"Werbung geht auch darum, die Leute wachzurütteln" - dieses selbsternannte Ziel hat der ehemalige Kreativchef von Benetton Oliviero Toscani auf jeden Fall erreicht. Eine Ente, die in einem Ölteppich schwimmt, ein mit Menschen überladenes Flüchtlingsboot und die blutige Kleidung eines im Jugoslawien-Krieg gefallenen Kämpfers - diese und andere Bilder zierten die Werbeplakate der Firma Benetton seit den 80er Jahren und führten weltweit zu heftigen Diskussionen.
Mit Benetton fing es an
Während Werbung bis dahin darauf abzielte, positive Stimmung und Harmonie zu vermitteln, setzte Benetton auf "Schockwerbung", die mit Reportagefotos von tabuisierten Themen wie AIDS, Migration, Todesstrafe und Rassismus arbeitete. Neu an dieser Werbestrategie war nicht nur die Provokation des Konsumenten durch schockierendes Bildmaterial, sondern auch, dass auf Werbeplakaten erstmals mit redaktionellen Bildern gearbeitet wurde.
Doch während die Bilder in Zeitungen kaum Beachtung fanden, lösten sie auf den Plakaten einen Proteststurm aus, der sogar soweit ging, dass sich Magazine weigerten die Anzeigen abzudrucken und zahlreiche Händler Benetton-Produkte aus ihrem Sortiment nahmen. Das Unternehmen zog im Jahr 2000 die Konsequenzen und wechselte nicht nur den Art Director, sondern auch die Werbestrategie. Die neuen Kampagnen thematisierten zwar immer noch die Missstände in der Welt, allerdings mit versöhnlicheren und weniger polarisierenden Bildern.
Neben Benetton starteten in den 80er und 90er Jahren aber auch andere Firmen Kampagnen, die zu heftigen Diskussionen führten. Die Modefirmen Calvin Klein und Sisley sind beispielsweise durch ihren "Porn chic" weltweit bekannt geworden. Die provokanten Modefotos, die die Plakate und Anzeigen der beiden Firmen zierten, waren echte Hingucker und des Öfteren Anlass für Kritik. Eine Kampagne von Calvin Klein für Kinder-Unterwäsche aus dem Jahr 1999 musste sogar über Nacht zurückgezogen werden, weil die Anzeigen, auf denen kleine Jungen nur mit CK-Unterhosen bekleidet zu sehen waren, für heftigen öffentlichen Protest sorgten.
"Adbusters" + "Ambient"
Die "Adbusters Media Foundation" wurde 1989 in Vancouver gegründet. Adbusters (von "advertisement = Werbung + "busting" = zerstören) sind der Meinung, dass Werbung sinnlose Werte verbreitet und in vielen Kulturen eine zu große Rolle spielt. Der Begriff "Adbuster" wird oft auch für Gruppen verwendet, die Werbung im öffentlichen Raum überkleben oder sie verfremden, um ihren Sinn umzudrehen oder ins Lächerliche zu ziehen. Als Ambient Media bezeichnet man Werbung, die im direkten Lebensumfeld der Zielgruppe platziert wird. Beispiele sind Gratispostkarten in Kneipen oder die Werbung auf den Gepäckbändern in Flughäfen.
Seit der Jahrtausendwende hat sich in der Werbung freilich einiges verändert. Was früher als Tabubruch galt, hat inzwischen an Brisanz verloren. Mit der Thematisierung gesellschaftlicher Missstände gelingt es den Werbern zwar noch gelegentlich, öffentliche Debatten zu erzeugen, die Anforderungen an die Werbung haben sich aber insgesamt verändert. Neben (gesellschafts)politischen Statements kommt es auch auf Authentizität und Glaubwürdigkeit an. Kaufentscheidungen werden immer häufiger auch von den moralischen Standards der Anbieter abhängig gemacht.
Heute zählt auch die politische Haltung
Diese Entwicklung hat American Apparel erkannt und ist dadurch innerhalb kürzester Zeit zum größten T-Shirt-Hersteller der USA geworden. Das Unternehmen ist nicht nur durch seine Werbeposter, auf denen statt Top-Models Konsumenten und Mitarbeiter der Firma zu sehen sind, bekannt geworden, sondern auch durch eine "politisch korrekte" Haltung, die offensiv vermarktet wurde. Der Verzicht auf die Produktion in Billiglohnländern und die faire Bezahlung der Mitarbeiter brachten American Apparel bei den Kunden viele Sympathiepunkte.
Auf die Sympathie von Woody Allen kann das Unternehmen allerdings nicht mehr zählen. Der Regisseur und Schauspieler verklagt American Apparel gerade auf Schadensersatz in Höhe von mehr als 10 Millionen Dollar, weil der T-Shirt-Hersteller im Mai letzten Jahres ohne seine Genehmigung auf Plakatwänden und im Internet mit einem Bild von ihm geworben habe, das ihn als Rabbi verkleidet zeigt. Auch so kann eine Werbekampagne von sich Reden machen.
Die besten Kampagnen der letzten 30 Jahre
Die Düsseldorfer Ausstellung "Radical Advertising" dokumentiert den Paradigmenwechsel, der in der Werbung stattgefunden hat. Sie zeigt Werbekampagnen aus den letzten 30 Jahren, die insofern radikal, ja revolutionär waren, als sie die Grundlagen des Sytems auf den Kopf stellten. "Gute, radikale Werbung verändert die Welt", sagte der Gründer der Adbusters Media Foundation, Kalle Lasn. "Radical Advertising" zeigt "Adbuster"-Kampagnen, kritische Reflexionen von Künstlern wie Jeff Koons, Damien Hirst, Cindy Sherman und Daniel Buetti, meinungsbildende Kampagnen von Benetton, Sisley, Diesel, Helmut Lang, Calvin Kein und Comme des Garçons und spektakuläre "Ambient"-Werbeauftritte, die dreidimensional nachgebaut werden, wie z.B. einen zum Hotelzimmer umgebauten Mini.
Die Ausstellung "Radical Advertsing" läuft vom 05. April bis 17. August 2008 im NRW Forum für Kultur und Wirtschaft Düsseldorf.