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Kolumne Winnemuth Wenig ist so befriedigend wie hingebungsvolles Putzen

Ob mit Palmenwachscreme oder chemischen Massenvernichtungswaffen: Putzen macht glücklich. Man darf das nur nicht auf Partys erzählen, dann steht man bald allein da.
Von Meike Winnemuth

Mit dem Ehemann einer guten Freundin überlegte ich neulich, ob wir uns mal zum Schuhputzen treffen sollten. Wir verwarfen es, weil es uns ja doch keiner abkaufen würde. Aber wir redeten zumindest darüber, klandestin, in der Küche, am Rande einer Geburtstagsfeier. "Burgol Juchtenfett", sagte ich, "das gelbe. Mit Dorschtran." "Ehrlich?", fragte er ergriffen. "Und nimmst du auch Sattelseife zum Vorreinigen?" Die Leute um uns herum, die sich einen neuen Wein holten, guckten komisch. Wir senkten die Stimmen. Man wird leicht zur gesellschaftlichen Randgruppe, wenn man sich als libidinöser Schuhputzer outet.

Ich würde mich nicht als leidenschaftliche Hausfrau bezeichnen (ich schaffe es auch nach Jahrzehnten nicht, ein Spannbettlaken zusammenzulegen, und habe das Bügeln aus weltanschaulichen Gründen weitgehend eingestellt), aber ich putze mit Inbrunst.

Es gibt nichts Schöneres als abwaschen

Meike Winnemuth

Die Bestsellerautorin ("Das große Los") schreibt wöchentlich im stern. Und freut sich auf Sie. Was bewegt Sie gerade? Tauschen Sie sich mit unserer Kolumnistin aus: 
facebook.com/winnemuth

Zum Beispiel Silber, weil ich da meine "Downton Abbey"-Fantasien ausleben kann. Viel zu tun habe ich nicht, weil ich nur ein einziges, auch nur versilbertes, mächtig angedengeltes kleines Teekännchen besitze. Aber wie unendlich befriedigend, das Ding von leicht angelaufen zu hochglänzend zu polieren, natürlich mit "Schmitzol's Wiener Kalk" aus Kaolinit und gemahlenem Quarz. (Daher auch der Ausdruck "wienern", gern geschehen.) Wie ebenfalls unendlich befriedigend, meinen alten dänischen Palisandertisch mit Babéra Anti-Kratzer Teakholzöl einzureiben und dabei ein weiteres Mal über die Putzanweisung auf der Flaschenrückseite zu sinnieren: "In hartnäckigen Fällen etwas Zigarrenasche für die Behandlung hinzunehmen." Ist dies ein hartnäckiger Fall? Kenne ich einen Zigarrenraucher? Könnte mal ein Leser was für mich in einen Briefumschlag aschen, bitte?

Doch mein Schönstes: abwaschen. Ich besitze keine Spülmaschine, ich habe stattdessen die Hände im warmen Wasser, einen meditativen Blick aus dem Küchenfenster sowie ein butterweiches handgewebtes Geschirrtuch aus Halbleinen mit Gerstenkornmuster von der Weberei Henni Jaensch-Zeymer aus Geltow bei Potsdam (nicht bei Manufactum erhältlich). Und ich habe eine weitere Viertelstunde sinnvoll genutzt, die ich sonst auf Nebensächliches wie Kolumnenschreiben verschwendet hätte.

Putzen ist reine Psychologie

Putzen ist reine Psychologie. Wie man putzt, ob mit Kraft oder Geduld, ob penibel, entnervt, furios, oberflächlich, hingebungsvoll, zähneknirschend oder auch schlicht gar nicht, verrät viel über einen Menschen. Wobei es selten eindeutig ist: Während ich bei nahezu allen Putzaktionen Wert auf Naturzeugs wie Orangenöl, Palmenwachscreme und Bürsten aus geschlitztem Rosshaar lege, kann es bei der Toilettenreinigung gar nicht brutal genug sein. Dort muss es eine neonfarbene Massenvernichtungswaffe wie "Bref Power 6x Effekt WC-Kraftgel Max White" sein, die man laut Aufdruck besser mit "geeigneter Schutzkleidung, Schutzhandschuhen und Schutzbrille/Gesichtsschutz" benutzt. Das klingt gut! Gefährlich! Als könnte man darin Leichen auflösen! Das klingt vor allem aber so, als ob der berühmte Sinnersche Kreis, der das Putzergebnis als komplexes Zusammenspiel von Chemie, Temperatur, Mechanik und Zeit definiert, sich in diesem Fall auf einen einzigen Faktor beschränkt: pure Chemie. Reingießen, Atmung einstellen, "selbstaktiv" wirken lassen, fertig. Genial.

Ansonsten plädiere ich dafür, den Sinnerschen Kreis um weitere Faktoren zu erweitern, die unabdingbar für den Sauberkeitsgrad sind. Der Winnemuth-Sinnersche Kreis lautet folglich: Chemie, Temperatur, Mechanik, Zeit, Putzfimmeligkeit, Dreckresistenz, Prokrastinationsbedürfnis, bevorstehender Elternbesuch.

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