Crime Story Die Rache des Boten

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  • von Fabrice Braun
Toni Musulin ist es satt, sich ausbeuten zu lassen. Er hat einen Plan. Und den Schlüssel für den Geldtransporter
Illustration
© Luca Boscardin

Drei mal vier Meter, mehr Platz hat er nicht. Er muss im Kreis laufen, die sechs Meter hohe Mauer entlang. Zehn Sekunden braucht er für eine Runde, in den 90 Minuten, die sie ihm geben, läuft er 540-mal durch den winzigen Hof.

Er zählt jede Runde. Jeden Tag.

Toni Musulin verspürt eine ungeheure Wut, die er rauslassen muss. Manchmal schiebt er seine Matratze gegen die Zellenwand und hämmert stundenlang auf sie ein. Diesen Zorn verspürt er nicht erst, seitdem er im Gefängnis sitzt, schon länger hat er dieses Gefühl, nicht zu bekommen, was ihm zusteht, woraus sich vermutlich auch seine Wut speist. Dieses Mal aber hat sie ihn an einen Ort gebracht, an dem niemand gern seine Tage verbringt: in Isolationshaft, im Hochsicherheitstrakt des Gefängnisses Corbas, in der Nähe von Lyon, der drittgrößten Stadt Frankreichs. Seine Mitgefangenen sind allesamt Schwerverbrecher, unter ihnen Kindermörder und Vergewaltiger. Toni Musulin aber ist nicht wie die anderen, er sitzt nicht in Isolationshaft, weil er ein Schwerverbrecher ist, sondern weil er vor ihnen geschützt werden muss. Seine Mitgefangenen wissen, wer er ist, und sie sind sich sicher, dass er eine äußerst wertvolle Beute versteckt hat.

Es ist nicht auszuschließen, dass Musulin die Haft letztlich in Kauf genommen hat, dass er im Gefängnis sitzt, weil es für ihn die bessere Lösung ist.

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Erschienen in stern Crime 41/2022