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Die Verlockung in meiner Tasche Mein Smartphone kämpft gegen mich und ich kämpfe gegen mein Smartphone

Fünf Menschen schauen auf ihr Smartphone
Ein bisschen handysüchtig sind wir doch alle
© rawpixel.com / Pexels
Irgendwann merkte unser Autor, dass er ständig zum Handy greift – oft ohne zu wissen, warum eigentlich. Dann begann er, sich Gedanken darüber zu machen, was dahinter steckt und wie er etwas verändern kann.

Das Smartphone gehört zum Leben dazu, auch zu meinem. Manchmal aus Pflicht, manchmal zum Vergnügen und oft auch einfach nur aus Langeweile. Ich wache auf – ich greife zum Handy. Ich warte auf die S-Bahn – Handy. Ich sitze in der S-Bahn – Handy. Ich habe einen ruhigen Moment auf der Arbeit – Handy. Ich habe zu Hause nichts zu tun – Handy. Der Freund, mit dem ich mich gerade treffe, geht kurz raus – Handy. Ich sitze auf dem Klo – natürlich Handy. 

Irgendwann habe ich gemerkt, dass ich immer öfter zum Smartphone greife. Und zwar nicht etwa, weil ich dringend etwas nachschauen müsste, sondern völlig irrational, wie aus einem Reflex heraus. Ständig wanderte meine Hand zu dem kleinen Computer in meiner Tasche oder auf dem Tisch. Einfach, weil er eben da war. Ich merkte, wie das mein Leben veränderte: Ich konnte mich deutlich schlechter konzentrieren als früher noch. Ich musste ständig wissen, ob in der Welt der Apps auf meinem Telefon etwas passiert war. Das machte mich unzufrieden – und ich fing an, mir Gedanken darüber zu machen, wie ich das ändern kann. Mein Smartphone war so etwas wie ein Feind in meiner eigenen Tasche geworden, der gegen mich kämpfte. Und ich wollte zurückkämpfen.

Ich wollte nie ein Smartphone-Junkie werden

Aber zurück zum Anfang: Eigentlich hatte ich mich lange von Smartphones ferngehalten. Als die meisten meiner Freunde schon über die Bildschirme intelligenter Telefonen wischten, tippte ich immer noch mühsam auf den Tasten meines dumb phone herum und bekam dafür manchen spöttischen Spruch. Ich wiederum ärgerte mich über sogenannte "Phubber", also Leute, die in einem Gespräch nebenbei ständig aufs Handy gucken. Meine Smartphone-Abstinenz hatte einen guten Grund: Ich wusste schon damals genau, wie anfällig ich – ein Social-Media- und News-Junkie – für die Verlockungen des Handys sein würde. Und so kam es dann auch, als ich mir doch vor ein paar Jahren ein kleines, nicht besonders leistungsfähiges Smartphone anschaffte. Nicht von heute auf morgen, aber schleichend und kontinuierlich wurde das Smartphone immer selbstverständlicher für mich.

Apps wie Whatsapp, Instagram, Facebook und Twitter gelingt es immer wieder, auf fast schon magische Art und Weise, meine Hand zum Smartphone zu führen. Die Auswirkungen davon bemerke ich am stärksten bei meiner Konzentrationsfähigkeit und Aufmerksamkeitsspanne. Beides hat gefühlt stark abge ... oh, ein Eichhörnchen! Beim Lesen ebenso wie beim Schreiben fällt es mir deutlich schwerer, mich auf einen Text zu konzentrieren, ständig schweifen meine Gedanken ab, und nicht selten schweifen sie zum Smartphone. Wenn ich mir eine Serie auf dem Laptop oder ein Fußballspiel anschaue, spiele ich nebenbei auf dem Handy herum, ohne wirklich zu wissen, was ich dort eigentlich will. Ein Blogger forderte deshalb schon einen sogenannten "appreciation mode" für Netflix – einen Modus, in dem man Serien und Filme nur schauen kann, wenn der Rest des Internets gleichzeitig unzugänglich ist. Manchmal greife ich sogar, während ich an meinem Rechner sitze, zum Handy und öffne dort die gleichen Seiten, um zu schauen, ob im "kleinen Internet" vielleicht irgendwas anderes steht. Völlig reflexhaft und völlig bescheuert.

Smartphone lässt Konzentrationsfähigkeit leiden

Vielen Freunden, mit denen ich über das Thema gesprochen habe, geht es ähnlich. Solange das Smartphone in Griffweite liegt, kriegen sie nichts auf die Reihe. Dass unsere Konzentrationsfähigkeit durch den exzessiven Smartphonekonsum abnimmt, ist wenig verwunderlich. Wir verlernen nicht nur, uns auf längere Sinneinheiten wie zum Beispiel Bücher einzulassen. Das Handy konditioniert uns sogar knallhart auf das Gegenteil: Whatsapp-Nachrichten, Facebook-Posts und Tweets sind winzige Einheiten, die in Sekundenbruchteilen auf dem Bildschirm an uns vorbeifliegen. Wir haben gelernt, uns alle paar Momente auf einen neuen Inhalt einzustellen. Vielleicht liegt es auch daran, dass wir kein Problem damit haben, vier Folgen einer Serie am Stück zu schauen, ein ganzer Film uns aber als zu lang erscheint. Wir können nur noch in Bruchstücken denken.

Schließlich besteht unser ganzer Alltag nur noch aus Häppchen – getrennt durch den Griff zum Smartphone. Eine Studie der Uni Bonn hat ermittelt, dass Handy-Nutzer im Durchschnitt 88 Mal ihr Telefon anschalten und es dabei 55 Mal entsperren. Somit wird alle 18 Minuten das, was wir gerade tun, unterbrochen, rechnet Wissenschaftler Alexander Markowetz, der die Studie durchgeführt hat, in seinem Buch "Digitaler Burnout" vor. Die meisten dieser Nutzungssituationen dauern nur kurz, manchmal nur Sekunden. Insgesamt wird das Smartphone von Menschen zwischen 16 und 34 Jahren etwa 80 Minuten am Tag genutzt, ergab eine Befragung des Bundesverbands Digitale Wirtschaft (BVDW). Wir verbringen nicht unbedingt zu viel Zeit an unserem Smartphone, wir lassen uns einfach zu oft anlocken. 

Gib mir Dopamin: Wie uns Whatsapp und Co. süchtig machen

Wissenschaftler vergleichen das Smartphone mit einem Glücksspielautomaten. Mit jedem Griff zum Handy, jedem Öffnen einer App hoffen wir darauf, dass diesmal der große Gewinn herausspringt. Nur wissen wir nicht, wann und wie oft er kommt. Der Hauptgewinn – das ist in diesem Fall Anerkennung, positive soziale Interaktion, soziale Belohnungen. Danach sind wir Menschen – man kann es nicht anders sagen – süchtig. Jede Notification, jede Nachricht schüttet Dopamin in unserem Gehirn aus, ein sogenanntes Glückshormon. Zufällig ist es das gleiche Hormon, das beispielsweise beim Rauchen ausgeschüttet wird. Hat jemand bei Whatsapp geschrieben? Was ist bei Twitter los? Wer hat was bei Facebook oder Instagram gepostet? Diese Apps sind bewusst so entwickelt, dass sie in Echtzeit funktionieren und keinen Anfang und kein Ende haben. Jeden Moment kann etwas passieren. Die Twitter-Timeline durchzulesen ist die Sisyphos-Aufgabe der digitalen Zeit, man wird nie fertig sein damit. Es ist schon länger kein Geheimnis mehr, dass im Silicon Valley Anleitungen kursieren, wie sich Apps so designen lassen, dass die Nutzer den Absprung nicht mehr schaffen. Die Konzerne verdienen mit unserer Zeit und unserer Aufmerksamkeit Milliarden.

Handysucht ist mittlerweile eine anerkannte Krankheit. In der Altersgruppe von 14 bis 24 Jahren zeigen 2,4 Prozent der Frauen und 2,5 Prozent der Männer ein Suchtverhalten. Zu diesem Ergebnis kommt die sogenannte "Pinta"-Studie, die im Auftrag der Bundesregierung von dem Lübecker Psychologen Hans-Jürgen Rumpf durchgeführt wurde. Symptome sind unter anderem gedankliche Vereinnahmung, Entzugssymptome und Kontrollverlust. So weit ist es bei mir nicht. Ich weiß sogar, dass ich nicht der Schlimmste bin: Ich spiele kein Candy Crush. Ich nutze Tinder nicht. Ich trage eine Armbanduhr.

Handy-Konsum zurückfahren – nicht so einfach wie man denkt

Trotzdem hatte ich das klare Gefühl, dass ich meinen Handykonsum dringend zurückfahren müsste – so wie 46 Prozent der Befragten in einer Studie des Wirtschaftsprüfungsunternehmes Deloitte. Auf der Website des US-amerikanischen Wissenschaftlers James A. Roberts, der das Buch "Too Much of a Good Thing" über Smartphone-Nutzung geschrieben hat, mache ich einen Test, um zumindest einen groben Eindruck davon zu bekommen, wie abhängig ich wirklich von meinem Handy bin. Von zwölf Aussagen muss ich drei voll zustimmen. Ja, ich greife nach dem Aufwachen sofort zum Smartphone. Ja, ich nutze mein Smartphone oft aus Langeweile. Und auch meine Zeit am Handy nimmt zu. Laut Roberts ist das noch ganz okay – aber ich soll "aufmerksam sein, wie das Handy dein Leben beeinflusst". Schließlich habe ich bei manchen Statements auch ehrlicherweise mit "manchmal" oder "ein bisschen" antworten müssen: Natürlich bin ich schon mal über die Straße gelaufen, während ich auf mein Handy gestarrt habe.

Und so habe ich mich in den vergangenen Monaten auf die Suche nach Möglichkeiten gemacht, um meinen Handykonsum einzuschränken. Das einfachste wäre eine Null-Toleranz-Linie gewesen: das Smartphone ausmachen oder gleich zu Hause lassen. Aber ich bin ja kein Maschinenstürmer, der Smartphones abschaffen möchte. Schließlich brauche ich das Telefon sogar für die Arbeit, außerdem möchte ich unterwegs erreichbar sein und am digitalen Leben teilnehmen. Nur eben nicht mehr ganz so viel. Ich will einen vernünftigen, gesunden Umgang damit finden – das ist deutlich schwieriger als die totale Abstinenz. 

Tipps gegen den Smartphone-Reflex

Experten wie Forscher Roberts von der Baylor University in Nebraska oder die "Mobilsicher"-Initiative raten beispielsweise dazu, gewisse handyfreie Zonen und Zeiten im Alltag einzurichten. Wer sich durch die ständige Online-Anzeige in Apps wie Whatsapp dazu genötigt fühlt, permanent erreichbar sein zu müssen, kann diese ausschalten, wenn die App das zulässt. Mit Apps wie "Menthal" oder "Space" lässt sich überprüfen, wie oft man sein Smartphone aktiviert hat, welche Apps man besonders häufig nutzt und wie viel Zeit man am Handy verbringt. Bei manchen Smartphones erscheint auch unaufgefordert ein Wochenbericht, der uns die durchschnittliche Online-Zeit pro Tag vor Augen führt. Sollte selbst das alles nicht helfen, empfiehlt Roberts die Rückkehr zum dumb phone, dem altmodischen Tastentelefon ohne Internetzugang.

Mich hat vor allem der reflexhafte, meist sinnlose Griff zum Handy genervt. Deshalb habe ich angefangen, möglichst mehrere Handlungsschritte zwischen mir und dem Telefon einzubauen. Sobald ich nicht mehr mit einer einfachen Handbewegung das Smartphone in den Fingern habe, muss ich anfangen, nachzudenken. So erinnere ich mich eher daran, dass ich das ja eigentlich nicht mehr tun wollte und entscheide mich öfter bewusst gegen diese Bewegung. Der Mensch ist schließlich ein bequemes Wesen. Für mich habe ich die folgenden Regeln aufgestellt:

  • Smartphone seltener in Sicht- und Reichweite: weil siehe oben. Wenn ich unterwegs bin, stecke ich das Handy seltener in die Hosentasche und öfter in den Rucksack. Sitze ich bei der Arbeit am Schreibtisch oder mit Freunden zusammen, versuche ich das Handy nicht direkt vor mich auf den Tisch zu legen. Wenn ich auf die Toilette gehe, nehme ich das Telefon nicht mit.
  • Flugmodus: Der Flugmodus spart nicht nur Akku, sondern zieht auch eine weitere Barriere zwischen mir und der Handynutzung auf. Wenn ich mein Telefon erst entsperren, dann noch den Flugmodus deaktivieren und auf die Herstellung der Verbindung warten muss, überlege ich mir zweimal, ob es das wirklich wert ist.
  • Kein Smartphone im Bett: Ganz wichtig! Wenn ich nicht einschlafen konnte, schaute ich oft noch eine Weile aufs Handy. Wenn ich nachts aufwachte, ebenso. Eigentlich klar, dass diese Gehirnaktivität völlig kontraproduktiv ist. Jetzt darf das Smartphone nachts weder ins Bett noch auf den Nachttisch. Wecken lasse ich mich von einem alten dumb phone.

Das klappt bisher so einigermaßen, ist aber noch ausbaufähig. Klar ist, dass das Thema uns in den nächsten Jahren noch deutlich mehr beschäftigen wird. Experten warnen bereits vor den geistigen und gesundheitlichen Folgen des Smartphone-Konsums in unserer Generation – wie die aussehen werden, ist noch nicht absehbar. Gegensteuern muss jeder selbst.

Quellen:The Next Web / Buch "Digitaler Burnout – Warum unsere permanente Smartphone-Nutzung gefährlich ist" von Alexander Markowetz / "Digitale Nutzung in Deutschland 2018" (BVDW-Studie) / "Science In The News – Harvard University" / "Guardian" / "Mobilsicher"-Broschüre "Smartphones sicher nutzen" / Deloitte-Studie "Im Smartphone-Rausch: Deutsche Mobilfunknutzer im Profil" / "Nine Tips To Help You Break Away From Your Smartphone", Baylor University / "Too Much of a Good Thing", James A. Roberts

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