Was würden Sie tun, wenn Sie beim Möbelkauf auf einen Mann im gestreiften Morgenmantel treffen, der sich auf dem nagelneuen Sofa räkelt. Oder auf eine Frau im Pyjama, die es sich im frisch bezogenen Muster-Bett bequem gemacht hat? Nun, einigen Ikea-Kunden ist das neulich passiert. Sie wunderten sich nicht weiter und schlenderten einfach vorbei. Keiner fragte: Was machen die da? Oder: Dürfen die das?
15 Mal drehte der Künstler Guy Ben-Ner mit seiner Familie in verschiedenen Ikea-Läden: in Berlin, New Jersey und Tel Aviv. Verwirrt und ungehalten waren nur ein paar Mitarbeiter des Möbelhauses. Aber: "Wenn wir rausgeworfen wurden, gingen wir einfach zum nächsten Ikea", erzählt Ben-Ner. "Oder wir kamen nach ein paar Tagen wieder, dann war ganz anderes Personal da."
"Ikea ist McDonald's für Möbel", sagt Ben-Ner, der seit einem Jahr in Berlin lebt. "Wer bei Ikea einkauft, fühlt sich sofort zu Hause, weil alles gleich aussieht, ob in den USA, in Israel oder in China." Der Nachteil: "Ikea stiehlt uns das Privatleben, indem es alles nivelliert. Deshalb wollten wir uns unser Privatleben von Ikea zurückholen."
Die perfekte Sitcom-Kulisse
Ziemlich komisch ist dieser Racheakt: Da läuft Guy Ben-Ner im Pyjama durch die Ikea-Küche, verschwindet hinter einer Wand zum Duschen und wirft von dort aus seine Kleider durch den Raum. Oder er spült mit gelben Gummihandschuhen und ohne Wasser das Geschirr ab. Oder diskutiert mit seiner Frau über die flotte Nachbarin und späht dabei durch die Lamellen einer Jalousie, hinter der ganz offensichtlich nur eine Wand ist.
Irgendwann war dem Künstler aufgefallen, dass Wohnzimmer und Küchen bei Ikea genauso aussehen wie die Kulissen von Sitcoms im US-Fernsehen. Deshalb schrieb er ein ziemlich komisches Drehbuch für seine Familie, probte mit den Kindern zu Hause und legte dann am Originalschauplatz los.
Der Künstler
Guy Ben-Ner wurde 1969 in Israel geboren. Er vertrat sein Land im israelischen Pavillon der Biennale von Venedig 2005. Gemeinsam mit seiner Frau Nawa und seinen Kindern Amir und Elia inszeniert er skurrile Welten innerhalb des eigenen Hauses oder er überträgt die Privatsphäre in den öffentlichen Raum. Bei den Skulptur-Projekten in Münster zeigte er eine Arbeit über das Fahrrad. Beim der Kunstfilm-Biennale in Köln erhielt sein IKEA-Film "Stealing Beauty" den 1. Preis.
Film und Ausstellung ist noch bis zum 31. Januar 2008 in Berlin in der daadgalerie, Zimmerstr. 90-91, zu sehen
Angst, dass ein Schulkamerad um die Ecke biegt
"Eigentlich wollte ich mir eine Erlaubnis zum Filmen bei Ikea holen", sagt Guy Ben-Ner, "aber das war völlig aussichtslos. Also dachte ich mir: Wenn es nicht erlaubt ist, dann stehle ich die Filmbilder einfach." "Stealing Beauty", heißt der Film denn auch: eine kuriose Sitcom mit der ganzen Familie Ben-Ner. Auf dem Kunstfilmfestival in Köln bekam der Streifen den ersten Preis, jetzt ist er in der Berliner daad-Galerie zu sehen.
Ein bisschen peinlich war die ganze Filmerei den Ben-Ners dann durchaus. Vor allem die beiden Kinder hatten Angst, dass ein Schulkamerad um die Ecke biegen und sie im Schlafanzug ertappen könnte. "Am unangenehmsten war die Bettszene mit meiner Frau", sagt Guy Ben-Ner. "Da wurden wir dauernd von Ikea-Mitarbeitern unterbrochen: Was machen Sie hier? Hören Sie auf damit! Bitte gehen Sie." Immer wieder mussten sie den Ort wechseln. Wer genau aufpasst, kann denn auch sehen, dass die Eheleute sich in zehn unterschiedlichen Betten mit ständig neuer Bettwäsche räkeln: vom romantischen Schnörkel-Dekor übers rustikale Bauernbett bis zum kühlen Edel-Design.
"Dieses Haus gehört uns"
Überall baumeln riesige Preisschilder. Ab und zu latschen ein paar echte Ikea-Kunden durchs Bild und wundern sich über die merkwürdige Familie zwischen den Möbeln. "Und obwohl wir ja die Störenfriede sind, sieht es im Film so aus, als ob diese Passanten Eindringlinge und Diebe wären", sagt Guy Ben-Ner.
Unterbrochen von Kundendurchsagen beginnt die Familie über Privateigentum zu diskutieren. Vater Guy behauptet: "Dieses Haus gehört uns. Wir als einzige haben das Recht, hier zu sein. Und was noch wichtiger ist: Wir können anderen verbieten, unser Eigentum zu betreten." Die Tochter will das nicht glauben und löchert den Vater mit Fragen: "Ist Mami auch Privatbesitz?" - "Nein. Mam ist Mam." - "Also kann jeder sie dir wegnehmen?" - "Das soll nur mal einer versuchen!"
Immer aggressiver setzen die Kinder dem Vater zu: Warum haben manche ein Haus und manche nicht? Ist das gerecht? Sollte man nicht lieber teilen? Am Ende fällt dem Vater nur noch das übelste aller Elternargumente ein: "Ich habe recht, weil ich erwachsen bin. Wenn ihr mal groß seid, werdet ihr das schon einsehen." Absurder Höhepunkt: Am Schluss lesen die beiden Kinder vor einer Totenkopf-Fahne ein Manifest gegen Privatbesitz vor: "Eigentum ist wie ein Geist", heißt es da. "Man kann nichts besitzen ohne davon besessen zu sein. Deshalb ist es Zeit zu stehlen. Beklaut den Supermarkt, den Staat. Eure Eltern." Na, wenn das die Eltern der Schulkameraden spitzkriegen. Dann gibt's Hausverbot für die Ben-Ners.
Guy Ben-Ner: "Stealing Beauty"
daadgalerie
Zimmerstr. 90/91, Berlin
Die Ausstellung läuft noch bis zum 31. Januar 2008