Haben wir es geschafft? Ist die Coronavirus-Pandemie vorbei? Wenn es nach zwei deutschen Top-Medizinern geht, ja. Unabhängig voneinander wagen Christian Drosten, Chef der Virologie an der Berliner Charité, und Christian Karagiannidis, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Internistische Intensivmedizin und Notfallmedizin, zum Jahresende eine positive Prognose.
Christian Drosten äußert sich optimistisch
Drosten, dessen Expertise bereits zu Beginn der Pandemie stark gefragt war, sagte jetzt im Berliner "Tagesspiegel": "Wir erleben in diesem Winter die erste endemische Welle mit Sars-Cov-2, nach meiner Einschätzung ist damit die Pandemie vorbei."
Als Pandemie bezeichnen die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und Robert-Koch-Institut (RKI) "eine neue, aber zeitlich begrenzt in Erscheinung tretende, weltweite starke Ausbreitung einer Infektionskrankheit mit hohen Erkrankungszahlen und in der Regel auch mit schweren Krankheitsverläufen". Am 11. März 2020 rief die WHO die Covid-19-Pandemie aus.
Corona machte sie berühmt – das sind die Gesichter der Pandemie

Drosten sieht diese Phase inzwischen überschritten. Er gehe davon aus, dass "wir nach diesem Winter eine so breite und belastbare Bevölkerungsimmunität haben werden, dass im Sommer kaum noch Virus durchkommen kann", sagte er weiter.
So sieht es auch Christian Karagiannidis, der im Verlauf der Pandemie unter anderem das Divi-Intensivregister mit aufgebaut hatte. Er sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland: "Wir merken, dass die Immunitätslage der Bevölkerung solide ist und wir auf den Intensivstationen deutlich weniger Covid-Patienten haben." Er rechne damit, dass die Pandemie nach diesem Winter ausläuft. "Ich glaube nicht, dass wir noch einmal einen Rückschlag erleben." Beide gehörten seit Pandemiebeginn zu den engsten Beratern der Bundesregierung.
"Coronavirus wird uns begleiten"
Andere Experten pflichten ihnen bei. Der Vorsitzende der Ständigen Impfkommission (Stiko), Thomas Mertens, hatte bereits Ende Oktober gesagt, er halte Sars-CoV-2 inzwischen für ein endemisches Virus. Der Frankfurter Virologe Martin Stürmer stützt die Einschätzung ebenfalls: "Das Virus wird uns begleiten, es wird sich auch weiterentwickeln, aber es wird uns krankheitsmäßig nicht in der Form belasten, wie es die ersten Jahre passiert ist", sagte er im Westdeutschen Rundfunk.
Zumindest die nackten Zahlen scheinen den Fachleuten Recht zu geben. Laut RKI liegt die Sieben-Tage-Inzidenz zwar bei knapp 190, ein Wert, der in früheren Zeiten alarmiert hätte, die Belastung der Krankenhäuser durch Covid-Patientinnen und -Patienten geht jedoch zurück. Und auch die befürchtete Winterwelle ist bis dato ausgeblieben. Die Zahl der Todesfälle im Zusammenhang mit einer Sars-Cov-2-Infektion hat sich mittlerweile zwischen 100 und 150 am Tag eingependelt – weiterhin hohe Werte, doch wer sich umhört, spürt: Das Coronavirus hat seinen Schrecken verloren.
So ist es auch kein Wunder, dass die jüngsten Aussagen von Drosten, Karagiannidis und Co. die Politik auf den Plan rufen. Als einer der ersten meldete sich Bundesjustizminister Marco Buschmann zu Wort. Der FDP-Politiker forderte via Twitter: "Als politische Konsequenz sollten wir die letzten Corona-Schutzmaßnahmen beenden." Sie sind inzwischen ohnehin auf ein Mindestmaß zurückgefahren. Neben Besuchsregelungen in Kliniken und Pflegeheimen ist vor allem die Verpflichtung zum Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes in öffentlichen Verkehrsmitteln vielerorts eines der letzten Relikte aus den Hochzeiten der Pandemie.
Wie geht's weiter mit der Maskenpflicht?
Andere Politikerinnen und Politiker äußerten sich zurückhaltender als Buschmann. Für Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) gilt: erst mal gut durch den Winter kommen. Die Landesregierung in Schwerin von Manuela Schwesig (SPD) möchte die Isolationspflicht und die Maskenpflicht im Nahverkehr frühestens nach dem Winter kippen. Und Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) will im Januar neu entscheiden, wie es weitergeht – betont aber schon jetzt, dass ihm Eigenverantwortung beim Masketragen im Nahverkehr wichtig sei.

Auf Eigenverantwortung setzt auch der Präsident der Bundesärztekammer, Frank Ulrich Montgomery, in der aktuellen Lage: "Entspannung heißt ja nicht, dass man alle Vorsichtsmaßnahmen fahren lassen kann, man muss noch ein kleines bisschen auf sich und seine Umwelt achten", sagte er dem Bayerischen Rundfunk. Montgomery sprach sich für das Tragen von Masken in Arztpraxen aus – ebenso in engen und schlecht belüfteten Innenräumen. Als Beispiel nannte er U- und S-Bahnen im Berufsverkehr.
Arzt und Grünen-Gesundheitspolitiker Janosch Dahmen rief zu Geduld auf. Es sei sinnvoll, "wenn wir uns hier vor Ort nun noch einmal konsequenter durch Masken, Abstand und Lüften schützen und Infektionsketten nicht nur bei Corona (...) kurzhalten", sagte er der "Rheinischen Post" in Hinblick auf die vielen Personalausfälle im Gesundheitswesen. "Mehr Rücksicht wäre hier das Gebot der Stunde, denn es gibt guten Grund zur Hoffnung, dass es dank der Impfung zumindest mit Corona mit dem Ende des Winters in Deutschland vorerst auch vorbei sein dürfte."
Auch Gesundheitsminister Karl Lauterbach äußerte sich zurückhaltend: "Ein sofortiges Beenden aller Maßnahmen wäre leichtsinnig und wird auch von Christian Drosten nicht gefordert", sagte der SPD-Politiker. "Christian Drosten hat Recht, dass wir in den endemischen Zustand der Coronawellen übergegangen sind, die Wellen betreffen nur Teile der Bevölkerung", sagte Lauterbach. Trotzdem gelte es, jetzt noch die besonders gefährdeten Menschen zu schützen, etwa durch Masken in Pflegeeinrichtungen oder durch die Isolation am Arbeitsplatz.
Kliniken weiter belastet, Infektionswelle in China
Trotz der verhaltenen Euphorie in Sachen Corona: Die Kliniken in Deutschland ächzen weiter unter hoher Belastung, das kursierende RS-Virus und die Influenza sorgen für viele Krankenhauseinweisungen, und der hohe Krankenstand unter den Mitarbeitenden tut sein Übriges. Die Belastung des Gesundheitssystems ist unverändert hoch.
Und es bleibt bei allen Prognosen eine weitere große Unbekannte bei der Bewältigung der Coronavirus-Pandemie: Die Situation in China. Nach dem Ende der Null-Covid-Politik türmt sich eine dort bislang ungekannte Infektionswelle auf – mit dem Risiko, dass neue Mutationen des Erregers entstehen und diese auch nach Europa gelangen könnten. Längst wird daher in Deutschland über einen Stopp der Flugverbindungen dorthin diskutiert.
Grünen-Politiker Janosch Dahmen bleibt jedoch entspannt: "Deutschland ist (...) auch dank der nochmals angepassten Impfstoffe und vielen Auffrischimpfungen heute viel besser auf den Winter vorbereitet als in den vergangenen zwei Jahren. Das hilft uns auch mit Blick auf die Situation in China."
Top-Virologe Christian Drosten glaubt ebenfalls nicht, dass die Lage in China zu einer neuen Gefahr hierzulande wird und dass die Immunität hierzulande hoch bleibt. "Es sei denn, es gibt eine böse Überraschung, einen weiteren Mutationssprung. Aber auch das erwarte ich im Moment nicht mehr."
Quellen: Robert-Koch-Institut (1), Robert-Koch-Institut (2), "Tagesspiegel" (kostenpflichtiger Inhalt), Redaktionsnetzwerk Deutschland, "Rheinische Post", Westdeutscher Rundfunk, Bayerischer Rundfunk, Marco Buschmann bei Twitter, Nachrichtenagenturen DPA und AFP