Marilyn Mansons Album "Born Villain" Als Marilyn der Manson abhanden kam

"Born Villain" heißt das achte Album von Marilyn Manson, der immer noch den Sound zur ewigen Verdammnis macht. Allerdings altert es sich offenbar schlecht als "Schockrocker". Ein Treffen ohne Totenschädel.

Das letzte Mal hatte er in einer alten Villa in Berlin-Dahlem Hof gehalten: grinsende Totenschädel, flackernde Kerzen, ein ausgestopftes Krokodil, Blut an der Wand und ein beeindruckend fokussierter Popstar in knarrendem Leder. Frisch von Dita von Teese getrennt hatte er die 19-jährige Evan Rachel Wood als Lolita-Freundin mitgebracht. Die lutschte schmollend am Lolli, während geladene Gäste das Video bestaunten, in dem sie sich mit ihrem Meister nackt in Blut wälzte. Fünf Jahre ist das her. Geblieben sind nur die Kerzen, deren mattes Licht die Funktionalität des Hotelzimmers verbergen soll - und den Bauchansatz eines "Schockrockers", der nichts mehr ernst zu nehmen scheint. Vor allem nicht sich selbst.

Manson - Musiker, Maler, Regisseur, Autor und popkulturelles Phänomen - ist nach Berlin gekommen, um sein achtes Studioalbum vorzustellen. "Born Villain" (geborener Bösewicht) ist 100 Prozent Manson, wie ihn seine Fans schätzen und seine Kritiker verabscheuen: Die düster-gebrochene Stimme beschreit Schlachtszenen der abendländischen Kultur, schmiegt sich romantisierend an gar nicht so üble Melodien, um dann um so härter verbale, ästhetische Messer in historische, soziale, kulturelle Wunden zu rammen.

Seit mehr als 20 Jahren gibt der weiß geschminkte Mann aus Fort Lauderdale mit verschmiertem Blutmund die perfekte Mischung aus Horror und Entertainment. Er macht schon so lange das Monster - von dem wir ahnen, dass es in uns allen lauert, und von dem wir froh sind, dass er es für uns rauslässt -, dass wir seine Maske nicht nur gelassen hinnehmen, sondern erwarten. Es ist seine Aufgabe, in die andere Richtung zu blicken, den Typen mit dem Beil zu sehen, während wir frohen Mutes unsere Einkäufe aus dem Kofferraum holen. Damit verdient Marilyn Manson sein Geld.

Absinth und Assoziationen

Durch einen Türspalt kann man den nächsten Raum einsehen. Im grellen Licht setzt Manson sich eine Sonnenbrille auf, lacht laut und betritt die karge, schummrige Hotelzimmer-Bühne. Er kommt an einem schwarzen Flügel vorbei, haut in die Tasten und fragt, ob man die Töne erkenne. Stille. "David Lynchs 'Mulholland Drive'" natürlich, freut er sich. Ja, was denn sonst.

Teigig sieht er aus. Wie sein außer Form geratenes Selbst. "Das neue Album hört sich so dreckig an, wie ich aussehe. Ich habe schön länger nicht mehr geduscht." Er lacht grollend in sich hinein und nimmt einen Schluck Absinth. Manson plaudert im Schwall und reichlich konfus darüber, was er unter einem "born villain" versteht (vom Terroristen bis zum Künstler alles drin), über das Christentum (Kindheitstrauma), "CSI" (auch Manson ist Serienjunkie), Zombies (denen er sich sehr nahe fühlt) und von Schlangen, die man töten muss, wenn sie einen angreifen, weil sie einen sonst später töten (Buddhismus eher ausgeschlossen). Ihm reicht ein Wort der Frage, die mit seiner Antwort meist sowieso nichts zu tun hat. Er assoziiert, referiert und verliert sich immer wieder in den Halbsätzen seiner Gedanken.

Die Informations-Nuggets muss man selbst aus dem Geröll lösen: "Bevor ich diese Platte gemacht habe, gab es eine Zeit, in der ich mich krank fühlte. So als hätte ich jeden Abend ein großartiges Dinner gegessen, nur um dann nach Hause zu gehen und es auszukotzen. Und ich hatte mich daran gewöhnt", heißt eines. Er habe sich an sich selbst vergiftet. "Ich musste gegen mich selbst Krieg führen." Und wie? "Rehab, Religion, irgendwas mit Re. Ich wusste, dass ich nicht der sein will, der ich bin. Aber auch nicht der, der ich war. Ich wollte der sein, der ich sein sollte", lacht, nippt am Absinth. Und woher wissen Sie, wer Sie sein sollen? "Ich sollte das Beste sein, dass ich sein kann. Vielleicht schlecht, aber dann so schlecht wie möglich. Um schlafen gehen zu können und mich nicht krank zu fühlen. Einfach nur zufrieden sein. Nicht satt. Das ist gefährlich, weil man faul wird. Wir wollen doch alle nur zufrieden sein. Darum machen wir das doch alles. Vielleicht habe ich mich da ein bisschen verloren, ich hab die Streichhölzer verloren, nicht den Funken." Pause. Dunkles Lachen.

Mitten in der Midlife-Crisis

Manson steckte also in einer offensichtlich drogenbeeinflussten Midlife-Crisis. Kommt ja unter Popstars mal vor. Aber wenn er sie nun hinter sich hat, warum klingt die Musik dann so wie vorher? Vor allem da dieser Mann immer diesen gewaltigen Anspruch mit sich herumschleppt. Nach dem letzten Album verabschiedete Manson sich mit den Worten, dass die Welt es nicht wert sei, dass er in ihr Musik veröffentliche.

Sie sei es immer noch nicht wert, sagt er. "Aber ich will die Welt auch nicht retten oder ändern. Ich wechsle ja nicht mal meine Unterwäsche!" Und wieder dieses Alles-egal-Lachen, das jeder Äußerung, die Sinn macht, die Gültigkeit nimmt. Traurig kann er aber auch: "Als Künstler kannst du nichts heilen. In der Vergangenheit habe ich mich viel mit kaputten Dingen umgeben, weil ich dachte, das würde mich vervollständigen, weil ich kaputt bin."

Lili und die Liebe

Er lehnt sich zurück und gibt den Blick aufs schwarze T-Shirt und einen beeindruckenden Bauchansatz frei. Omnia Vincit Amor (Liebe überwindet alles) steht da in großen Letter. Manson, ein Romantiker? Bedingt: "Ich will, dass die Mädchen sich ausziehen", sagt er und strahlt dabei soviel Rockstarerotik aus wie ein Miniatureisenbahnfetischist. Um "die Mädchen" geht es noch häufiger. Die hätten in seinem Studio gesessen, als die Songs entstanden sind. Und die fanden gut, was sie gehört haben. Liebe? Liebe empfinde er derzeit nur für seine Katze Lili. Und er habe keine Angst, das laut zu sagen. Lacht, nimmt sein Glas und geht zurück ins Licht.

Er hat die Sonnenbrille abgenommen, man sieht große Poren, Sprünge und Brüche im grellen Make-Up. Plötzlich weiß man sehr genau, dass es keine "geborenen Bösewichte" gibt. Menschen müssen sich irgendwann dazu entscheiden. Und manchmal ist der Grund dafür einfach nur Geld.

Sophie Albers

PRODUKTE & TIPPS