützend über ihre Kinder stellte […]. Hinter jedem einzelnen geretteten Tier steht ein solch dramatisches Schicksal. Das ist es, was uns den Mut gibt, nicht aufzugeben." Auch Melanie Vogelei ist im Interview sehr deutlich: "Wir sind noch nicht fertig mit unserer Mission", sagt Vogelei. "Wir geben nicht auf."

Ein Wunsch für nach dem Krieg
Melanie Vogelei hat einen ganz besonderen Wunsch, wenn sie ihre Gedanken auf die Zukunft konzentriert – die Zeit, in der hoffentlich kein Krieg mehr in der Ukraine herrscht. "Wir waren jetzt 10 Jahre lang ziemliche Einzelkämpfer in der Ukraine. Jetzt helfen alle und unser größter Wunsch ist, dass auch nach dem Krieg Leute dabeibleiben und uns beim Wiederaufbau helfen", formuliert sie.
Ihr läge das sehr am Herzen. Für die Straßenhunde sei schon immer Krieg gewesen – auch ohne Putin. Die letzten zehn Jahre harte Tierschutzarbeit, die für die Straßenhunde in die Ukraine geflossen sind, sind völlig umsonst gewesen. Nach dem Krieg wird die Lage nicht besser werden. "Zehn Jahre unserer Tierschutzarbeit sind quasi mit den Bomben in die Luft gegangen."
Gnadenlos, unbeugsam, furchtlos: der Krieg und seine vielen Gesichter

Damit droht der frühere Geheimdienstchef auch, sollten sich die USA oder die Nato in die "militärische Spezial-Operation" einmischen. Putin lehnt es zwar ab, dort von Krieg zu reden. Aber das Wort benutzt er längst selbst. Angesichts der beispiellosen internationalen Sanktionen spricht er von einem Wirtschaftskrieg, mit dem der Westen die Rohstoffgroßmacht zerstören wolle. Trotzdem zeigt sich Putin weiter siegessicher.
Wie man helfen kann
Insgesamt hat White Paw bislang 120 Tiere retten können, tausende weitere Tiere verbleiben aktuell noch in der Ukraine. Helfen kann man am besten mit Spenden. "Am besten kann man uns mit Geldspenden unterstützen", sagt Melanie Vogelei. Sie unterstützten weiterhin das polnische Tierheim in Orzechowce, indem ihre Tiere unterkommen, versorgten weiterhin die Tierschützer*innen, die in der Ukraine bleiben und haben "einen Haufen Tierarztkosten".
"Wir suchen gute Zuhause für die Tiere", fügt Vogelei hinzu. Vor allem tierversierte Menschen können mit einer Adoption von Hund oder Katz eine große Hilfe für die Tierschützer*innen sein. Wer sich die Aufnahme eines Tieres nicht zutraut, kann Flyer überall dort verteilen, wo sich tierfreundliche Menschen aufhalten: Bei Tierärzten, in Tierfachgeschäften, in Hundeschulen oder Pensionen, beim Hundefriseur oder im Park. Vielleicht ermuntert man damit andere zur Aufnahme eines Tieres. Flyer dafür stellt der Verein selbst zur Verfügung.
Sachspenden, vor allem Futter für die Tiere in Deutschland, werden derzeit ebenfalls dringend benötigt.
Weitere Infos zu Spenden gibt es auf der Website des Vereins.
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