Not kennt kein Gebot – eine Binsenweisheit, die sich für die Betroffenen der Erdbebenkatastrophe in der Türkei und in Syrien nun einmal mehr bewahrheitet. Dem Hauptbeben folgten etliche Nachbeben, ganze Stadtgebiete wurden verwüstet, Menschen werden tagelang ohne jegliche Unterstützung alleingelassen und trauern um ihre Angehörigen.
Die staatlichen Stellen– von deren Vorhandensein man nur in der Türkei, nicht jedoch in den weitestgehend kriegszerstörten syrischen Rebellengebieten sprechen kann – kommen mit ihren Hilfsbemühungen nicht ausreichend nach. Und selbst die internationale Unterstützung kommt – hauptsächlich im syrischen Erdbebengebiet – nur äußerst schleppend und mit großer Verzögerung an.
Zahlreiche Konfliktsituationen im Grenzgebiet von Türkei und Syrien
Zu dieser Gemengelage gehören noch die nach wie vor fortgesetzten Angriffe der türkischen Armee auf Syrien, was wiederum mit dem ungelösten Kurdenkonflikt in der Region zusammenfällt. Kräfte der syrisch-kurdischen sogenannten "Volksverteidigungseinheiten" (YPG) sollen kurz nach dem schweren Erdbeben vom vergangenen Montag türkische Stellungen im Grenzort Öncüpinar angegriffen haben. Als Vergeltung, so das türkische Verteidigungsministerium, habe man daraufhin YPG-Einheiten in Tal Rifaat mit Luftstreitkräften angegriffen. Unabhängig überprüfen lassen sich diese Angaben nicht.

Wenn man denn überhaupt von einem Gebot für die Betroffenen ausgehen möchte, dann lautet dies schlicht: Überleben. Und wenn es zeitweilig keine staatliche Ordnung gibt, um ein Überleben möglichst vieler zu gewährleisten, dann ist sich schnell jede und jeder selbst der Nächste.
Die türkischen Behörden haben bislang mindestens 48 Menschen wegen mutmaßlicher Plünderungen festgenommen. Allein in der Provinz Hatay seien 42 Verdächtige festgenommen worden, bei denen größere Geldsummen, Schmuck, Bankkarten, Computer, Handys sowie Waffen gefunden worden seien, berichtete die amtliche türkische Nachrichtenagentur Anadolu am Samstag unter Berufung auf Sicherheitsvertreter.
Laut einem ebenfalls am Samstag im Amtsblatt veröffentlichten Erlass können Staatsanwälte in den zehn Erdbebenprovinzen im Rahmen des von Präsident Recep Tayyip Erdogan ausgerufenen Notstands mutmaßliche Plünderer sieben Tage lang in Gewahrsam nehmen. Bisher waren es vier Tage.
Erdogan hatte zuvor ein hartes Vorgehen gegen Plünderer angekündigt. "Alle, die in Plünderungen oder Entführungen verwickelt sind, sollten sich von nun an bewusst sein, dass der Staat sie fest im Visier hat", sagte der Präsident bei seinem Besuch in der Provinz Diyarbakir und verwies dabei ausdrücklich auf die Notstandsregelungen.
Jetzt kommt die Wut
Indes setzten erste Hilfsteams aus Angst vor möglichen Tumulten ihre Arbeit aus. Das Technische Hilfswerk (THW), die Hilfsorganisation I.S.A.R Germany und das österreichische Bundesheer verwiesen auf die Sicherheitslage. Berichten zufolge schlägt die Trauer mitunter inzwischen in Wut um.
"Es gibt zunehmend Aggressionen zwischen Gruppierungen in der Türkei. Es sollen Schüsse gefallen sein", sagte beispielsweise Oberstleutnant Pierre Kugelweis vom österreichischen Bundesheer der Nachrichtenagentur APA. Nach einer Unterbrechung setzten die Soldaten ihre Arbeit fort. Die türkische Armee habe den Schutz der Einheit übernommen.
Manche zerstörten ganze Städte: die verheerendsten Erdbeben der Geschichte

I.S.A.R-Einsatzleiter Steven Bayer konstatiert: "Es ist festzustellen, dass die Trauer langsam der Wut weicht." Tamara Schwarz, Sprecherin der THW-Zentrale in Bonn, sprach von "tumultartigen Szenen". "Grund dafür scheinen unter anderem die Verknappung von Lebensmitteln und die schwierige Wasserversorgung im Erdbebengebiet", teilten THW und I.S.A.R weiter mit. Der Schutz der Ehrenamtlichen stehe jetzt im Vordergrund. Die Teams blieben aber weiter vor Ort.
Für die im dem Gebiet unterstützenden Teams, wie auch für alle, die von Deutschland aus ebenfalls etwas beisteuern möchten, gilt jedenfalls: Not kennt ein Gebot, nämlich jenes der Nächstenhilfe. Wenn Sie den Erdbebenopfern helfen möchten, können sie hier spenden:
Quellen: "Tagesspiegel", ZDF, "Frankfurter Rundschau", DPA, AFP