Iring Fetscher Deutscher Politologe im Alter von 92 Jahren verstorben

Als Wissenschaftler hat sich Iring Fetscher immer auch politisch engagiert und schaffte es daneben sogar noch, "ideologiekritische" Märchen zu schreiben. Jetzt ist er mit 92 Jahren gestorben.

Forschen und Lehren war ihm nie genug: Der Frankfurter Politologe und namhafte Marxismus-Forscher Iring Fetscher hat immer wieder den wissenschaftlichen Elfenbeinturm verlassen und sich politisch eingemischt. Am Samstag ist er nach kurzer Krankheit im Alter von 92 Jahren gestorben, wie seine Familie mitteilte.

Die Brücke zwischen Theorie und Praxis schlug der vielseitige Professor, der sich schnell langweilte, unter anderem als Mitglied der Grundwerte-Kommission in den 70er Jahren beim SPD-Vorstand. Er war auch Berater von Willy Brandt und Helmut Schmidt. Dennoch blieb er, obwohl er seit Jahrzehnten ein SPD-Parteibuch hatte, stets auf kritischer Distanz. Als "grüner Sozialdemokrat" befasste er sich schon früh mit der Frage der Vereinbarkeit von Ökologie und Ökonomie.

Gabriel würdigt Bedeutung Fetschers für die SPD

Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel würdigte am Sonntag die Bedeutung Fetschers für seine Partei: "Für uns Sozialdemokraten war Iring Fetscher stets eine wichtige Brücke zwischen akademischer Sozialwissenschaft und sozialdemokratischer Grundsatzdebatte."

Anfang der 60er Jahre war Fetscher, der in Marbach am Neckar zur Welt kam und in Dresden aufwuchs, nach Frankfurt berufen worden. An der Goethe-Universität lehrte er bis zu seiner Emeritierung 1987 Politikwissenschaft mit dem Schwerpunkt politische Theorie und Ideengeschichte. Einer seiner prominentesten Schüler, der Berliner Politikprofessor Herfried Münkler, attestierte Fetscher "ein feines Gespür für Themen und Probleme, wenn sie noch klein und unscheinbar sind".

Fetscher setzte große Hoffnungen in Papst Franziskus

Sein Schriftenverzeichnis lese sich wie ein kritischer Begleitkommentar zur Geschichte der alten Bundesrepublik, meinte Münkler. Fetscher beschäftigte sich Ende der 60er Jahre mit dem damals parteipolitisch neu formierten Rechtsextremismus - zehn Jahre später mit dem Linksterrorismus sowie der Reaktion des Staatsapparats. Dann war er von der ökologischen Reformpolitik fasziniert. 2002 wiederum war es Fetscher, der die Parteien dazu aufrief, den Umgang mit der PDS zu normalisieren.

Fetscher war Katholik, der große Hoffnungen in den neuen Papst Franziskus setzte, wie seine Familie sagte. Von ihm stammen zahlreiche Artikel und Diskussionsbeiträge zum Gespräch zwischen Christen und Marxisten. Sein großes Spektrum war verblüffend: Einem breiten Publikum wurde er mit seinem ideologiekritischen und humorvollen Buch über Märchen ("Wer hat Dornröschen wachgeküsst?") bekannt.

Kriegserfahrungen in Autobiographie reflektiert

Seine Kriegserfahrungen reflektierte der Arztsohn in seiner Autobiografie "Neugier und Furcht". "Meine ganze literarische Bildung stammt eigentlich aus der Kriegszeit - als Flucht vor der Kriegserfahrung", bekannte er. Sein Vater war am letzten Tag des Zweiten Weltkriegs in Dresden von der SS erschossen worden. Er wollte mit der Roten Armee Kontakt aufnehmen, um weitere Zerstörungen zu verhindern.

Der weltoffene Fetscher sprach mehrere Sprachen und lehrte unter anderem in den Niederlanden, USA und Australien. Trotz seines hohen Alters sei er bis zuletzt politisch hellwach gewesen, sagte seine Tochter Caroline am Sonntag. Zuletzt arbeitete er an einer Neuedition seiner Werke. Der erste Band erschien in diesem Jahr und widmete sich dem deutschen Philosophen Hegel.

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