Ein Abschiedsbrief an Uli Hoeneß ist nur dann wahrhaftig, wenn man ihn aus Aktualitätsgründen vorziehen muss, weil er gerade mal wieder, nun ja, einfach sehr hoeneß gewesen ist.
So rief der Noch-Präsident, offenbar kontaminiert von Einheitsfeierlichkeiten, am Sonntagmittag spontan live beim Sport1-"Doppelpass" an, um der versammelten - natürlich gänzlich inkompetenten - Runde mitzuteilen, dass es unfair sei, wie mit Sportdirektor Hasan Salihamidžić umgegangen werde und der wesentlich besser sei als dargestellt. (Unter anderem von sich selbst.)
Uli Hoeneß verteidigt Brazzo wie eine Eislaufmutter
Er tat dies mit der Energie einer Eislaufmutter, als ginge es darum, dessen Note in Mathe von einer 4 auf eine 2+ hochzukorrigieren. Es ist fraglich, ob Brazzo nach dem Anruf allen plötzlich als Kompetenzbombe im Jeff-Bezos-Bereich erschien.
Dieser Anruf ist sehr typisch für Hoeneß und dessen Spätwerk, in dem Selbstverteidigungs- und Rechtfertigungsimpulse mittlerweile im Wochentakt zu solchen Ausbrüchen führen. Vermutlich hat Nelson Mandela sich nicht einen Tag seines Lebens so ungerecht behandelt gefühlt wie der bayerische Silberrücken die ganze Woche über.
Es gibt Tage, da kann man den Duktus von Trump und Hoeneß nur noch dadurch unterscheiden, dass der amerikanische Präsident das Internet besser versteht. Kaum pressiert es, da twittert der POTUS, während der GRÖPAZ sich mit vor Wut zitternden Fingern in der Wählscheibe verkrallt.
Wenn Uli Hoeneß am Freitag seinen Präsidentensessel räumt, dann verlässt auch ein Stück der guten alten BRD die Bundesliga. Mit ihm gehen Erinnerungen an zugige Stadien, Schnäuzer und Schafkopfrunden. Schnaps, Schickeria und heimliche Schankwirtschaftsbesuche, die nur rauskamen, weil einer von Ulis Spähern die Hand nicht vom Festnetztelefon lassen konnte. Es war die gute, alte Zeit, in der die Spieler interessanter schienen als das Spiel.
Heute ist es umgekehrt, und es scheint, als komme die zickende Zeitbombe aus Ulm immer weniger mit der Moderne klar. Im Jahr 2019 einen Großkonzern leiten, während man WhatsApp noch via Fax-Maschine verschickt, das muss man auch erstmal hinbekommen. Oder eben nicht.
Seit Jahren beobachtet man amüsiert, wie Hoeneß versucht, seinem FC Bayern bei gleichzeitiger Sehnsucht nach europäischer Dominanz diese gewisse Eckbankidentität zu bewahren, während der Rolex-Androide Rummenigge lieber heute als morgen schon das DFB-Pokalfinale in Katar austragen würde.
Uli Hoeneß und Karl-Heinz Rummenigge wirken wie ein altes Ehepaar
Die beiden wirken wie ein altes Ehepaar, das sich in bester Loriot-Manier regelmäßig über Dinge wie hartgekochte Eier oder eben Trainerfragen zerstreitet, bis die interessantesten Kandidaten abspringen - und man mit Kovac jemanden präsentiert, der als dritte Wahl vom Start weg beschädigt war.
Dabei wirft vor allem "der Uli" als Macher der Bayern einen Riesenschatten, in dem wenig gedeihen kann. Lahm und Co. werden gewusst haben, warum man sich unter diesen Voraussetzungen den Verein besser nicht antut. Hätte mal einer Brazzo erzählen sollen, der momentan so viel Souveränität ausstrahlt wie der Pressesprecher von Tepco im März 2011 und nun sogar schon Anrufe seines Chefs im Sport1-"Doppelpass" ertragen muss.
Das allerdings hat er gemein mit einem gewissen Christoph Daum. Eine spontane Zuschaltung des Mannes, der 2000 noch Manager der Roten war und wütend bemerkte, "was denken denn die Kinder, wenn ein Bundestrainer so locker drogenabhängig sein kann?" leitete das Ende der flirrend blickenden Hoffnung des deutschen Fußballs ein.
Hoeneß war ganz er selbst. Don Quixote und Windmühle in einer Person im einsamen Kampf um die Bewahrung der Tradition im Strom der Werteerosion. Bei Daum zog er die Linie - und hatte Glück, dass dieser so dämlich war, sich freiwillig auf eine Haarprobe einzulassen.
Hoeneß. Gehasst, geliebt, verspottet. Aber nie egal
Es verwundert wenig, dass ausgerechnet er als einziger einen Flugzeugabsturz überlebt hat - vermutlich hatte Gott schlicht Angst, sich da oben das Donnerwetter über so eine Ungerechtigkeit anhören zu müssen. Hoeneß. Gehasst, geliebt, verspottet. Aber nie egal.
Als Anhänger von Borussia Dortmund ist er für mich irgendwas zwischen Darth Vader und Godzilla. Für die Bayern-Fans eine Mischung aus Schwaben-Strauß und Herbergsmutter. Frag nach bei zahllosen ehemaligen Spielern wie Ziege, Scholl oder Gerd Müller. Schweinsteiger, Ribéry, Robben ... die Tür von Hoeneß stand immer offen. Die meisten Jahre zumindest.
Er ist bekannt als (stiller) Wohltäter, der ungerne über die Summen spricht, die er gespendet hat. Ja, auch die. All das wird anders werden. Künftig möchte sich Comical Uli häufiger in Talkshows setzen, und damit bedient er klar einen Markt, denn wenn solchen Runden heute etwas fehlt, dann ja gewiss alte Männer, die erzählen wie toll das alles früher war. Gut, wenn er Friedrich Merz dadurch einen Platz wegnimmt, soll's gern so sein.
Andererseits: Beim letzten Mal erzählte er bei Maybrit Illner, dass er volle Steuern zahle. So richtig gut war die Idee nicht. Aber genau das gehört zu einem, bei dem du nie weißt, was höher ist: Der Elfenbeinturm, aus dem er die Welt betrachtet oder der Blutdruck.
Uli Hoeneß hat in seiner Laufbahn vermutlich öfter einen Bumerang an den Schädel gekriegt als ein handelsüblicher Aborigine. Bei ihm obsiegt stets der beeindruckende Drang, hohe moralische Ansprüche an andere zu legen - nur um sie binnen weniger Sekunden mit Karacho selbst zu reißen.
Im Uli-Land ist der Anstand eine Einbahnstraße
Frag nach bei Juan Bernat, Ter Stegen oder dem frisch abgewaschen Sportjournalisten, der im "Doppelpass" sitzend sicher auch kurz an Artikel 1 des Grundgesetzes denken musste. Im Uli-Land ist, so scheint es oft, der Anstand eine Einbahnstraße. Aber denk mal an sowas, wenn das Blut rauscht. In diesem pochenden Schädel, der bereits ab einem mäßigen 2:1 so zu leuchten beginnt, dass man sich in der Allianz Arena locker die rote Beleuchtung sparen kann.
Heute ist es kaum noch vorstellbar, dass dieser Mann einer der schnellsten Fußballer Europas war (Spitzname "der Leichtathlet"!). Einmal Leistungssportler, immer Leistungssportler. Dieses kompetitive Wesen, das zu früh sein Ende auf dem Feld, aber umso heftigere Kompensation in den Konferenzräumen Europas fand, erklärt auch die zahllosen strategischen Fouls und Blutgrätschen, mit denen Konkurrenten fortan umzugehen hatten. Es gab Jahre, da hätte der manische Manager wohl sogar das Maskottchen des gegnerischen Vereins verpflichtet, nur, um die Konkurrenten abzuhängen.
Der FC Bayern hat Hoeneß alles zu verdanken
Dieser Mann hat dem FC Bayern alles zu verdanken, vielmehr noch aber hat der Verein seinem einstigen Wunderkind alles zu verdanken. Der Club ist, was er ist, vor allem Dank seiner dauerbeleidigten Ein-Mann-Stampede. Die Wahrheit ist aber auch, dass dieser wie so viele Patriarchen den Zeitpunkt für den perfekten Abgang längst verpasst hat. Für nicht wenige ist "ein Hoeneß" die Maßeinheit für die Länge eines Augenrollens.
Es ist richtig, zu gehen, bevor er sich vollends sein Lebenswerk zerstoibert - versetzte er sich und somit auch seinen Laden immer häufiger unfreiwillig in die Position eines Boxers, der angeschlagen in den Ringseilen taumelnd von der eigenen Großartigkeit schwärmt. Es ist allein der Dummheit und Unfähigkeit der Konkurrenz geschuldet, in dieses Machtvakuum nicht längst hineingestoßen zu sein.
Der perfekte Abgang ist verpasst, der ordentliche ist gerade noch drin. Das sollte mit sieben (vermutlich acht) Meistertiteln am Stück wohl noch klappen. Der Wurstherzog vom Tegernsee ist der rote Baron der Bundesliga. Streitlustig, selbstgerecht, sensibel. Der komische Onkel, der auf der Weihnachtsfeier die absurdesten Dinge von sich gibt. Der aber auch der erste ist, mit dem man später in der Ecke sitzen und Haselnussschnaps trinken möchte. Er hat, trotz oder gerade wegen seines Verhaltens etwas, das dem Profifußball zusehends abgeht: Menschlichkeit. Mit allen Stärken. Und reichlich Schwächen.
Würde ich je so über einen Oliver Mintzlaff, einen Peter Hofmann oder über diesen einen Vorstandschef vom VfL Wolfsburg schreiben, dessen Namen ich nicht einmal weiß? Eben! Ein Clemens Tönnies muss schon über kopulationsfreudige Afrikaner schwadronieren, um sich mal unangenehm in Erinnerung zu rufen. Ja, die Technokraten haben das, was auf dem Platz geschieht, nicht unbedingt hässlicher gemacht. Fair enough.
Da, wo aber jeder dies- und jenseits der Seitenlinie seinen Sprachduktus philipplahmifiziert und alle ihre Statements vorher im Windkanal testen, freut man sich doch über jeden Ausbruch. Gut, vielleicht nicht, wenn man als Vorstand gerade versucht, seinen Laptop-und-Lederhosen-Club als kosmopolitischen Verein mit Stil und Klasse bei den Sponsoren dieser Welt anzubieten. Man ist eben der FC Bayern. Und nicht Trigema.
Aber der scheidende Präsident, der ist eine Legende der Leidenschaft! Als inaktiven Vulkan kann man ihn sich nur schwer vorstellen. Ich möchte es auch nicht. Der Club wäre gut beraten, sich etwas von seinem Geist zu bewahren. Muss ja nicht jede Facette sein. Im Zweifel für die Menschlichkeit.
Lieber Uli, du fehlst mir jetzt schon.
P.S.: Lass Brazzo nicht mit Kahn allein.