Das royale Motto "Never complain, never explain" hat Prinz Harry bei der Reise von Großbritannien in die USA offenbar über Bord geworfen. Denn er beschwert sich und erklärt viel. Sehr viel. Zu viel. In seinen Interviews und in den Ausschnitten seiner Memoiren "Spare" wirkt der Ex-Royal wie ein wütendes Kind auf dem Höhepunkt seiner Trotzphase. Dabei sind viele der Dinge, die Harry und Meghan bis dato moniert haben, durchaus wichtig.
Prinz Harry: wie ein wütendes Kind
Wie menschenfeindlich Teile der britischen Presse agieren und welche Grenzen überschritten werden, muss benannt werden. Gut, dass jemand wie die Sussexes mit ihrer Reichweite genau das tun. Und auch den strukturellen Rassismus, den die beiden erkannt haben, sollte man benennen. Und man sollte Meghan zuhören, wenn sie beklagt, rassistische Ressentiments erlebt zu haben. Zuhören und ihr glauben. Doch was Harry gerade veranstaltet, geht darüber hinaus. Und er leistet sich und seiner Ehefrau damit einen Bärendienst.
Der Herzog von Sussex wirft eine Schmutzbombe nach der nächsten. Attackiert seinen Bruder für dessen cholerisches Gemüt. Geht seine Stiefmutter an, die selbst meist im Hintergrund bleibt und sich nie gegen die Monarchie stellt. Er wiederholt, dass sie als der "Bösewicht" in der Trennung seiner Eltern galt. Ihren angeblichen Drang, ihr Image zu rehabilitieren, bezeichnet er als "gefährlich". Er zeichnet damit – ob beabsichtigt oder nicht – ein ziemlich frauenfeindliches Bild: das der bösen Geliebten als einziger Schuldigen. Außen vor scheint er seine Eltern zu lassen, deren Ehe aller Wahrscheinlichkeit nach auch ohne Camilla gescheitert wäre. Auch hier klingt der heute 38-Jährige wie ein wütendes Scheidungskind.
Frostbeulen und erster Sex
Dazu noch die absurdesten Passagen des Buches, die den Ex-Royal zur Lachnummer machen: Harrys Frostbeulen-Penis bei Williams und Kates Hochzeit. Harrys erster Sex mit einer älteren Frau hinter einem Pub, die ihm den Hintern versohlte. Die Tatsache, dass Harry den Haarverlust seines Bruders "alarmierend" nennt. Gefährlich wird es, als Harry verrät, in Afghanistan 25 Taliban getötet zu haben. Für einen Mann, der viel Wert auf seine Sicherheit und die seiner Familie legt, ein gelinde gesagt dummes Geständnis.
Naiv – wie eben ein Kind – scheint Harry zu glauben, dass seine Familie ihm zuhört, wenn er nur schreit. Er meint zu denken, Charles, William und Co. würden ihn nun besser verstehen. Aber wie er glauben kann, dass sie jetzt einen Schritt auf ihn zugehen könnten, nachdem er sie und auch sich selbst öffentlich bloßgestellt hat, ist nur schwer nachzuvollziehen. Um einen Streit zu schlichten, braucht es zwei Parteien, die trotz aller Vorwürfe Rechenschaft ablegen. Die auch ihre eigenen Fehler sehen. Harry verlangt von seiner Familie genau das, aber im Gegenzug bietet er keine Reflexion an. Er erinnert sich daran, wie Prinz William ihn bei einem Streit aufgefordert haben soll, ihn zurückzuschlagen. Großmütig erklärt er, dass er das nicht tun wollte. Tatsächlich ist seine Biografie aber genau das: ein Gegenschlag.
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Bärendienst an sich und Meghan
Das Tragische ist, wie Harry mit seinem Buch viele der Bemühungen von sich und Meghan aus den vergangenen Jahren selbst zunichte macht. Auf einmal behauptet er in seinem ITV-Interview, Meghan und er hätten die Familie gar nicht "rassistisch" genannt. Wie bitte? Es hört sich an wie Gaslighting auf großer Bühne. Will Harry uns alle glauben machen, wir hätten es falsch verstanden? Noch im Dezember nahmen er und seine Frau in New York einen Preis entgegen für ihre Bemühungen im Kampf gegen Rassismus. Im Gespräch mit Journalist Tom Bradby behauptet Harry, er habe nur gemeint, dass innerhalb seiner Familie rassistische Vorurteile vorhanden seien. Alles andere sei von der Presse geschürt worden. Da muss man sich fragen: Warum haben er und Meghan das nicht richtiggestellt, wenn sie es nicht so gemeint haben?
Prinz Harry hätte seine Reichweite und seinen Einfluss besser nutzen können. Es ist richtig, dass er auf altmodische Strukturen in der Monarchie aufmerksam macht. Genauso auf rassistische Vorurteile. Nach seinem Skandalbuch bleibt davon nur noch wenig. Was die Menschen jetzt zu sehen bekommen, wirkt eher wie die Wutausbrüche und Enttäuschungen eines traumatisierten Kindes. "Trauma ist nicht das, was uns passiert, sondern das, was wir in uns tragen, wenn wir keinen einfühlsamen Zeugen haben", benennt es Trauma-Spezialist und Psychologe Peter A. Levine. Ein empathischer Zeuge scheint Prinz Harry nach Prinzessin Dianas Tod gefehlt zu haben. Er wurde alleine gelassen mit seinen Gefühlen. Jetzt, als erwachsener Mann, will er sie rausschreien. Bringen wird das voraussichtlich nichts.
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