Das gefährliche Vogelgrippe-Virus H5N1 hat das deutsche Festland erreicht. Bei zwei von fünf verdächtigen Proben wurde am Sonntagabend im nationalen Referenzlabor auf der Insel Riems die Infektion mit dem hoch ansteckenden Virus festgestellt. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) äußerte sich bei einem Besuch der Ostseeinsel besorgt. "Die Lage ist ernst", sagte sie und bot weitere Hilfe des Bundes an. Ganz Rügen wurde zur Schutzzone erklärt. Am Sonntag wurde auf der Insel der Katastrophenfall ausgerufen, am Montag geschah dies auch für die Landkreise Nord- und Ostvorpommern. Damit kann auch die Bundeswehr in die Seuchenabwehr umfassend einbezogen werden. Unterdessen erreichte die Tierseuche auch Frankreich und Indien.
Nach Angaben des Friedrich-Loeffler-Instituts handelt es sich bei den infizierten Tieren auf dem Festland um einen Bussard aus Ostvorpommern und eine Silbermöwe aus Nordvorpommern. Beide Gebiete sind der Ostseeinsel Rügen vorgelagert. Bemühungen, die Ausbreitung der Tierseuche über Rügen hinaus zu verhindern, sind damit gescheitert. Auf der Insel wurde bislang bei 79 Wildvögeln das Virus H5N1 nachgewiesen. Mit den zwei Fällen auf dem Festland erhöhte sich die Zahl der infizierten Tiere in Mecklenburg-Vorpommern auf 81.
Rügen fordert Unterstützung von Bund und Land
"Der Landkreis ist nicht mehr in der Lage, mit seinen eigenen Kräften die toten Wildvögel zu beseitigen. Die Anzahl erhöht sich stündlich. Wir hoffen, dass wir mit Unterstützung von Bund und Land die schwierige Situation meistern", begründete Rügener Landrätin Kerstin Kassner die Ausrufung des Katastrophenfalls. 275 Helfer seien im Einsatz, um tote Vögel zu sichten und zu bergen sowie Absperrungen zu errichten.
Keulung als Vorsichtsmaßnahme
Spezialkräfte einer ABC-Abwehrtruppe der Bundeswehr stellten am Sonntag am Rügendamm, der einzigen Direktverbindung zum Festland, Seuchenwannen für Autos, Fußgänger und Radfahrer auf. Auch am Fährhafen von Sassnitz sowie an der Autofähre von Wittow wurden Desinfektionsanlagen für Autos und Lastwagen aufgebaut. Im Norden und Westen Rügens wurde vorsorglich mit der Tötung von Hausgeflügel in besonders gefährdeten Betrieben begonnen.
Die Keulung ist nach Angaben der Bundesregierung aber eine reine Vorsichtsmaßnahme. "Nach wie vor ist kein Befall von Hausgeflügelbeständen festzustellen. Das ist die gute Nachricht", betonte Merkel nach Gesprächen mit Vertretern des Krisenstabs.
Bundeswehr soll tote Vögel einsammeln
Um eine weitere Ausbreitung der Vogelgrippe von Rügen aus zu verhindern, hat die Bundesregierung 250 Bundeswehrsoldaten zum Einsammeln toter Vögel auf die Insel geschickt. Einen entsprechenden Beschluss habe die Bundesregierung in der Nacht zum Montag gefasst, sagte Bundeslandwirtschaftsminister Horst Seehofer (CSU) am Montag in Brüssel. Die Soldaten sollten die toten Vögel so schnell einsammeln wie möglich. Ihr Einsatz solle am Mittag beginnen. Außerdem wolle die Bundesregierung einen hohen Beamten zur besseren Koordinierung in den Schweriner Krisenstab entsenden.
50.000 tote Hühner in Indien
Auch Frankreich hat das H5N1-Virus erreicht: Labortests bestätigten den gefährlichen Erreger als Todesursache einer Wildente im Süden des Landes.
Wesentlich dramatischer ist die Lage in Indien: Im westindischen Bundesstaat Maharashtra starben Berichten zufolge in den vergangenen Tagen mindestens 50.000 Hühner, bei acht von zwölf untersuchten Tieren wurde H5N1 nachgewiesen. Rund eine Million Stück Geflügel sollen iim Zentrum der indischen Geflügelzucht nun vorsorglich getötet werden. Auch Verdachtsfälle bei Menschen werden dort untersucht.
Tierschutzbund protestiert gegen Tötungen
Die deutsche Geflügelwirtschaft ist derweil zuversichtlich, dass sich der Ausbruch der Tierseuche in Deutschland eindämmen lässt. "Wir sind besorgt, aber auch zuversichtlich, dass es gelingen wird, das Virus aus den Wirtschaftsgeflügelbeständen herauszuhalten", sagte der Sprecher des Branchenverbandes, Thomas Janning. Für die Verbraucher gebe es auch weiterhin keinen Grund zur Besorgnis. Seit fünf Jahren werde alles Geflügel vor der Schlachtung auf Grippeviren untersucht, es habe noch keinen positiven Fall gegeben.
Der Deutsche Tierschutzbund protestierte scharf gegen die vorsorgliche Geflügeltötung auf Rügen. Nach ersten Schätzungen würden 10.000 Tiere getötet, berichtete die Organisation in Bonn. "Es liegt keine akute Infektion der Tiere vor, auch für den Menschen gibt es keine neue Gefahr", erklärte Tierschutzbund-Präsident Wolfgang Apel.
Maßnahmen sollen Handelsbeschränkungen verhindern
Mecklenburg-Vorpommerns Landwirtschaftsminister Till Backhaus (SPD) erläuterte, es gehe darum, "alle Maßnahmen zu ergreifen, damit Deutschland nicht gesperrt wird". Er bezog sich auf mögliche Handelsbeschränkungen für Deutschland in der EU. Deutschland habe Geflügelbestände von 123 Millionen Tieren im Wert von 1,3 Milliarden Euro. Diese dürften nicht gefährdet werden. Grundlage für die Keulung sei eine umfassende Risikobewertung durch das Friedrich-Loeffler- Institut. Die Tiere werden in Containern mit Kohlendioxid getötet.
Nach Angaben der Landestierärztin Maria Dayen werden Bestände mit erhöhten Risiken gekeult, so aus Betrieben in der Nähe größerer Schwanenkolonien, mit Freilandhaltung oder in Betrieben mit viel Besucherverkehr. Ein Grund für die Maßnahme sei auch die Inkubationszeit von der Infektion bis zum Ausbruch der Vogelgrippe. Nach Dayens Angaben gibt es auf Rügen rund 800 Geflügelhaltungen mit rund 400.000 Tieren.
Derweil debattieren Bund, Länder und Kommunen über Zuständigkeiten und Vorsorge. Mecklenburg-Vorpommerns Agrarminister Backhaus spricht in Schwerin mit Landräten über Schutzmaßnahmen. Er will sichergehen, dass sich die Pannen bei der Eindämmung der Tierseuche auf Rügen nicht wiederholen. Die Vorsitzende des Agrarausschusses im Bundestag, Bärbel Höhn (Grüne), verlangte wie Bundeslandwirtschaftsminister Horst Seehofer (CSU) mehr Bundeskompetenzen.
Niedersachsens Agrarminister Hans-Heinrich Ehlen (CDU) und der bayerische Gesundheitsminister Werner Schnappauf (CSU) lehnten diese Forderungen hingegen ab. Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) kritisierte eine aus ihrer Sicht mangelnde Bevorratung von Grippemitteln durch die Bundesländer. Schnappauf forderte seinerseits von der Bundesregierung mehr Engagement bei der Vorratshaltung der antiviralen Medikamente.