Armin Laschet äußert sich skeptisch zu afghanischen Flüchtlingen und fischt dabei bewusst am rechten Rand, findet unsere stern-Stimme Michel Abdollahi. Damit disqualifiziere er sich für das Amt des Bundeskanzlers.
Armin Laschet sieht die Aufnahme von afghanischen Flüchtlingen skeptisch. Er sagte: "Ich glaube, dass wir jetzt nicht das Signal aussenden sollten, dass Deutschland alle, die jetzt in Not sind, quasi aufnehmen kann." Und er sagte: "Wir dürfen die Fehler von 2015 nicht wiederholen." Zwei Sätze, die gerade jetzt ungünstiger und populistischer nicht sein können.
Ungünstig, weil wir wie so oft nicht wissen, was Herr Laschet uns sagen will. Selbstverständlich dürfen die Fehler von 2015 nicht wiederholt werden, als sich die EU von ein paar osteuropäischen Ländern und der Türkei hat erpressen lassen, wie mit der Lage umzugehen ist, statt gemeinsam eine menschenwürdige Lösung für die Abermillionen Kriegsgeschädigten anzubieten. Wenn Herr Laschet das meint, dann hat er recht.
Aber es ist ja auch Wahlkampf und der Mann will Bundeskanzler werden. Dann klingen die Sätze wiederum perfide. Dann bedeutet "Fehler von 2015 nicht wiederholen": Keine Sorge liebe Rechte, mit mir wird es keine Flüchtlinge aus Afghanistan geben. Wir müssen vor Ort helfen und schauen, dass die nicht alle zu uns kommen. Oder im Klartext: Armin Laschets offener Zweifel am Asylrecht.
Der Westen lässt die Afghanen im Stich
Ganz gleich, was Armin Laschet uns sagen will und ganz abgesehen davon, warum der Kanzlerkandidat der Union von Fettnäpfchen in Fettnäpfchen stolpert, ist die Sache doch so: Der Westen ist nach Afghanistan gegangen und hat die Menschen dort nach westlichem Vorbild ausgebildet: Schulen, Frauenrechte, Gewaltenteilung, Zivilgesellschaft - all das haben wir gefördert und sind dann wieder gegangen. Ziemlich plötzlich. Und jetzt kommen die Taliban und bringen die Menschen dort um, die genau diese westlichen Werte leben wollen. Und statt jetzt denen zu helfen, die so werden wollten wie wir und deshalb umgebracht werden, sagen wir jetzt: Sorry, das ist zwar dumm gelaufen, aber wir können euch jetzt nicht alle aufnehmen. Bleibt mal da, wo ihr seid, wir können euch nur vor Ort helfen. Ein vor Ort gibt es aber nicht mehr.
Jemand, der so denkt, vertritt nicht unsere Werte, nicht jene Werte, die im Grundgesetz verankert sind. So jemand, der angesichts der Lage in Afghanistan einen solch perfiden Wahlkampf betreibt, um ja keine rechten Wähler:innen zu verlieren, ist meiner Meinung nach für das Amt ungeeignet. Nicht aufgrund der Aussage, die Meinung kann jede:r vertreten, nein, aufgrund der Aussage als Kanzlerkandidat. Als möglicher künftiger Bundeskanzler. Es ist ein Armutszeugnis für den Kanzlerkandidaten, sich so zu äußern, um am rechten Rand zu fischen, denn nichts anderes macht Laschet hier. Er wusste ganz genau, was er da sagte, insbesondere weil es sich um eine Antwort auf die Frage handelte, was er von Annalena Baerbocks Vorschlag hält, in Deutschland Kontingentsflüchtlinge aufzunehmen. Und die will er nicht. Er will keine Flüchtlinge. Sicher nicht, weil er ein Unmensch ist, sondern weil er Bundeskanzler werden will. Und dafür brauchte er die Stimmen vom rechten Rand. Angesichts der Situation ist hier aber gerade kein Platz für Wahlkampf.
Schauen Sie sich doch die Bilder aus Afghanistan an, wo Menschen am Strick durch die Straßen getrieben werden. Ja Herr Laschet, so schnell verschwindet die christliche Nächstenliebe der CDU, wenn es darum geht, die Umfragewerte wieder zu steigern. So schnell verschwindet das ach so hochgehaltene humanistische Selbstbild des Westens. Während die Menschen in Afghanistan Angst davor haben müssen, auf offener Straße gehängt zu werden, weil sie sich zu den westlichen Werten bekennen und nicht zu den Ideen der menschenverachtenden Taliban, will Herr Laschet "die Fehler von 2015 nicht wiederholen". Es ist nie ein Fehler, Menschen aus Kriegsgebieten aufzunehmen, Herr Laschet. Es ist nie ein Fehler, Menschen aufzunehmen, um sie vor dem sicheren Tod zu bewahren, Herr Laschet. Ganz im Gegenteil. Es ist unsere humanitäre Pflicht, die aufzunehmen, die sich Jahre für uns eingesetzt haben. Und jetzt genau deswegen in Lebensgefahr geraten sind.
Die meisten Flüchtlinge sind in den Nachbarländern
Und was sagen die Rechten, die jetzt alle von Laschets Aussage getriggert sind und versuchen ihn zu verteidigen: "Recht hat er! Man muss vor Ort helfen! Alles schon schlimm, stimmt, aber die anderen müssen sich auch mal kümmern! Warum immer Deutschland?" Mehrere Millionen Afghanen sind bereits in die Nachbarländer geflohen. Allein der Iran hat in den letzten Jahren über drei Millionen afghanische Flüchtlinge aufgenommen. Es ist ein oft wiederholtes Märchen, alle Flüchtlinge kämen nach Deutschland. Fast alle fliehen in die Nachbarländer. Und ganz am Rande: Wie naiv kann der Westen sein, immer wieder fadenscheinig zu begründen, man sei von den Taliban überrascht worden, um dann kollektiv abzutauchen. Der Bundesaußenminister "schätze die Lage falsch ein", der US-Präsident gönnte sich ein verlängertes Wochenende auf Camp David und die Bundesverteidigungsministerien backte Flammkuchen als Kabul fiel.

Die Nachbarstaaten schätzen die Situation anscheinend nicht falsch ein. "Wir haben schon vor zwei Monaten mit einer neuen Flüchtlingswelle aus Afghanistan gerechnet und daher schon damals mit der Einrichtung von provisorischen Pufferzonen an den drei Grenzübergängen begonnen", sagte das iranische Innenministerium. Und hier? Alle überrascht. Nachdem schon seit Jahrzehnten Abermillionen afghanischer Flüchtlinge in den Nachbarländern leben, will der Westen jetzt "vor Ort" helfen. Der Bundestagsabgeordnete von der CDU Roderich Kiesewetter sagte übrigens bei Radio Eins, dass der Antrag der Grünen aus dem Juni (!), die Ortskräfte auszufliegen, von der CDU abgelehnt wurde. Es sei nämlich Tradition, Anträge der Opposition abzulehnen. Dazu fällt mir nichts mehr ein.
Der einzige Fehler, lieber Herr Laschet, der 2015 gemacht wurde ist, den Schreihälsen, den "Besorgten", den Populisten und Rechtsradikalen von AfD und Pegida nachzugeben. Wenn Sie von diesem Fehler sprechen: Wiederholen Sie ich nicht.
Gott sei Dank sehen das Ihre Kolleg:innen aus den anderen Bundesländern diesmal alles gänzlich anders und stehen bereit, um Flüchtende aufzunehmen. Jene, die unseretwegen überhaupt in Gefahr geraten sind.
Der erste Luftbrückenflug hat übrigens schon stattgefunden. Annegret Kramp-Karrenbauer verkündete stolz, dass die Bundeswehr ganze sieben (!) Menschen aus Kabul ausgeflogen hat.