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Vom Staat finanziert New-York-Klassenfahrt: Der Berliner Englischlehrer ist der Held des Tages

Für 15 Berliner Schüler war die Klassenfahrt nach New York eine unvergessliche Reise. Dass der Steuerzahler den Trip mitbezahlt hat, sollte kein Aufreger sein - sondern vielmehr ein Musterbeispiel.
Ein Kommentar von Silke Müller

Der Berliner Englischlehrer, der mit seinem Leistungskurs nach New York gereist ist, ist mein Held des Tages. Vielleicht ist er nicht so lustig wie Zeki Müller, der in "Fack ju Göhte" Vollpubertierende aus bildungsfernen Familien für Shakespeares Theater zu begeistern versucht. Und vermutlich ballert "Fred", wie seine Kumpel vom SV Blau-Gelb Berlin den Abwehrspieler ihrer zweiten Herrenmannschaft nennen, auch nicht mit der Paintball-Pumpgun auf seine Schüler, um sie zum Unterricht in die Klasse zu treiben.

Hat er auch gar nicht mehr nötig. Denn die 15 Oberschüler, die mit ihm sieben Tage nach New York reisen durften, werden seitdem ihren Lehrer, die Schule, die Welt mit anderen Augen sehen. Alle 15 stammen aus Familien, die nur mit Hilfe von Sozialleistungen über die Runden kommen. Sie haben es bis aufs Gymnasium geschafft – keine Selbstverständlichkeit, denn Bildung ist in Deutschland immer noch eine Frage der Herkunft und des sozialen Status der Eltern.

Manche Berliner Schüler haben noch nie das Brandenburger Tor gesehen

Lehrer in Berlin berichten von Schülern, die noch nie das Branden-burger Tor gesehen haben. Weil sie nicht einmal aus ihren Stadtteilen heraus kommen. Diese 15 haben es hinbekommen, ein Visum zu beantragen, einige mussten bei der US-Botschaft vorsprechen, so mancher oder manche besaß noch nicht einmal ein gültiges Reisedokument. Sie sind über den Atlantik geflogen, haben sich in New York zurecht gefunden, das MoMA und vieles mehr besichtigt und sind vollzählig und heil wieder zurück gekommen. Das allein grenzt schon an ein Wunder. 

Was sie in ihren Köpfen und ihren Herzen gespeichert haben: die Skyline von Manhattan, den Central Park, das Tempo, den Sound dieser Stadt - all das kann nur erahnen, wer selbst einmal die Chance hatte, durch New York zu streifen. 

Dass der Staat um die 38.000 Euro dafür bezahlt hat, weil die Schüler allesamt Anspruch auf Förderung aus dem Bildungs- und Teilhabepaket haben, mag als kurzfristiger Aufreger herhalten. Langfristig wäre es sinnvoll, allen Oberschülern dieses Landes eine solch Augen öffnende Initialerfahrung zu ermöglichen.

Die deutschen "Rich Kids" tummeln sich schon als Windelträger an den Traumstränden und in den Metropolen dieser Welt. Blankeneser Gymnasiasten haben vermutlich mehr von der Welt gesehen als ihre Lehrer.

Für viele andere Jugendliche in unserem Land gilt das nicht. Und deswegen war es an der Zeit, dass ein Lehrer das System zu ihren Gunsten nutzt. Einige der Schülerinnen und Schüler werden zum ersten Mal das Gefühl gehabt haben: Da geht was. Es gibt eine Welt da draußen, die ist so viel schneller, bunter und vielleicht auch härter als alles, was wir hier in unseren Berliner Kiezen erleben. Und: Da geht auch etwas für mich. Ich kann reisen, ich kann mich in einer anderen Sprache verständigen, ein Picasso-Gemälde stellt meine Welt viel stärker in Frage als ein Foto auf Facebook. Ich will mehr davon.

In einer Zeit, in der alle Gewissheiten und Selbstverständlichkeiten auf dem Prüfstand stehen, müssen wir auch unsere Standards neu definieren. Bildung steht, auch angesichts der neu hinzukommenden Menschen aus allen Teilen der Welt, ganz oben auf der Prioritätenliste. Bildung bedeutet: Empowerment. Die nächste Generation zu befähigen, mit den Zumutungen der Weltläufte klar zu kommen, neue Perspektiven für uns alle zu finden, unser Land in eine gute Zukunft zu lenken. Das kostet. Und das sollten wir uns was kosten lassen. 

Das System gehört an den Pranger gestellt

Nicht der Lehrer, der für seine Schüler das Größtmögliche heraus geholt, und auch nicht der Direktor, der es genehmigt hat, gehören an den Pranger gestellt. Sondern ein System, das Kinder von Geringverdienern zurück lässt. Die Familien nämlich, die sich Kraft eigener Arbeit gerade mal so über Wasser halten, können ihre Kinder nicht auf teure Klassenfahrten schicken.

Und so kommt es vor, dass manchmal nur die "Hartzer" ihre Koffer packen, während die übrigen Schüler zuhause bleiben müssen.  Das ist der Skandal. Und nicht der gewitzte Junglehrer, der seinen Schützlingen beweisen wollte, dass die Welt mehr für sie bereit hält, als man sich zwischen Aldi und Späti so vorzustellen vermag.
 

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