Guido Knopp erklärt in "Bild", wie es war, von den Plakatwänden schaut Heiner Lauterbach unter einer Uniformmütze auf uns herab, und in Mainz gilt: So viel ZDF-Eigenwerbung war nie. Nicht nur "Kerner" und "Wetten, dass...?" sind im "Gustloff"-Fieber, auch "Frontal 21" und das "Frühstücksfernsehen" berichten euphorisch. Im letzteren journalistischen Format erklärt die Autorin, gelungen sei "ein sehr persönlicher und authentischer" Film. Es ist immer ärgerlich, wenn Journalismus mit Werbung verwechselt wird. Denn, wenn der große "Event-Zweiteiler" um das gleichnamige, im Januar 1945 von sowjetischen U-Booten versenkte Passagierschiff mit zehntausend Flüchtlingen an Bord eines nicht ist, dann "persönlich und authentisch".
Er ist in fast allen Belangen das glatte Gegenteil. Er ist gigantisch, er ist pathetisch. Er atmet aus jeder Pore, dass er gerne etwas ganz Großes sein möchte. Er bemüht sich, Bedeutung zu signalisieren. Voller Selbstlob spricht der letztlich für das Projekt verantwortliche Programmdirektor Thomas Bellut deshalb von einem "notwendigen und mitreißenden Film". Aber gerade das ist er nicht. Alles an diesem Film ist erwartbar, nur das Wasser reißt die Menschen mit, nicht die filmische Erzählung. Nicht innere Not lässt der Film spüren, sondern sein Kalkül.
Lauterbach und Wiesinger als Kain und Abel
Der Plot ist schematisch, die Figuren stammen aus der Holzschnitzerei. Symptomatisch dafür ist das Duo Heiner Lauterbach, der den Fiesling gibt und Kai Wiesinger, der unser sympathischer Held wird. In der Rolle des Harald Kehding ordnet Lauterbach, der schon in "Dresden" zu sehen war und in der "Sturmflut" viele Wasserszenen hatte, Folter und Erschiessung an und macht düstere, undurchschaubare Sachen, die etwas mit Spionageabwehr zu tun haben. Sein kleiner Bruder Hellmut dagegen, den Wiesinger spielt, entstammt der zivilen Schifffahrt und tut selbstlos Gutes.
Lauterbach verkörpert aber nicht nur den fiesen Nazi, sondern liefert auch die Erklärung gleich mit: Harald ist verbittert, weil er seine Familie verloren hat und nicht mehr an die Liebe glaubt. Die Brüder sind wie Kain und Abel - nur geht es anders aus. Am Ende nämlich, auf der Planke des sinkenden Schiffes, versöhnen sich die Brüder doch. "Wir bringen sie alle um. Suche Deine Erika und halte sie fest. Sei kein Idiot. Sei wenigstens du kein Idiot", ruft Lauterbach noch, dann schließen sich über ihm die Fluten. Wenn man die Latte ganz hoch legt und drunter durch springt - dann entsteht Kitsch.
Keusche Liebe und lüsterne Orgien
Auch Erika (gespielt von der früheren Serienheldin Valerie Niehaus) ist durch und durch gut. Als Krankenschwester ist sie Helferin per se. Keusch sind die Liebenden. Die Augen strahlen, Blicke und Küsse werden getauscht, der Rest ist Sorge um einander. Ganz anders als die Nazis, also alle moralisch Verkommenen. Die saufen und treiben sich mit leichten Mädchen herum, feiern Feste und Orgien, die so aussehen, wie jeder Spießer sie sich vorstellt.
Es geht nicht darum, dem Film vorzuwerfen, dass er nicht "arthouse" ist, aber so massiver Einsatz von Klischees... Viele Historienfilme ("Neger, Neger Schornsteinfeger" oder "Die Frau vom Checkpoint Charlie") handelten schon vom Mut der Mütter, die Löwinnen gleich, ihre Kinder durch die Diktaturen brachten. Diesmal ist Veronica Ferres nicht an Bord. Der Regisseur Joseph Vilsmaier hat für diesen Part auf seine Frau Dana Vávrová gesetzt.
Menschliche Mythen
Schon in "Schlafes Bruder" und "Stalingrad" hat er eine deftige Bildsprache ausgelebt, in "Comedian Harmonists" gezeigt, dass ihm menschliche Mythen wichtiger sind als historische Wahrhaftigkeit. Es geht um den Kreislauf des Lebens, Geburt und Tod müssen unbedingt ganz nahe beieinander liegen.
Diesmal findet beides sogar hochsymbolisch im Rettungsboot statt: Die Mutter stirbt, unser Held bekommt das Waisenkind in den Arm gelegt und tauft es auf den Namen des soeben ertrunkenen, in der Stunde des Todes geläuterten Bruders. Soll doch niemand so tun, als habe dieser Plot tatsächlich etwas damit zu tun, die Zuschauer für die eigene Geschichte zu interessieren.
Sender, Produzenten, Schauspieler, alle, alle waren sich einig, dass hier ein großer Antikriegsfilm entstehen sollte. Aufwand und Kosten waren entsprechend. Wer die ersten 15 Minuten von "Der Soldat James Ryan" gesehen hat, weiß, wie man die Härte des Krieges atemnehmend bildlich darstellen kann. "Gustloff" aber ist eher wie "Die Flucht" im Ersten - nur eben mit ganz viel Wasser.
Wie die Titanic?
Ständig betont das ZDF, der Untergang der "Gustloff" sei eine Schiffskatastrophe größer als die der Titanic. Der Film ist es nicht. Auch ist dieser Vergleich schräg, denn die "Wilhelm Gustloff", wenn auch ein Passagierschiff, das vor allem für "Kraft durch Freude"-Urlaube eingesetzt worden war, wurde als Kriegshandlung von sowjetischer Seite versenkt. Früh muss die gute Krankenschwester für die politische Korrektheit sorgen und klarstellen, dass "wir" ja die Welt in Blut ertränkt haben und nun der Krieg zurückkommt.
Umso erstaunlicher ist, dass Vilsmaier seine historischen Interpretation so eng führt. Er hat sich einseitig festgelegt: Ausschlaggebend für die fast zehntausend Toten war ein Verräter. Detlev Buck muss diesen ungeschlachten Charakter mit viel Dialekt spielen. In der Gefangenschaft - so diese Erklärung des Bösen - ist er von den Russen umgedreht worden. Gut 17 Minuten dauert dann das Sinken des Schiffes, das Chaos, die Schreie, die Rettungsversuche der Menschen. Aus dem Anti-Kriegsfilm ist ein Katastrophenfilm geworden. Und da sind wir vom großen Kino Größeres gewohnt: vor allem Tricks und Animationen, die man weniger als solche erkennt. Damit hat es zu tun, aber auch mit dem schlichten Plot und dem hohlen Pathos, dass dieser Film bei allem Bemühen so wenig berührt. Wie anders erging es mir da zum Beispiel bei "Das Wunder von Lengede" oder auch "Contergan".
Das Genre ist abgesoffen
Nachdem das Fernsehen einmal den großen Historienfilm entdeckt hatte, gab es kein Halten mehr. Die Geschichte der deutschen, besonders wenn ihr Leiden groß war, wurde zur Folie für Geschichten des Schicksals und Erzählungen der Liebe. Bewusst steht diesmal im Abspann, dass die Ereignisse "sich so oder ähnlich zugetragen haben" und die Figuren fiktiv, das heißt "an reale Personen angelehnt" sind. Allenfalls.
Vielleicht hat die eine oder andere fiktionale Produktion sogar ein wenig Interesse für die eigene Vergangenheit geweckt. Sie hat aber auch zu furchtbaren Missverständnissen geführt. Allenthalben sendet das ZDF gerade Beiträge, die schlicht aus Zusammenschnitten von Filmszenen aus "Gustloff" und O-Tönen von Zeitzeugen bestehen. Ich finde: Jetzt reicht es. Mit "Gustloff" ist das Genre abgesoffen. Wir brauchen erst einmal eine Pause der Besinnung. Aus den Historiendramen sind Schmonzetten geworden, aus der Idee wurde eine Masche.