Unglück der "Costa Concordia" Ein Schiffbruch als Warnung

  • von Ralf Klassen
Ob technisches oder menschliches Versagen oder beides - das Unglück der "Costa Concordia" ist auch eine Folge unseres grenzenlosen, leichtsinnigen Vertrauens in die Technik.

Es sind Bilder, die auch am zweiten Tag der Katastrophe unwirklich erscheinen: Wie ein kaputtes Spielzeugschiff, achtlos an den felsigen Strand geworfen, liegt die "Costa Concordia" vor der toskanischen Insel Giglio . Die Dimensionen verschwimmen vor dem Auge des Betrachters, weil man es nicht gewohnt ist, einen solchen Ozeanriesen aus dieser Perspektive zu sehen. Auf der Seite liegend, halb im ruhigen Wasser untergetaucht, gibt der 290 Meter lange und 36 Meter breite Stahlkoloss kaum einen Hinweis darauf, welches Drama hier vor weniger als 48 Stunden begonnen hat - und noch andauert.

Denn noch immer sind hier Leben in Gefahr, noch immer werden wohl über ein Dutzend Menschen vermisst, vielleicht sind es mehr, vielleicht auch weniger - in dem Chaos, das die Havarie der "Costa Concordia" ausgelöst hat, ändern sich die Angaben von Polizei, Behörden und Reederei alle paar Stunden.

Die Zahlen der Toten, der Verletzten, der Vermissten - nicht nur sie werden in diesen Tagen heftig diskutiert. Immer lauter werden nun auch die Fragen nach dem Grund für das Unglück: Wieso konnte ein hochmodernes, erst wenige Jahre altes Schiff, vollgestopft mit Hightech für Navigation, Antrieb und Manöver überhaupt in eine solche verhängnisvolle Situation kommen? Wieso schlitzt sich ein solcher Kreuzfahrer den Rumpf auf über 30 Meter Länge auf, an einem Felsen, der seit Hunderten von Jahren allen Seefahrern und Fischern der Gegend bekannt ist. Und schließlich: Warum begibt sich der Kapitän gegen alle Regeln und Ehrbegriffe von Bord seines sterbenden Schiffes, schon lange, bevor der letzte seiner insgesamt 4231 Schutzbefohlenen, Passagiere und Mannschaft, die "Costa Concordia" verlassen hatte?

Kapitän Francesco Schettino gerät bald schon nach dem Unglück ins Visier der Staatsanwaltschaft, nicht nur wegen seines überstürzten Abganges von Bord. Der 52-Jährige, mit wallendem Haar und scharfen, dunklen Augen ein Bild von einem italienischen Kapitän, wird wegen Verdunkelungsgefahr festgenommen. Man hält ihm vor, die Route leichtsinnig geändert und der Insel zu nahe gekommen zu sein. Er habe, einem "Schiffsbrauch" üblich, die Bewohner der Insel "grüßen" wollen. Dies sei in den vergangenen Jahren häufiger schon passiert, hört man nun auf der Insel. Und immer, Madonna, sei es gut gegangen.

"Sicherheitsabstand" als lässliches Fremdwort

Es wäre nicht das erste Mal, dass ein für ein Großtransportmittel verantwortlicher Mensch, verleitet durch all das GPS, ABS, Echolot und sonstiges Computerspielzeug um ihn herum, alle Vorsicht und Angst beiseite schiebt, um zu zeigen, was sein Schiff, sein Flugzeug, sein was auch immer Tolles so kann. Nur 150 Meter vom Ufer entfernt, im sehr flachen Wasser, soll Schettino seine "Concordia" wie zur Parade auffahren haben lassen, berichten nun Beobachter. Bei so etwas reicht schon eine überraschend auftretende Kreuzströmung oder eine heftige Windböe, um einen hochhaushohen Kreuzfahrer von 70.000 Tonnen ins Schlingern zu bringen. Andere Zeugen sprechen von einem plötzlichen Ausfall der Elektrik, der das antriebslose Schiff Richtung Felsen driften ließ. Wie auch immer - "Sicherheitsabstand" schien für Commandante Schettino ein lässliches Fremdwort zu sein.

Und dann - nach der Durchsage "Keine Panik" in sechs Sprachen - die Rettungsaktion, nicht geübt, weil erst für den nächsten Tag auf dem Ferienprogramm. Unkoordiniert zwischen italienischer, südamerikanischer, asiatischer und afrikanischer Besatzung - der typische unterbezahlte und schlecht ausgebildete Personalmix auf modernen Kreuzfahrtschiffen, bei denen wir so gerne tolle Schnäppchen machen, für 400 Euro acht Tage Mittelmeer einschließlich All-you-can-eat-Buffet viermalö pro Tag.

So ein Hotelkomplex auf See muss immer größer werden, muss immer mehr Menschen aufnehmen können, damit die Spottpreise gehalten werden können und sich die Margen trotzdem noch lohnen. Entstanden sind so immer gigantischere Kreuzfahrerkonstruktionen, auf jedem Quadratmeter perfekt durchgestylt für die Reisebedürfnisse solcher Massen, aber äußerst verwundbar für Pannen und im Extremfall kaum kontrollierbar.

Und in einem solchen heillosem Durcheinander stolpern über 3000 Gäste in Dunkelheit, Kälte, Sprachengewirr und bei immer schlimmer werdender Schräglage Richtung Rettungsboote - es ist, bei aller Trauer um die Opfer, mehr als ein Wunder, dass die Sache noch so ausgegangen ist.

Und ein ganz heftiger Wink des Schicksals.

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