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Tragepflicht lockern Debatte um Masken: "Ausgerechnet beim Mundschutz versagt die Regierung als Ordnungsstifterin"

Nutzer reagieren auf Spahns geplante Lockerungen zur Maskenpflicht
Sehen Sie im Video: "Wie viel Sinn macht das noch?" – Nutzer reagieren auf Spahns geplante Lockerungen zur Maskenpflicht.
Kann die Maske bald runter? Politiker:innen und Expert:innen sind sich einig, dass sie zumindest im Freien nicht mehr getragen werden muss. Doch das heißt nicht, dass die Maskenpflicht ganz fallen soll. So kommentiert die Presse die Debatte.

In der Diskussion über die Maskenpflicht gibt es kaum Widerspruch gegen Lockerungen im Freien – aber viele Warnungen von Experten und Politikern vor zu frühem Verzicht in Innenräumen. "Wenn wir in puncto Impfquote bei 70 Prozent angelangt sind, und die Inzidenzen weiterhin auf niedrigem Niveau bleiben – dann ist der richtige Zeitpunkt für solche Diskussionen gekommen", sagte der Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (Divi), Gernot Marx, der Düsseldorfer "Rheinischen Post" mit Blick auf Innenräume.

Derzeit haben rund 26 Prozent der Bürger:innen die für den vollen Impfschutz nötige Impfdosis bekommen – wenn man die zweiwöchige Wartezeit bis zur vollen Wirkung einbezieht, sind erst knapp 18 Prozent voll impfgeschützt. Bis zu 70 Prozent Impfquote wird es also noch Monate dauern. 

Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) hatte am Wochenende darauf verwiesen, dass die Länder laufend prüfen müssten, ob und wo die Maskenpflicht noch verhältnismäßig ist. Sie ist in Verordnungen der Länder geregelt. Für draußen gibt es zum Beispiel Vorgaben für belebte Plätze und Einkaufsstraßen, teils auch für Spielplätze.

"Ganz werden wir die Masken womöglich nie mehr los"

Auch Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hält die derzeitige Corona-Infektionslage für den richtigen Moment, um ein Ende der Maskenpflicht einzuleiten. Diese könne in einem ersten Schritt "draußen grundsätzlich entfallen", sagte er den Zeitungen der Funke Mediengruppe vom Montag. Ähnlich äußerte sich SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach.

Die Zeitungen in Deutschland kommentieren den Vorstoß zum Ende der Maskenpflicht. Die Presseschau:

"Badische Zeitung": "Baden-Württemberg will dabei mit Umsicht vorgehen, was richtig ist. Denn auch wenn inzwischen viele Menschen in Deutschland geimpft sind – es sind längst nicht alle, die den Piks wollen. Es geht also darum, den Übergang schrittweise und klug zu gestalten. So kann die Maske im Freien früher fallen als in Innenräumen. Festivals und Kinos an der frischen Luft gibt es somit vielleicht bald wieder, sofern dort ein Hygienekonzept besteht. Doch ganz werden wir die Masken womöglich nie mehr los. Das Virus bleibt für immer und es verändert sich. Es kann also sein, dass die Maskenpflicht wieder kommt, weil sie aufgrund einer aktuell verschärften Pandemie-Lage nötig ist."

"Frankfurter Rundschau": "Ausgerechnet beim Mundschutz versagt die Regierung als Ordnungsstifterin. Wir erleben Corona-Chaostage. Die Virus-Gesellschaft ist aufgeteilt in drei Gruppen. Auf der einen Seite diejenigen, die Masken als Maulkorbsymbol stellvertretend für den Entzug von Freiheitsrechten anprangern. Auf der anderen Seite jene, die vor der Ausbreitung der Delta-Variante wie in Großbritannien warnen und den Schutz nicht abschaffen wollen. Dazwischen die große Gruppe, die mal in die eine, mal die andere Richtung tendiert. Sie alle eint: Es ist unklar, was wo wann warum gerade gilt. Die Angst um die Gesundheit oder die Freiheit lässt sich nicht per Mehrheit entscheiden, da jeweils bei der unterlegenen Minderheit grundlegende Werte berührt werden. Gerade weil die Debatte so spaltend wirkt, sind klare und nachvollziehbare Leitplanken umso nötiger. Es ist Zeit, die Maskenpflicht geordnet abzuschaffen. Ohne Klarheit frisst sich die Unsicherheit wie ein Flächenbrand durch Zugabteile, Kitas und Restaurants." 

"Tagesspiegel": "Masken können Infektionen verhindern. Sie schützen andere – und auch Trägerin und Träger selbst. Es ist plausibel, dass, wenn wir weiter konsequent Masken trügen, dies die Inzidenzen weiter drücken und auch unten halten könnte. Es scheint also viel dafür zu sprechen, Maskenpflichten auch bei niedriger Inzidenz aufrecht zu erhalten. Doch es spricht auch einiges dagegen. Dass man eine Maskenpflicht als Eingriff in die Grundrechte sehen kann, für den es entsprechender schwerwiegender Gründe bedarf, ist nur einer davon. Ein anderer ist vielleicht überraschend: Gar keine Keime sind auch keine Lösung. Das Immunsystem braucht regelmäßig Herausforderungen, um nicht gleichsam in wohlbehüteten Schlaf zu fallen. (...) Für problematische Orte, etwa enge Aufzüge, sollte weiterhin Maskenpflicht gelten."

"Rhein-Neckar-Zeitung": "Es ist nicht zielführend, in Klassenzimmern keine Masken zu tragen. Und deshalb wird es über kurz oder lang auch zu einer Impfung von Kindern und Jugendlichen kommen. Nur Corona-Leugner (von denen es aber hartnäckig viele gibt) kommen auf die Idee, jetzt alle Masken fallen zu lassen. So lange drei von vier Deutschen nicht den vollen Impfschutz genießen, gilt das natürlich für alle geschlossenen Räume. Im Freien lockt dagegen Maskenfreiheit. Womit wieder einmal deutlich wird: Die Pandemie ist nicht vorbei. Sie macht gerade eine wetterbegünstigte Pause. Je stärker die Menschen diese Pause nutzen, sich zu immunisieren, umso schwächer wird die vierte Welle im Herbst ausfallen. Ist eigentlich nicht schwer zu verstehen."

"Neues Deutschland": "Die Pandemie ist erst vorbei, wenn sie vorbei ist. Sie ist es nicht, weil die Inzidenzwerte unten sind. Sie ist es nicht, wenn man sich nur genug nach mehr Freiheiten sehnt. Und sie ist es nicht, weil der Bundestagswahlkampf angefangen hat. Noch ist das (mutierte) Virus nur unter Kontrolle gebracht. Es ist aber nach wie vor da und gefährlich. Und nach wie vor besteht damit die Möglichkeit, dass es sich in dem noch ungeimpften Teil der Bevölkerung verbreitet - womöglich mit allen negativen Folgen, die man derzeit hinter sich gelassen zu haben glaubt. Deshalb sollte das (schrittweise) Ende der Maskenpflicht wohl und vor allem wissenschaftlich abgewogen sein." 

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn befürwortet Ende der Maskenpflicht

"Handelsblatt": "Überall dort aber, wo Menschen auf engem Platz zusammenkommen oder sich in geschlossenen Räumen aufhalten, wäre es gegenwärtig völlig falsch, die Maskenpflicht aufzuheben. Die Inzidenz ist nicht das alleinige Kriterium für Corona-Maßnahmen. Entscheidend ist auch die Impfquote. Knapp 75 Prozent der Menschen sind noch nicht vollständig geimpft. Für sie ist die Maske essenziell, um sich und vor allem andere gegen Ansteckung zu schützen, ob im Supermarkt, im Geschäft oder in der Bahn. Und Kinder und Jugendliche sind noch gar nicht geimpft. In Schulklassen könnte sich das Virus ungehindert verbreiten, wenn die Maskenpflicht dort fällt."

"Rheinpfalz": "Natürlich kann es kaum jemand abwarten, wieder einen Sommer zu genießen, Corona peu à peu abzuschütteln und alle Grundrechte wieder zu erlangen. Die von Tag zu Tag sinkenden Inzidenzwerte sind eine gute Basis für Forderungen nach einem Wegfall der Maskenpflicht. Doch die Pandemie ist noch nicht abgehakt. Wer am Wochenende volle Schwimmbäder oder Straßencafés gesehen hat, kann die Lust am Leben sehen, muss sich aber fragen 'War da was?'. Ja, noch immer stecken sich Menschen mit dem Coronavirus an, noch immer sterben Menschen daran."

"Allgemeine Zeitung": "Wie sollte die Maskenpflicht geregelt werden? Eine komplette Aufhebung wäre falsch. Dies würde auch das völlig falsche Signal aussenden, nämlich dass Corona vorbei ist. Eine Lösung könnte stattdessen sein: 1. Keine Maskenpflicht draußen; vorerst mit Ausnahme der Mitarbeiter etwa in der Gastronomie, den "Multiplikatoren" mit den meisten Kontakten. 2. Stattdessen 'nur' die Empfehlung, bei größeren Menschenansammlungen Maske zu tragen. 3. Drinnen muss die Maskenpflicht vorerst weiterhin gelten. 4. Das größte Problem sind die Schulen und die räumliche Situation dort, wo Kinder drinnen über lange Zeit eng beieinander sitzen. Womöglich muss die Abwägung je nach Alter und Lage im jeweiligen Bundesland unterschiedlich ausfallen."

"Frankenpost": "Aber ganz ohne Vernunft der Bürger geht es nicht. Der Verzicht auf die Maske im Freien ist eben nicht gleichbedeutend mit der Aufforderung, ungefährdet jeden alten Kumpel herzlich zu umarmen und am Biertisch noch enger zusammenzurücken, damit noch einer zusätzlich dran sitzen kann."

"Münchner Merkur": "Mutlosigkeit, aber auch Übermut sind schlechte Ratgeber im Kampf mit einer Pandemie, beim Verschärfen wie beim Lockern. Das gilt auch für die Maskenpflicht. Natürlich braucht’s bei Sommerwetter und niedrigen Inzidenzen in Fußgängerzonen keine Maske mehr. Längst hat die Forschung gelehrt, dass draußen nur in Gedränge Gefahr besteht. Für den Schlachtruf 'Maske runter, überall', vor allem drinnen, ist es aber noch zu früh. Das ist auch kein geeignetes Thema für den aufziehenden Bundestagswahlkampf. Da geht es auch nicht um Liberalität, sondern um Vorsicht und Rücksichtnahme."

rw DPA

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