Die Medienkolumne Dem Flaggschiff fehlt die Takelage

  • von Bernd Gäbler
Am 2. Januar 2008 werden die "Tagesthemen" 30 Jahre alt. Das einst als Flaggschiff der Informationsvermittlung aus der Taufe gehobene Magazin ist etwas abgetakelt, die Geburtstagsparty kann also kaum als Siegesfeier angelegt sein. Reformen sind notwendig, aber es ist schwer, sie in Gang zu setzen.

Nicht allein mit den Meldungen des Tages sollten Zuschauer und Bürger konfrontiert werden, sondern das vor 30 Jahren noch neue Angebot lautete: Einordnung, Vertiefung, Kommentierung des politischen und gesellschaftlichen Geschehens. So sollte am späteren Abend ein Nachrichten-Magazin den Tag für möglichst viele interessierte Bürger abrunden. Aus den USA wurde endlich das "Anchor"-Prinzip übernommen. Kein Vorleser tritt vor die Kamera, sondern ein besonders profilierter Journalist und kompetenter Kommunikator führt erklärend durch die Sendung.

Diese ist nicht länger eine Ansammlung von Meldungen, sondern nach Schwerpunkten strukturiert. Der "Anchor" hält die verschiedenen Elemente der Sendung zusammen, gibt Anregungen, führt knappe, kritische Interviews und schafft so Vertrauen. Das ist kein sensationelles Konzept, aber eins, das nach journalistischen Kriterien funktioniert. Es verlangt von den jeweiligen Reportern gute Sachkenntnis und filmische Ideen. Kommentare sind markant - und natürlich stehen nur die besten Leute auf der wichtigsten Position vor der Kamera.

Zur Person

Bernd Gäbler, geboren 1953 in Velbert/Rheinland, ist Publizist und Dozent für Journalistik. Er studierte Soziologie, Politologie, Geschichte und Pädagogik in Marburg. Bis 1997 arbeitete er beim WDR (u.a. "ZAK"), beim Hessischen Rundfunk ("Dienstags - das starke Stück der Woche"), bei VOX ("Sports-TV"), bei SAT.1 ("Schreinemakers live", "No Sports"), beim ARD-Presseclub und in der Fernseh-Chefredaktion des Hessischen Rundfunks. Bis zur Einstellung des Magazins leitete er das Medienressort der "Woche". Von 2001 bis Ende 2004 fungierte er als Geschäftsführer des Adolf-Grimme-Instituts in Marl.

Würden die Chefredakteure der ARD die Sendung regelmäßig nach diesen Kriterien bewerten, sie hätten längst einige Revisionen vorgenommen. Tatsächlich aber agierten sie über lange Zeit anders. Kritik wurde als Angriff wahrgenommen, Vorschläge wurden nicht erörtert, sondern abgelehnt, mitnichten wurde das einstige Aushängeschild gehegt und gepflegt - man ließ es verlottern. Sichtbares Zeichen dafür ist: Seit der letzten Programmreform flottieren die "Tagesthemen" ohne feste Anfangszeiten von Tag zu Tag durch das Programm. Selbstverständlich werden sie erst recht an den Rand gedrückt, wenn gerade Bambis verliehen werden, Herr Carreras quotenträchtig Gutes tut, oder Jörg Pilawa seine meist aus zweiter Hand konzipierten Quiz- und Showsendungen überdehnt. Aber nicht die sich seit Längerem abzeichnende inhaltliche Krise lässt nun bei den Chefredakteuren der ARD die Alarmglocken schrillen, sondern der entscheidende Weckruf ist selbstverständlich die Quote. Der Marktanteil droht unter zehn Prozent zu rutschen. Jetzt also: ran an die Reformen!

Droht jetzt "die große Lockerheit"?

Neben den vielen Maßnahmen, die eigentlich schon längst hätten ergriffen werden können, stehen die ARD-"Tagesthemen" vor einem tatsächlich keineswegs trivialen Problem. Immer mehr Menschen empfinden die Politik als abgehoben oder können mit den Kämpfen der Parteien nichts anfangen. Es gibt die Tendenz, dieser Stimmung einfach nachzugeben, statt über bessere Formen der Politikvermittlung nachzudenken. Aus dem "public service" wird dann eine Service-Orientierung auch der Informationsprogramme. Wer nur die Quote als Anlass für Reformen sieht, nimmt den Zuschauer nicht als Bürger ernst, sondern in erster Linie als Konsumenten wahr. Das aber - auch "news to use" genannt - kann nicht die vornehmste Funktion der ARD sein.

Das ist kein Plädoyer für das statische Nacherzählen jeder parteipolitischen Wendung, erst recht nicht für das fromme Ablichten der staatsmännischen Aktionen unserer Regierenden. Aber es ist ein energisches Veto gegen die - auch in öffentlich-rechtlichen Sendern in jeder Not aufkeimende - Tendenz, das gestern noch brav gesendete staatspolitische Hosianna jäh in ein beliebiges und beliebtes, buntes und boulevardeskes Hopsasa zu verkehren. Das Fürchterlichste, was mit den Tagesthemen geschehen könnte, wäre jetzt eine Wende hin zum vordergründig Populären, zu mehr Nutzwert und Promis, "bunten Stücken" und "human touch", präsentiert von unglaublich "lockeren" Moderatoren. Davon gibt es im Fernsehen wahrlich genug. Selbst unter dem simplen Gesichtspunkt der "Markenführung" wäre das ein Todesurteil für die "Tagesthemen".

Kommentare – fürchterlich persönlich

Da war ich aber erleichtert! Vor kurzem bekannte der zuständige ARD-Korrespondent, dass er persönlich erleichtert sei. Er lebte bis dahin nämlich in Sorge um das deutsch-polnische Verhältnis. Jetzt, nach der Wahl in Polen und dem ersten Staatsbesuch des neuen polnischen Regierungschefs in Berlin, aber steht es besser. Ganz persönlich wurde deswegen der "Tagesthemen-Kommentar" - also furchtbar. Noch gibt es keinen, der in der Lage wäre, zu entscheiden, dass schlechte Kommentare einfach nicht gesendet werden.

Zugegeben, der Mann hätte viel zu tun. Denn in der ARD ist der Kommentar eine Institution. Mit der Sache hat er nur jeweils vermittelt zu tun. Gelegentlich wird er auch von solchen Journalisten gehalten, die tatsächlich kommentieren können, also pointiert eine Meinung begründen. Vor allem aber ist er ein Podium für Führungspersonen, die sich selbst gerne hören und sehen. Natürlich soll das Ergebnis von Bali, der Ausgang einer Wahl, die Insolvenz eines großen Konzerns, der Bahnstreik oder die Serie verwahrloster Kinder kommentiert werden, aber als regelmäßiges Sendungselement hat sich der Kommentar überlebt.

Bunte Bilderteppiche

Ein "NiF" (Nachricht im Film) ist das, was wir in der Tagesschau oft - zu oft - zu sehen bekommen. Da gibt es dann einen Text zu einer politischen Konstellation und einen Bilderteppich dazu. Politiker laufen angestrengt an der Kamera vorbei, damit der Autor zehn Sekunden zum "Antexten" hat, auf die dann der O-Ton des Politikers folgt. Was in der "Tagesschau" schon wenig zum Hingucken reizt, hat in einem Magazinbeitrag nichts zu suchen. Aber auch in den "Tagesthemen" wird gesendet, was aus den zuständigen Regionen und Studios so kommt. Im Zweifelsfall wird auf die sachliche Kompetenz eines Reporters mehr geachtet als auf sein Talent als Filmemacher.

Individuelle Handschriften, die es früher zumindest bei Beiträgen zu kulturellen Themen noch gab, kann man mit der Lupe suchen. Reporterpersönlichkeiten findet man nur vereinzelt. Welchen Beiträgen sieht man Neugier an oder gestalterische Ideen? Eine Magazinsendung wie die "Tagesthemen" soll aktuell sein, aber sie braucht auch Menschen, die jenseits der Mühle aktueller Nachrichtenhektik einen zweiten Blick wagen. Es muss einen flexibel einsetzbaren zentralen "Reporterpool" geben.

Wo sind die neuen "Anchor"-Persönlichkeiten?

Machen wir uns nichts vor: Hanns Joachim Friederichs und auch Ulrich Wickert in seinen agileren Tagen haben Maßstäbe gesetzt. Gabi Bauer und Anne Will haben es geschafft, sich jeweils in die erste Reihe des TV-Journalismus vorzuarbeiten. Aktuell gehören in diese Reihe Günther Jauch und Peter Kloeppel, sicher auch Anne Will und Claus Kleber; Frank Plasberg mag auf dem Weg dahin sein. Auch wer Tom Buhrows wache Präsenz als Korrespondent bewundert hat, wird eingestehen müssen, dass er im Studio freundlich sein kann und auch souverän, aber einfach weit entfernt ist vom maßstabsetzenden Format seiner Vorgänger. Caren Miosga ist sprachlich deutlich sorgfältiger als der immer noch zu Phraseologie neigende Tom Buhrow, aber als Person auch eher zurückhaltend. Das kann angenehm sein. Gerade bei sehr präsenten männlichen TV-Persönlichkeiten ist der Grad zwischen eindringlich und aufdringlich oft schmal. Da könnte sie eine wunderbare Ergänzung und Abwechselung sein.

In der jetzigen Konstellation aber ist das Duo nicht stark genug, um die ARD-"Tagesthemen" in der dichten Konkurrenz auf einen unumstrittenen Platz als Informations-Magazin Nummer eins zu tragen. Es war ein großer Fehler der ARD, den langjährigen Korrespondenten im eigenen Haus, Claus Kleber, nicht als Wickert-Nachfolger zu verpflichten. Vermutlich wäre es auch noch eine gute Idee gewesen, Frank Plasberg nicht in das Rennen um den Sonntagstalk im Ersten zu schicken und ihn dann mitten in der Woche landen zu lassen, sondern ihm gleich die "Tagesthemen" anzubieten. Wen auch immer die ARD-Chefredakteure dafür halten, bei den "Tagesthemen" muss der Beste ran.

Kluge, abwechslungsreiche, verständliche, erklärende, anregende und Vertrauen stiftende Moderationen; Filme, die mehr sind als Text-Illustrationen; Beiträge, die Zuschauer packen, allerdings nicht durch vordergründige Effekte; Kommentare, die diesen Namen verdienen - das alles ist keine Hexerei, sondern Handwerk. Was zu tun ist, liegt auf der Hand. Das müsste jetzt im Vordergrund der Reformen für die ARD-"Tagesthemen" stehen. Selbstverständlich brauchen sie einen festen, einheitlichen Sendeplatz. Obwohl es "nur" um das Fernsehen geht, dreht es sich ausnahmsweise einmal um etwas halbwegs Ernstes - die Vermittlung von Politik über den elitären Kreis der ohnehin Interessierten hinaus. Hinderlich sind Eitelkeiten der Hierarchen und Egoismen der einzelnen Sender. Zu lange stand sich die ARD selbst im Wege.

PRODUKTE & TIPPS