Der Berliner Rechtsanwalt Andreas Schulz vertritt einen Fahrgast, der bei dem versuchten Bombenattentat auf den Regionalzug 12519 von Mönchengladbach nach Koblenz hätte verletzt oder getötet werden können. Obwohl die Bomben nicht explodierten, haben die Fahrgäste beider Züge womöglich ein Anrecht auf Schadensersatz. Schulz ist spezialisiert auf internationales Schadensersatzrecht und gilt in Deutschland als einer der erfolgreichsten Anwälte seines Fachs. So trug er im Fall des Terroranschlages auf die Berliner Diskothek La Belle im Jahre 1986 dazu bei, dass für einen unbeteiligten Passanten eine sechsstellige Summe gezahlt wurde.
Gegen wen wollen Sie bei missglückten Anschlägen auf die beiden Regionalzüge vorgehen? Es ist ja glücklicherweise nichts passiert?
Zunächst muss man prüfen, wer für mögliche Schäden in Anspruch zu nehmen ist. Das können neben den mutmaßlichen Tätern auch dahinter stehende Organisationen sein, die Vermögen in Deutschland haben. Aber auch die Deutsche Bahn könnte verantwortlich sein, wegen nicht ausreichender Sicherheitsvorkehrungen.
Worin besteht eigentlich der Schaden?
Rein rechtlich können auch bei einem versuchten Mord Schäden entstanden sein. Denken sie nur daran, dass die Fahrgäste in den beiden Regionalzügen von Aachen nach Hamm und von Mönchengladbach nach Koblenz psychische Schäden davon tragen können, nachdem sie erfahren haben, dass sie ihr Überleben womöglich nur einem glücklichen Umstand verdanken. Der Zündmechanismus der Bombe funktionierte nämlich nicht. Solche psychische Schäden können sich übrigens auch erst Jahre später zeigen.
Bedeutet das, dass alle Passagiere in beiden Züge klagen können?
Theoretisch ja, praktisch wird es auf die kriminaltechnische Einschätzung ankommen, wer im Falle einer Explosion konkret gefährdet war. Wenn der Zug zum Beispiel nach der Explosion entgleist wäre, hätte dies alle Fahrgäste im Zug betroffen. Also könnten auch alle klagen und nicht nur die, die in den Abteilen saßen, wo eine Kofferbombe platziert war.
Für den juristischen Laien klingt das alles reichlich abstrakt. Gibt es Fälle, in denen ein solches Vorgehen erfolgreich war?
Ja! Zum Beispiel bei dem Anschlag auf die Berliner Diskothek La Belle. Dort befand sich ein Spaziergänger, der seinen Hund Gassi führte, unmittelbar vor der Explosion in der möglichen Todeszone der Bombe. Und somit war der Spaziergänger rein rechtlich auch Opfer eines versuchten Mordanschlages und wurde bei den Entschädigungszahlungen berücksichtigt.
Wie? Der Spaziergänger mit dem Hund hat Geld bekommen, obwohl er dem Anschlag entgangen ist?
Ja! Durch die Explosion in der Diskothek hätte das Haus einstürzen und ihn verletzten oder gar töten können. Dieses reichte aus, dass er später finanziell entschädigt wurde.
Aber wen wollen Sie im konkreten Fall der Kofferbomber in Anspruch nehmen? Bei den mutmaßlichen Tätern ist doch nichts zu holen?
Ein Leben kann lang sein. Im Fall von La Belle hat 18 Jahre nach dem Anschlag der libysche Staat dafür bezahlt, woran 1986 niemand im Traum je gedacht hatte. Auch für den Anschlag von 1983 auf das französische Kulturzentrum Maison de France in Berlin, bei dem der Staat Syrien involviert war, werden die Opfern möglicherweise noch finanziell entschädigt werden - jedenfalls dann, wenn die Bundesregierung so tätig wird wie im Fall La Belle. Im konkreten Fall bleibt abzuwarten, welche Erkenntnisse zu möglichen Hintermännern, Organisationen oder gar Terror unterstützenden Staaten bekannt werden.
Also geht es vor allem um Geld? Im Fall von La Belle wurden immerhin 35 Millionen Euro an die Opfer ausbezahlt.
Durchaus. Aber es geht nicht nur um Geld. Das Zivilrecht wird meines Erachtens neben dem Strafrecht zur Waffe gegen den Terrorismus und seiner Finanziers. Vor allem geht es auch darum, terroristischen Netzwerken ihre finanziellen Ressourcen zu entziehen. Ohne Geld sind Anschläge ungleich schwerer durchzuführen, wenn nicht gar unmöglich. Und damit kann das Zivilrecht schon im Versuchstadium eines Anschlages zum Präventivinstrument gegen Terrorismus werden.