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"Hart aber fair" Flucht aus der Ukraine: von herzzerreißenden Momenten und fehlender Empathie

Frank Plasberg mit seinen Gästen
Das Thema bei "Hart aber fair" am 28.03.2022: "„Geflohen vor Putins Bomben: Wie gut kann Deutschland helfen?"
© WDR / Dirk Borm
Macht Deutschland genug, um den geflüchteten Menschen aus der Ukraine zu helfen? Bei "hart aber fair" wurde deutlich, wie groß das Engagement der Gesellschaft ist. Bund und Länder haben derweil noch großen Nachholbedarf.
Von Arian Yazdani Kohnsachahry

Mehr als einen Monat nach Beginn der russischen Invasion sind mehrere Millionen Menschen aus der Ukraine geflohen. Hunderttausende Geflüchtete sind nach Deutschland gekommen. Die CDU fordert, dass diese Menschen ausnahmslos bei den Behörden registriert werden. Innenministerin Nancy Faeser (SPD) sprach sich zuletzt öffentlich dagegen aus. Nur Menschen aus Drittstaaten oder ohne gültige Dokumente sollen registriert werden. Der parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion im Bundestag, Thorsten Frei, kritisierte dies gegenüber der Zeitung "Welt" scharf. Faeser überlasse die Aufnahme und Unterstützung der Flüchtlinge dem Zufall. Passend dazu diskutierte die Talkrunde bei "hart aber fair" zur Frage "Geflohen vor Putins Bomben: Wie gut kann Deutschland helfen?".

Zu Gast bei “hart aber fair“:

  • Luise Amtsberg, Grüne – Beauftragte der Bundesregierung für Menschenrechtspolitik und humanitäre Hilfe
  • Joachim Herrmann, CSU – Bayerischer Staatsminister des Innern, für Sport und Integration
  • Isabel Schayani – Journalistin
  • Heike Jüngling– Sozialdezernentin der Stadt Königswinter in Nordrhein-Westfalen
  • Oksana Ilchenko – Deutschlehrerin aus Kiew, ist mit Mutter und Tochter nach Deutschland geflüchtet
  • Julia Kroß – Unternehmensberaterin, hat ukrainische Geflüchtete bei sich zu Hause aufgenommen.

Innenminister im Yogasitz

"Heute soll es nicht um Putin und Waffenlieferungen gehen, sondern um Menschen", eröffnete Gastgeber Frank Plasberg den Talk. WDR-Reporterin Isabel Schayani machte schnell klar, dass sie Zweifel daran hat, ob Bund und Länder mit der nötigen Entschlossenheit versuchen, den Geflüchteten aus der Ukraine zu helfen. Sie habe den Eindruck, die Innenminister würden im Yogasitz arbeiten. Das konnte Bayerns Innenminister Joachim Herrmann nicht auf sich sitzen lassen. "Von Chillen kann keine Rede sein", sagte der CSU-Politiker. Er kenne keinen Kollegen, der gerade Yoga mache. Herrmann habe auch nicht den Eindruck, dass die anderen Länder schlafen würden und sprach von einer "geordneten Situation."

Natürlich ließ der Chef der Innenminister-Konferenz die Gelegenheit nicht aus, um zu betonen, wie vorbildlich sein eigenes Land mit den derzeitigen Herausforderungen umginge. 40.000 Menschen aus der Ukraine seien bereits bei den Behörden in Bayern registriert worden. Auch die anderen Länder könnten das schaffen, "wenn man sich jetzt mal anstrengen würde", findet Herrmann. Isabel Schayani sieht das nicht ganz so entspannt. In der Kölner Ausländerbehörde gebe es beispielsweise gerade mal ein Gerät, mit dem Fingerabdrücke von Menschen aufgenommen und gelesen werden können. "Da muss man mal an einem Samstag durcharbeiten und dann kriegt man das hin", entgegnete Herrmann. Nach dieser Aussage darf bezweifelt werden, ob Herrmann mit dem Arbeitsalltag deutscher Behörden wirklich vertraut ist.

Kommunen fühlen sich vom Bund allein gelassen

Kommunalpolitikerin Heike Jüngling (CDU) aus der Stadt Königswinter in Nordrhein-Westfalen schätzt das Engagement von Privatpersonen. Dennoch zeigte sie sich unzufrieden damit, dass man keine Antworten auf die derzeit wichtigsten Fragen parat habe. Beispielsweise sei unklar, wie die Unterbringung von Geflüchteten abläuft und sie wisse nicht, wer die Kosten für Privatunterkünfte erstattet. Auch in ihrer Kommune seien bisher 260 Menschen aufgenommen worden, gemessen an der Bevölkerungszahl von Königswinter sei dies eine hohe Zahl. "Die Turnhallen sind nicht die Lösung der Probleme", stellte Jüngling klar. Zuletzt habe man dennoch in der Stadt eine Turnhalle schließen müssen, um dort Geflüchtete unterbringen zu können.

Die Sozialdezernentin von Königswinter konnte sich einen kleinen Seitenhieb gegen den bayerischen Innenminister nicht verkneifen. "Aus der Entfernung kann man vielleicht sagen, es sei alles im Griff", sagte Jüngling. Joachim Herrmann grinste weiterhin, wie er es schon die ganze Sendung lang tat. Sein Grinsen verging ihm dann aber, als Jüngling sagte, dass es ohne die Registrierung der Geflüchteten kompliziert sei mit der Auszahlung von Sozialleistungen. Herrmann erhob seine Stimme und sagte, man könne doch nicht erwarten, dass Kommunen an "Jeden X-beliebigen" Geld auszahlen. Jüngling blieb ruhig und erklärte, dass dies in Notsituationen der Fall sei und alle Kommunen das so machen würden. Einmal mehr wirkte es so, als habe Herrmann kein Wissen darüber, wie in Behörden außerhalb Bayerns gearbeitet wird.

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Geflüchtete: "Jeden Tag hoffe ich darauf, dass ich am nächsten Tag nach Hause kann"

Oksana Ilchenko flüchtete mit ihrer Tochter und ihrer Mutter aus Kiew und lebt aktuell bei einer Gastfamilie in Hannover. Ihr Mann ist Offizier in der ukrainischen Hauptstadt. "Das Kind sollte die schrecklichen Momente im Krieg nicht sehen", sagte sie über den Grund für ihre Flucht. Zunächst war die Familie in Polen in einem Zimmer mit insgesamt sieben Personen untergekommen. Die Situation sei besonders für ihre Tochter schwierig gewesen. Jeden Tag habe das Kind geweint. Seit sie von der Gastfamilie in Hannover aufgenommen wurden, kann Oksana wieder schlafen und auch ihre Tochter kann endlich wieder lachen, sagte sie aufgelöst. Dennoch hoffe Oksana täglich darauf, dass sie am nächsten Tag zurück in ihre Heimat kann.

Schon wenige Tage nach ihrer Ankunft in Deutschland wurde Oksana und ihrer Familie bewusst, dass sie auch in Deutschland mit Herausforderungen zu kämpfen haben. Ihre Mutter erkrankte an Corona. Ihr Zustand sei schlimm gewesen, doch ohne Registrierung sei es schwierig gewesen, die nötige medizinische Versorgung zu erhalten. Da der Vater der Gastgeberin Arzt sei, konnte man jedoch an Rezepte drankommen. Einen Termin zur Registrierung hatte Oksana schon – und zwar am 27. April. "Zu diesem Zeitpunkt wollte ich eigentlich schon längst wieder zu Hause sein", sagte sie tränenüberströmt.

Die Studiogäste, vor allem Isabel Schayani, die Oksana wenige Wochen zuvor in Polen kennenlernte, waren sichtlich gerührt. Nur Joachim Herrmann hatte wohl das Gefühl, dass er noch einen draufsetzen müsste und erzählte, dass er eine geflüchtete Frau kenne, die nach wenigen Tagen in Deutschland hören musste, dass ihr Mann im Krieg gefallen sei. Diese empathielose Anmerkung war sinnbildlich für den gesamten Auftritt des bayrischen Innenministers in der Talkshow.

yks

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