Wieder und wieder betonte die Energie Baden-Württemberg AG (EnBW) in Pressemitteilungen, wie "gelassen" sie dem Verfahren wegen des Verdachts der Vorteilsgewährung gegen ihren Chef Utz Claassen entgegensehe. Gleichzeitig erregte sich das Unternehmen - zum Teil in denselben Mitteilungen, die Gelassenheit beschworen - öffentlich über uneinsichtige, lernresistente Staatsanwälte, sinnlose Verschwendung von Ermittlungsgeldern, ließ schließlich gar das Wort vom "Justizskandal" fallen. Gelassen, so viel war klar, würde die gerichtliche Auseinandersetzung kaum werden.
Claassen geht in die Offensive
Heute war es so weit. Claassen stellte sich am ersten Prozesstag vor der Großen Strafkammer 3 im Schwurgerichtssaal des Karlsruher Landgerichts den Fragen der Staatsanwälte - um diese gleich zum Auftakt einer "Kampagne der Diffamierung" zu bezichtigen. Hier soll sich einer verteidigen, der sich offensichtlich aufs Austeilen versteht. Claassen gestikuliert, spricht frei und druckreif, immer wieder blickt er beschwörend in das Halbrund der Prozessbeobachter, besonders eindringlich in die erste Reihe, in der die Pressevertreter eifrig protokollieren. "Ich habe mir absolut nichts vorzuwerfen", sagt er. "Die gegen mich erhobenen Vorwürfe liegen außerhalb meiner Vorstellungskraft."
Der Grund für den Prozess liegt beinahe zwei Jahre zurück: EnBW, der drittgrößte deutsche Stromkonzern, hatte die Fußballweltmeisterschaft als einer von sechs nationalen Förderern mit 12,78 Millionen Euro unterstützt und dafür rund 14.000 Eintrittskarten für WM-Spiele erhalten. Teils wurden die Tickets über Gewinnspiele verteilt, teils an Mitarbeiter weitergegeben. 38 Kartengutscheine fanden Ende 2005 den Weg in die Weihnachtspost von Utz Claassen. Der damalige EnBW-Chef - er ist erst vor einer Woche aus "strukturellen, professionellen, persönlichen und familiären Gründen" aus dem Energiekonzern ausgeschieden - hatte die kostbaren Gaben mehreren Politikern zukommen lassen, unter anderem dem baden-württembergischen Ministerpräsidenten Günther Oettinger. Baden-Württembergs Wirtschaftsminister Ernst Pfister (FDP) und der SPD-Staatssekretär im Berliner Umweltministerium, Matthias Machnig, nahmen zunächst dankend an. Claassen sah darin ein gelungenes Beispiel für 'Public-Private-Partnership'. Die Staatsanwaltschaft Karlsruhe fand die Weihnachtsgaben weniger gelungen und nahm Ermittlungen auf wegen "Vorteilsgewährung" - Bestechung.
Politiker erreichten Einstellung des Verfahrens
Die Staatsanwaltschaft verweist auf Paragraph 333 des Strafgesetzbuches: "Wer einem Amtsträger, einem für den öffentlichen Dienst besonders Verpflichteten (...) für die Dienstausübung einen Vorteil für diesen oder einen Dritten anbietet, verspricht oder gewährt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft." Auf Vorteilsannahme steht exakt dasselbe Strafmaß. Wirtschaftsminister Pfister und Staatssekretär Machnig, die zur WM ganz gern zu Gast bei den Freunden von der EnBW gewesen wären, erreichten jedoch gegen eine Zahlung von je 2500 Euro eine Einstellung des Verfahrens. Claassen, dem die Staatsanwaltschaft einen ähnlichen Deal vorgeschlagen hatte, lehnte dankend ab. Er wollte den Prozess. Er sah die Rechtsstaatlichkeit in Gefahr und sich selbst einer willkürlichen Justiz ausgesetzt - einer, die seiner Meinung nach mit zweierlei Maß misst und sich ihn für ein vermeintliches Vergehen aus der Masse der spendablen, nicht aber juristisch belangten Politiker-Spezl herausgepickt hat.
"Bis heute habe ich nicht verstanden, warum wir hierzulande keine auf zehn Meter eindeutige Rechtslage haben", wettert Claassen zum Prozessauftakt mehrfach. Dieses Bild gefällt ihm. Die EnBW-Loge und die des Autoherstellers Daimler liegen im Stuttgarter Gottlieb-Daimler-Stadion nämlich genau so weit auseinander, erklärt er. Trotzdem kümmere die Staatsanwaltschaft nicht, welche Politiker auf wessen Einladung zu WM-Spielen in die Daimler-Loge ein- und ausgegangen seien.
Handelte es sich um "Null-Geschenke"?
Abgesehen von dieser "Die-anderen-aber-auch!"-Strategie setzen Claassen und seine Verteidiger vor allem auf das Argument, dass die WM-Ticketgutscheine im Grunde Null-Geschenke gewesen seien: Jeder der beschenkten Politiker sei in der Position gewesen, dass er selbst kostenlos zu den Fußballspielen hätte gehen können. Zudem seien die Logentickets unverkäuflich gewesen, hätten also keinen Verkaufspreis gehabt und damit keinen wirklichen Wert. Und wo kein geldwerter oder sonst erkennbarer Vorteil, da keine Möglichkeit zur Vorteilsannahme und -gewährung! Als die Staatsanwalt die Sinnhaftigkeit solcher angeblich nutzloser Nettigkeitsgaben hinterfragt, weiß Claassen: "Solche Geschenke verschenkt man ja nicht, weil man denkt, der Empfänger bräuchte sie. Sie sind symbolisch. Ein Akt der Höflichkeit."
Und überhaupt. Es ging an jenem 22. Dezember 2005, dem Tag der EnBW-Weihnachtskartenaktion, ja gar nicht um die Fußball-WM, so Claassen, "sondern um Weihnachten". Die Präsentpost des Unternehmens, für die er um die 700 Grußkarten eigenhändig unterschrieben habe, sei "eine höfliche Anstrengung am letzten Arbeitstag des Jahres" gewesen. Sie sei unter großem Zeitdruck zwischen Zahnarzttermin und Weihnachtsfeier geleistet worden - manche Unterschriftenmappe habe er gar in der Zahnarztpraxis abgearbeitet. In dieser Jahresendhektik muss es nach Claassens Dafürhalten auch passiert sein, dass eine Gutscheingabe an den Staatssekretär im Bundesumweltministerium, Matthias Machnig, abgeschickt wurde.
Machnig auf Weihnachtsgeschenke-Verteiler
Auf den Fall Machnig will sich die Staatsanwaltschaft in den verbleibenden sieben Prozesstagen besonders konzentrieren. Hierzu hat Claassen vorab in einer Pressemitteilung verlautbaren lassen, dass es im Fall Machnig "beweisbar" zu einer Verwechslung gekommen sei. Der Staatssekretär sei nur durch ein Missgeschick auf dem Weihnachtsgeschenke-Verteiler von EnBW gelandet. Ein heruntergefallener Unterschriftenordner, ein heilloses Durcheinander, ein falsch zugeordneter Adressat, immenser Zeitdruck - so schnell könne so etwas passieren.
Und der versprochene "Beweis"? Am ersten Verhandlungstag deutet Claassen ihn lediglich an: "Glaubt ein einziger Mensch auf der Welt, ich würde Herrn Machnig einen Gutschein für ein WM-Spiel schicken, nicht aber seinem Minister Sigmar Gabriel?" Für diejenigen, denen die geschliffene Stichhaltigkeit dieser rhetorischen Frage nicht auf Anhieb einleuchtet, ergänzt er: "Das würde meinen Grundformen des protokollarischen Umgangs widersprechen."
Indes glaubt sich Claassen mit dem Verschicken der WM-Tickets generell im Recht. Die Kartenangebote seien für einen nationalen Sponsor der Fußballweltmeisterschaft doch völlig in Ordnung, lässt er seinen Anwalt verkünden. Das sei "keine verbotene Klimapflege", wie von der Staatsanwaltschaft unterstellt. Natürlich, Sponsoring könne durchaus indirekte wirtschaftliche Vorteile bringen - durch einen vorsichtigen Imagetransfer. Sicher, Sponsoring sei so gesehen im weitesten Sinne immer Klimapflege. Aber was soll an einem "symbiotischen Sponsorenverhältnis" anstößig sein, von dem sowohl das Unternehmen als auch die Öffentlichkeit etwas hätten - zumal es im Falle der EnBW-Ticketgutscheine ganz transparent und öffentlich geschehen sei? Solange es für Sponsoring noch keine verlässliche rechtliche Regelung gebe, falle so etwas wohl ganz unverdächtig unter den Grundsatz "Tue Gutes und rede darüber!"