Er steht mit dem Rücken zur Kamera zwei, die ihn demnächst einfangen wird, und blickt auf den Tisch, an dem er dann sitzen oder stehen wird; er hat sich noch nicht entschieden, ob er sitzen oder stehen will, aber er weiß schon, was er hören wird, wenn es so weit ist.
"Bä-bäh, bä-bä-bä-bäääääh!", trötet Tom Buhrow. "Guten Abend, meine Damen und Herren, hier ist das Erste Deutsche Fernsehen mit den "Tagesthemen"", sagt er. Kleine Pause. "Klingt gut, oder?", fragt er dann und lacht so heftig, dass sein Kopf vor und zurück schaukelt.
Der neue Herrscher im Volleyballfeld
Tom Buhrow, 47, hat kurzes, blondes Haar, das über der Stirn nicht mehr ganz vollzählig ist, und Augen, die so blau sind wie das Mittelmeer auf dieser Weltkarte, die man aus den Nachrichtensendungen der ARD kennt. Die kommen von hier, aus dem Studio "ARD 1" beim NDR in Hamburg-Lokstedt, einem Raum so groß wie ein Volleyballfeld, mit vier Kameras und Scheinwerfern und einer Glaswand, hinter der die Regie hockt. Buhrow trägt einen grauen Anzug, er geht um den Tisch herum, guckt auf den Computer, der in der Mitte eingelassen ist und Agenturmeldungen anzeigt: "Erste EU-Zahlungen an Ärzte in Gazastreifen" steht da. "Den Computer werde ich brauchen", sagt er. "Da darf ich die Blätter nicht drauflegen. Lieber hier auf den Kontrollmonitor. Dann siehste dich zwar nicht selbst, macht aber nix."
Das Ende einer 15-jährigen Ära
Tom Buhrow wird vom 1. September an im Wechsel mit Anne Will die "Tagesthemen" moderieren. Er löst Ulrich Wickert ab, der den Job 15 Jahre lang gemacht hat. Und wie das nun mal so ist, das weiß man ja seit Helmut Kohl oder Otto Rehhagel: Nach mehr als einem Jahrzehnt im selben Amt sind die Witze nicht mehr witzig, die Gesten nicht mehr frisch, sind alle Sätze gesagt und alle Worte verbraucht.
Buhrow hat "ein anderes Gesicht, eine andere Stimmlage und eine andere Tonfärbung", sagt Günter Struve, Programmdirektor der ARD, "das Ganze wird leicht rüberkommen, ohne leicht zu sein. Er hat einen jungenhaften Charme, den er noch viele Jahre halten kann. Ich habe das Gefühl, dass er immer hellwach ist".
Biorhythmus noch in Amerika
"'tschuldigung", sagt Tom Buhrow und gähnt, "mein Biorhythmus muss sich noch anpassen." Schon klar, er kommt aus Amerika. Dann führt er seine Besucher aus dem Studio heraus durch einen Gang, "hier ist die TAZ, die Tagesschau-Zentrale", sagt er im Vorbeigehen und zeigt rechts in einen Raum mit vielen Monitoren, "hier laufen die Berichte auf, die wir aus Washington schicken".
Tom Buhrow ist angekommen
"Wir." Buhrow war in den vergangenen vier Jahren Leiter der ARD-Zweigstelle in Washington D.C., er arbeitet sich dieser Tage ein bei ARD-Aktuell. "Ich gehe erst mal mit, um die Abläufe kennen zu lernen", sagt er. Sitzt Buhrow neben Wickert in der Nachmittagskonferenz oben im ersten Stock, sagt er nicht viel, er hört zu und beobachtet. Es sind andere Leute in einem anderen Konferenzraum, aber das alles erinnert Tom Buhrow an 1985. Er war damals Volontär beim WDR, "da durfte ich hier mal zwei Tage mitlaufen, damit ich die Strukturen verstand", sagt er.
So gesehen schließt sich an dieser Stelle ein Kreis. Man könnte auch sagen: Tom Buhrow ist angekommen. Aber das hört er nicht so gern, weil es nach Lebensplanung klingt, nach Karriere. Und Tom Buhrow wirkt lieber anders. Harmloser.
Familiengut ist noch im Container
Vor drei Tagen saß er mit seiner Frau, der freien Journalistin Sabine Stamer, in einem Hotel in der Hamburger Innenstadt beim Mittagessen. Die beiden erzählten vom Umzug: dass der 40 Fuß große Container, in dem ihr Familienleben verschifft wird, noch nicht angekommen sei hier im Hafen; dass das Haus, das sie in Elbnähe gemietet haben, noch renoviert werden müsse; dass die beiden Töchter, neun und zwölf, jetzt bei den Großeltern auf dem Land seien.
Und irgendwann sagte Sabine Stamer, dass sie sich unheimlich freue für ihren Mann, "weil er sich immer gewünscht hat, diesen Job zu kriegen". Tom Buhrow guckte ziemlich perplex. "Das hab ich aber noch nie zugegeben", sagte er. Sie kicherte, "doch!" Er: "Aber nicht öffentlich - das hört sich so ehrgeizig an!"
Ehrgeiz gibt er ungern zu
Ist er das etwa nicht, Frau Stamer, ehrgeizig? "Wenn er bestimmte Sachen möchte, ist er beharrlich darin, sie zu erreichen." Okay, okay, sagte Tom Buhrow, "ich wollte diesen Job, wie ich auch nach Amerika wollte. Aber ich bin nicht Tag und Nacht besessen davon: Wie krieg ich das hin, muss ich mich an den ranschmeißen und jenen ausbooten? Und ich wollte meine Kinder groß werden sehen".
Nicht verdorben durch das Business
Tom Buhrow gehört zu einer relativ kleinen Spezies von Fernsehmenschen. Er war ein Chef, der die Lobby des ARD-Studios in Washington persönlich mit Ballons und "Welcome back"-Schildchen geschmückt hatte, als seine Leute vor einem Jahr aus dem zerstörten New Orleans zurückkehrten, nach zwei Wochen Durcharbeiten. "Thank you, great job!", sagte er und schenkte Champagner aus. "Glauben Sie mir", sagt eine Kollegin dort, "ich bin seit 25 Jahren beim Fernsehen - Tom ist der Einzige, der auf dem Weg an die Spitze nicht zum Arschloch mutiert ist."
Egal, mit wem man noch spricht, um etwas über Tom Buhrow zu erfahren - man hört kein schlechtes Wort. "Er ist unkompliziert und gerade" (ein Redakteur von ARD-Aktuell); "Ich glaube, Tom ist genau der Richtige für die "Tagesthemen". Er ist ein so liebenswerter Kerl, dass man manchmal übersieht, dass da auch Substanz hinter steckt, weil er alles, was er weiß, so nett verpackt" (Claus Kleber vom "Heute-Journal", der Buhrow aus gemeinsamen ARD-Tagen kennt); "Die Zusammenarbeit mit ihm hat immer gut geklappt. Er kann Sachverhalte schnell und korrekt einschätzen und pflegt eine sehr verständliche Sprache" (Anne Will). Bei ARD-Aktuell waren sie jedenfalls mächtig froh, als Buhrow und nicht Gerhard Delling den Job bekam.
Und Kollege Wickert sagt jetzt: "Tom wird so moderieren, wie er ist - nämlich echt." Wickert sitzt in seinem Büro, das Buhrow am 1. September übernehmen wird, vor einer Pinnwand, an der ein Foto hängt: Buhrow lacht darauf, und Wickert grinst ihn von der Seite an.
Und Buhrow steht nun zwei Türen weiter im Büro von Anne Will, die in dieser Woche frei hat. Er schenkt Wasser aus einer Karaffe ein, öffnet ein Fenster zum Hof, Gewitterluft weht herein. Er setzt sich, dreht sich im Stuhl seitlich zum Schreibtisch, legt den linken Arm darauf und fängt an, laut über sich nachzudenken. "Ich plauder mal ein bisschen länger, okay?", sagt er. "So Selbstbespiegelung ist ja immer schwierig. Also: Ich bin im Rheinland aufgewachsen. Wir sind ja ein Volksstamm, der sich am liebsten das Leben nicht so schwer macht."
Buhrow kommt aus Siegburg, bürgerliches Elternhaus, eine große Schwester. Und wie in allen bürgerlichen Kindheiten habe es saftige Konflikte gegeben, sagt er, aber dann fällt ihm nur der eine ein: "Haare! Ich hatte lange Haare und musste um jeden Zentimeter kämpfen." Amerika habe ihn immer fasziniert, "da kam die Popkultur her, ,Easy Rider" und Blue Jeans", und dann schlug sein Vater vor: Geh doch hin! "Ihm war es wichtig, uns 'ne Ausbildung, 'ne Weiterentwicklung zu ermöglichen." Und so landete Tom Buhrow mit 15, im Sommer 1974, bei einer Gastfamilie in Wisconsin, "bald darauf trat Nixon zurück". Er blieb zwei Jahre, und als er zurückkam, "war in meiner Klasse angesagt: Man trägt Schwarz, man ist cool".
Ein Moment der Stille, des Nachdenkens, dann sagt er: "Manchmal ist es ja so, dass die Leute sich erst vornehmen, wer sie sein wollen. Und dann modellieren sie sich danach. Ich finde aber, das Kostbarste, was jeder Mensch zu bieten hat, ist das, was er ist." Buhrow lächelt ein wenig versonnen. "Das ist nämlich das einzig Interessante im Leben: wenn man echt ist vor anderen Menschen." Und das ist ja genau das, was die besseren Fernsehjournalisten - Anne Will, der etwas jüngere Wickert, Marietta Slomka - von den schlechteren abhebt: Originalität. Und Neugierde. Es kann nicht verkehrt sein, wenn da mehr ist als Ehrgeiz.
Man muss das Aufnahmegerät, das auf dem Tisch steht, ausschalten, um mit Tom Buhrow über eitle Kollegen und die Arbeit mit den Ellenbogen zu reden. Kennt er. Er weiß sich zu wehren, doch wie und gegen wen, das ist nichts zum Zitieren. Aber man darf wiedergeben, warum Buhrow Journalist geworden ist. "Es war Interesse, Abenteuerlust, ich wollte was sehen und reisen." Der Watergate-Film mit Robert Redford und Dustin Hoffman und der ähnlich lässige Hanns-Joachim Friedrichs imponierten ihm.
"Guten Abend, Herr Buhrow", sagt jemand durch das Bürofenster. "Ich stelle mich mal vor, wo ich Sie hier sehe. Marc Bator, freut mich!" Bator ist Nachrichtensprecher, er lacht und schiebt seine Hand herein. Kurzes Geplauder.
Tom Buhrow studierte Geschichte und Politikwissenschaften in Bonn, dann kam das Volontariat beim WDR. Es folgte die "Aktuelle Stunde", gleicher Sender, da machte er das ganze Programm mit: "Ich war Ablaufredakteur, Chef vom Dienst und Reporter - da lernst du alles, was dazugehört." Auch eine schöne junge Frau gehörte dazu, es kam "eine Volontärin hereinspaziert" - Sabine Stamer. "Ich dachte immer: Bloß keine aus den Medien, das bringt nur Ärger, aber dann É" É kamen der Antrag und die Hochzeit während eines Segelurlaubs auf der Ostsee, "denn ich hatte das Gefühl: jetzt oder nie". Sie wurden vom Skipper getraut. "Sie ist der ehrlichste Mensch, den ich kenne. Sie sagt mir alles, glasklar. Das ist ganz wertvoll", sagt Buhrow heute.
1992 ging er als Reporter in die "Tagesschau"-Redaktion des WDR, ein Jahr später nach Washington, dann nach Paris und wieder nach Washington. Und nun sind Bill Clinton und George W. Bush auf dem Weg nach Hamburg, zwei Pappgesellen, die Buhrow in seinem Büro in der M-Street stehen hatte. Seine Frau und er haben gemeinsam ein Buch geschrieben über ihre Zeit in den USA: "Mein Amerika, dein Amerika". Und beide planen nun ein Jahrzehnt in der Hansestadt; "Tagesthemen"-Moderatoren sollen treue Begleiter sein und Institutionen werden.
"Ich werde am 1. September so angespannt sein wie noch nie", sagt Tom Buhrow, "aber wenn die Studiotür zugeht mit diesem leisen Klick, dann ist da nur noch der Zuschauer und die Sendung, und dann fahren wir das Ding." Er hält einen schwarzen Kugelschreiber in der rechten Hand, dreht ihn mit Daumen und Zeigefinger hin und her, als er vom 1. September spricht. "Ich gebe zu", sagt er, "dass ich mich schon echt darauf freue."