In Madrid spitzt sich die Corona-Lage zu, Frankreich kämpft mit einem rasanten Anstieg der Fallzahlen, und auch in Italien gibt es so viele Neuinfektionen wie seit Monaten nicht mehr. Auch Dänemark registriert mehr Fälle; hier wurden die Restriktionen in Folge dessen verschärft.
Zu beachten ist dabei aber ebenso wie bei der Beurteilung der Situation in Deutschland, dass die Zahl der Tests enorm zugenommen hat und die Altersverteilung eine andere ist. Was bedeuten die Werte – und wie lange bleibt Deutschland noch relativ verschont?
Eine Prognose, bis zu welcher Grenze sich die Zahl der Corona-Neuinfektionen hierzulande noch kontrollieren lässt und wann eine massenhafte Ausbreitung beginnt, ist dem Berliner Virologen Christian Drosten zufolge kaum möglich. "Das ist ganz schwer einzuschätzen, ab wann das passiert", hatte er kürzlich im NDR-Podcast gesagt. Klar sei, dass es zu einem schlagartigen Effekt, einem Schwelleneffekt kommen könne.
Übersicht: Lage in europäischen Ländern
Von Land zu Land beeinflussten Faktoren wie die mittlere Familiengröße und die Mobilität der Bevölkerung das Geschehen aber unterschiedlich. "Und darum kann ich jetzt nicht sagen: Hier ist der Schwellenwert." In Frankreich zum Beispiel sei diese Grenze womöglich überschritten. Doch warum dort und nicht in Deutschland? Denkbar sei, dass das Infektionsgeschehen hierzulande über den Sommer auf ein niedrigeres Grundlevel gedrückt worden sei, so Drosten.
Eine Übersicht über die Corona-Situation in einigen Ländern in Europa:
Frankreich: Derzeit kommen in Frankreich mit seinen rund 67 Millionen Einwohnern täglich etwa 6000 Neuinfektionen hinzu. Das bisherige Maximum war Ende März mit rund 7500 neu erfassten Fällen binnen eines Tages vermeldet worden. Allerdings ist die Zahl der Tests immens gestiegen: Wurden Ende Mai binnen einer Woche noch weniger als 40.000 Menschen getestet, waren es in der Woche vom 24. bis 30. August mehr als 850.000. Die Rate positiver Tests lag zuletzt bei gut vier Prozent.
Verstärkt junge Erwachsene steckten sich mit Sars-CoV-2 an, nach Behördenangaben hauptsächlich bei Feiern und Urlaubsreisen. Daher ist die Zahl der im Krankenhaus behandelten Patienten vergleichsweise gering: Stand Montag waren 4907 Menschen wegen Covid-19 im Krankenhaus, davon 537 auf einer Intensivstation. Als Risikogebiete gelten momentan vor allem der Großraum Île-de-France mit der Hauptstadt Paris und die Region Côte d'Azur.
Spanien: Dem Land mit seinen knapp 47 Millionen Einwohnern bereitet vor allem die Situation in der Region Madrid Sorgen. Seit Ende Juni steigt die Zahl der landesweiten Neuinfektionen wieder an, Anfang des Monats wurden mehr als 4500 Neuinfektionen binnen 24 Stunden gemeldet. Das bisherige Maximum lag bei 9222 Fällen am 31. März. Spanien macht zurzeit nach Angaben des Gesundheitsministeriums knapp 50.000 PCR-Tests pro Tag, Ende März waren es etwa 200.000 pro Woche. Erst am Montag hatte die Gesamtzahl der Corona-Infektionen in Spanien die Marke von 500.000 überschritten, womit Spanien eines der am härtesten betroffenen Länder Europas ist.
Italien: Dort verzeichnen derzeit Kampanien, das Latium mit der Hauptstadt Rom und die Emilia-Romagna die meisten Neuinfektionen. Neben Einschleppungen aus dem Ausland spielen dem Gesundheitsministerium zufolge Freizeitaktivitäten und die gestiegene Mobilität vor allem von jüngeren Menschen eine Rolle.
In 60 Millionen-Einwohner-Land wurden zuletzt im Mittel wieder rund 1300 Neuinfektionen täglich gemeldet. Der bislang höchste Wert lag bei 6557 registrierten Fällen am 21. März. Auch hier stieg die Zahl der Tests stark: von rund 195.600 in der Woche vom 23. bis 29. März – in dieser Woche gab es den größten Anstieg an Neuinfektionen in Italien – auf inzwischen etwa 633.000 (31. August bis 6. September). Rund 1,5 Prozent fallen derzeit positiv aus – zum Zeitpunkt des Maximums im Frühjahr waren es fast 20 Prozent.
Das Durchschnittsalter der erfassten Infizierten lag in Italien zuletzt bei 32 Jahren (24. bis 30. August). Am 24. März hatte es bei 63 Jahren gelegen. Stand Montag wurden lediglich 1719 Infizierte im Krankenhaus behandelt, 142 auf der Intensivstation. Im März (Stichtag 21.3.) lagen 17.708 Menschen mit Corona-Symptomen im Krankenhaus – fast die Hälfte der bekannten Infizierten zum damaligen Zeitpunkt. 2857 wurden auf der Intensivstation behandelt.
Die Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus in Italien wie Maskenpflicht und Abstandsregeln bleiben für einen weiteren Monat in Kraft. Ministerpräsident Giuseppe Conte unterzeichnete am Montagabend nach Regierungsangaben das entsprechende Dekret. Die Vorschriften gelten bis zum 7. Oktober.
Dänemark: Um die Ausbreitung des Covid-19-Virus zu bremsen, hat die dänische Regierung am Montag in 17 Gemeinden im Großraum Kopenhagen und in Odense die Versammlungsgrenze wieder gesenkt. Statt 100 dürfen ab sofort nur noch 50 Personen an Veranstaltungen teilnehmen.
"In den letzten 24 Stunden wurden 230 neue Fälle von Covid-19 gemeldet", sagte Gesundheitsminister Magnus Heunicke bei einer Pressekonferenz am Montag. Am Dienstag waren es 243 neue Fälle. In 21 Gemeinden sei jetzt die Grenze von 20 Infizierten pro 100.000 Einwohner überschritten. Seit dem Frühjahr sei die Zahl nicht so gestiegen. Besonders besorgniserregend sei die Lage in Kopenhagen und Odense. Die neu Infizierten seien überwiegend junge Leute zwischen 20 und 29 Jahren, fügte Kopenhagens Oberbürgermeister hinzu.
In den betroffenen Gemeinden müssen die Restaurants und Kneipen fortan um Mitternacht schließen. Es wird empfohlen, alle privaten Feste abzusagen. Es gebe Beispiele, wo eine Person bei einem privaten Fest viele andere angesteckt habe.
Norwegen: Auch in Norwegen ist die Anzahl der Neuinfizierten in den letzten Tagen durch lokale Ausbrüche sprunghaft gestiegen; sie war am Montag höher als in Schweden. Nach einem religiösen Fest im Süden Norwegens waren bis Montag 200 Infizierte registriert worden. In den Städten Fredrikstad und Sarpsborg mussten knapp 2500 Menschen in Quarantäne. Einen anderen Ausbruch gab es in Bergen an der Westküste.
Großbritannien: Mit fast 3000 neuen Fällen hat Großbritannien am Sonntag die höchste Zahl an Neuinfektionen mit dem Coronavirus seit Ende Mai gemeldet. Wie das Gesundheitsministerium in London mitteilte, wurden 2988 Neuansteckungen verzeichnet. Am Samstag hatte die Regierung noch 1813 neue Fälle gemeldet. Großbritannien ist mit 347.152 Infektions- und 41.551 Todesfällen eines der am stärksten betroffenen Länder in Europa. Am Sonntag kamen zwei neue Todesopfer hinzu. Am Montag wurden laut Behörden 2948 neue Infektionen gemeldet.
Tschechien: Die jüngste Entwicklung bei den Corona-Infektionen in Tschechien ist nach Ansicht der Weltgesundheitsorganisation (WHO) "besorgniserregend". Das teilte die WHO-Vertretung in Prag am Dienstag bei Facebook mit. Die Zahl der täglichen Neuinfektionen hat in dem nur knapp elf Millionen Einwohner zählenden Land in den letzten zwei Wochen neue Rekordwerte erreicht. Am Montag kamen 563 weitere Fälle hinzu, womit die Gesamtzahl der aktiven Infektionen auf 8424 stieg, wie das tschechische Gesundheitsministerium am Dienstag bekannt gab. 214 Patienten waren demnach im Krankenhaus. 437 Menschen starben bisher.
Polen: Schwerer einzuschätzen ist die Lage im Nachbarland Deutschlands mit seinen rund 38 Millionen Einwohnern. Am vergangenen Freitag lag die Zahl der registrierten Neuinfektionen dort bei rund 690. Im Frühjahr hatte der Höchstwert am 19. April bei 545 gemeldeten Fällen binnen eines Tages gelegen. Die Zahl der Tests verdoppelte sich seither auf gut 22.000. Zur Positivrate sowie zum Durchschnittsalter der Infizierten gibt es keine Informationen der polnischen Behörden.
Die insgesamt höchsten Fallzahlen hat die Region Schlesien, wo sich der Erreger vor allem unter Bergarbeitern schnell ausbreitete. Neuerdings häufen sich die Fälle in der Woiwodschaft Masowien um die Hauptstadt Warschau sowie in Kleinpolen im Süden des Landes. Als Gründe nannte das Gesundheitsministerium unter anderem große Hochzeitsfeiern sowie Ansteckungen am Arbeitsplatz. Auch in Polen ist die Zahl der Covid-19-Patienten, die im Krankenhaus behandelt werden, derzeit vergleichsweise gering.
Das allerdings kann sich in jedem der Länder – auch in Deutschland – rasch ändern. "Was jetzt bei jüngeren Menschen passiert, wird in wenigen Wochen bei älteren Menschen passieren", hatte Anders Johansson, Experte für Infektionskrankheiten an der Universität Umeå in Schweden, kürzlich gewarnt. Auch das Robert Koch-Institut (RKI) mahnt in seinen Lageberichten, dass verhindert werden müsse, dass wie zu Beginn der Pandemie wieder vermehrt ältere und besonders gefährdete Bevölkerungsgruppen erkranken.