Nach dem Wirbelsturm "Sandy" ist die Zahl der Todesopfer bis Mittwoch in Nordamerika auf mindestens 52 gestiegen. In den Tagen zuvor hatte "Sandy" in der Karibik bereits 67 Menschen in den Tod gerissen. Außerdem sind nach wie vor sechs Millionen Amerikaner ohne Strom. Allein vier Millionen davon leben in den Staaten New York und New Jersey, wie das Energieministerium in Washington am Mittwoch (Ortszeit) mitteilt. Auch sonst kämpfen die Menschen mit den Folgen des Unwetters: In New York musste ein weiteres Krankenhaus evakuiert werden. "Das war ein verheerender Sturm, vielleicht der schlimmste, den wir jemals erlebt haben", sagte Bürgermeister Michael Bloomberg. "Schrecklich", beschrieb Senator Charles Schumer die Lage nach einem Erkundungsflug über die Stadt. "Soviel ist zerstört." Manche Gegenden sähen aus wie London oder Dresden nach den Bombenangriffen im Zweiten Weltkrieg. "Ich habe New York noch niemals zuvor so gesehen", sagte Gouverneur Andrew Cuomo.
Und doch geht das Leben vieler New Yorker so weiter wie bisher. Im Großteil der Bronx oder in den höher gelegenen Teilen Manhattans hat "Sandy" zwar Bäume umgeknickt, doch sind die Fluten von Hudson und East River nicht bis hierher vorgedrungen. Die Menschen haben Strom, fließend Wasser, Internet, Fernsehen und Handyempfang. Wären nicht die Nachrichten voll von Sturmbildern und würde die U-Bahn normal fahren, man könnte die Katastrophe glatt vergessen.
Präsident Barack Obama versprach den Betroffenen rasche Hilfe. Priorität habe die Wiederherstellung der Stromversorgung. Mindestens 50 Menschen waren beim Durchzug des Jahrhundertsturms ums Leben gekommen. "Wir sind für euch hier. Wir werden nicht vergessen", sagte Obama bei seinem Blitzbesuch im schwer betroffenen Bundesstaat New Jersey. Obama verschaffte sich einen Überblick über das Ausmaß der Zerstörungen. Außerdem sprach er mit Betroffenen. Der Besuch des Präsidenten dauerte gut dreieinhalb Stunden.
Folgen für Umwelt noch unklar
Noch ist allerdings schwer abzuschätzen, welche Folgen der Hurrikan für die Umwelt haben wird. Durch einen Unfall im Zusammenhang mit "Sandy" sind beispielsweise in einer Raffinerie im US-Bundesstaat New Jersey mehr als eine Million Liter Diesel ins Meer geflossen. Wie der Fernsehsender CNN am Donnerstag berichtete, wurde durch das Unwetter ein Tank in einer Raffinerie aufgerissen. Demnach waren rund hundert Arbeiter unter Aufsicht der Küstenwache im Einsatz, um das ausgelaufene Öl zu beseitigen.
Auch die drei Kernkraftwerke in den Unwettergebieten, die im Zuge von "Sandy" vom Netz genommen worden waren, bleiben weiter außer Betrieb. Lediglich der Reaktor Indian Point im Staat New York solle in den nächsten Tagen wieder ans Netz gehen, gab ein Sprecher der Atomaufsichtsbehörde NRC in Pennsylvania, Neil Sheehan, bekannt. Sheehan betonte, es gebe keinerlei Ähnlichkeiten mit dem Reaktorunglück im japanischen Fukushima. "Diese Reaktoren, die abgeschaltet worden waren, haben keinerlei Komplikationen aufgewiesen."
Entspannung gibt es inzwischen auch im Luftverkehr. Nach mehreren Flugausfällen in den vergangenen Tagen durch Wirbelsturm "Sandy" normalisiert sich die Lage am Frankfurter Flughafen wieder. Nur drei Flüge nach New York müssten am Donnerstag annulliert werden, teilte der Flughafenbetreiber Fraport am Donnerstagmorgen mit. Davon betroffen seien die Fluglinien Delta Air Lines, Singapore Airlines und die Lufthansa. Ein Sprecher der Lufthansa erklärte am Morgen, es gebe keinerlei neue Flugausfälle mehr auf den US-Strecken. Allerdings hätten Flüge aus den USA erhebliche Verspätungen, da die Crews erst wieder dorthin geflogen werden müssten. Er betonte: "Die Situation normalisiert sich zusehends."
Hilfsangebote von Freunden und Feinden
Nach den verheerenden Folgen des Wirbelsturms ist die Spendenbereitschaft der Amerikaner groß. Mehr als elf Millionen Dollar (etwa 8,5 Millionen Euro) seien bereits zusammengekommen, berichtete das Rote Kreuz. Außerdem meldeten sich zahlreiche spendierwillige Prominente und Firmen. Sein Unternehmen habe den betroffenen Familien in New York und New Jersey eine Million Dollar zur Verfügung gestellt, teilte Medienmogul Rupert Murdoch per Kurznachrichtendienst Twitter mit.
Der Autobauer Ford kündigte eine Spende in Höhe von 50.000 Dollar an, Konkurrent Toyota von einer Million. Die Baseball-Mannschaft der New York Yankees versprach 500.000 Dollar. Der bislang größte bekannte Einzelspender wollte aber zunächst anonym bleiben: Der Unbekannte habe der Stadt New York 2,5 Millionen Dollar für die Wiederaufbaumaßnahmen geschenkt, sagte Bürgermeister Michael Bloomberg.
Ein überraschendes Hilfsangebot für die Opfer des Hurrikans kommt unterdessen vom Erzfeind Iran. Der Iranische Rote Halbmond habe große Erfahrung mit Stürmen und Überschwemmungen, sagte dessen Vorsitzender Mahmud Mosafar am Mittwochabend der Nachrichtenagentur Fars. Die Organisation stehe bereit, den Opfern in New York und anderen Städten zu helfen. Sollte die US-Regierung das Angebot annehmen, würden die iranischen Helfer umgehend nach Amerika aufbrechen. Der Iran und die USA unterhalten seit mehr als 30 Jahren keine diplomatischen Beziehungen mehr.
Kubas Staatschef Raúl Castro drückte sein Bedauern über die Opfer in den USA und anderen Ländern wie Haiti, Bahamas, Jamaika und Kanada aus. Auf der sozialistischen Karibikinsel selbst forderte "Sandy" mindestens elf Menschenleben.