Forschung Waffen aus dem Reagenzglas

Nach den Attacken mit Milzbrand-Erregern ist die Angst vor weiteren Anschlägen mit biologischen Waffen groß. Milzbrand-Bakterien sind jedoch nur eine von vielen Möglichkeiten, die sich als biologische Kampfstoffe einsetzen ließen.

Nach den jüngsten Attacken mit Milzbrand-Erregern ist die Angst vor weiteren Anschlägen mit biologischen Waffen groß. Milzbrand-Bakterien sind jedoch nur eine von vielen Möglichkeiten, die sich als biologische Kampfstoffe einsetzen ließen.

Mit der archaischen Natur der Terror-Anschläge auf das World Trade Center und das Pentagon hatten viele Sicherheitsexperten sicherlich nicht gerechnet. Stets hatte man vor hochtechnisierten und weitaus umfassenderen Formen von Anschlägen gewarnt. Neben dem heiß diskutierten Raketenabwehrprogramm der Amerikaner, das das Land vor drohenden Raketenangriffen schützen sollte, war hierbei auch immer wieder die Rede von biologischen und chemischen Massenvernichtungswaffen gewesen.

1997 hatte das National Security Comitee des Weißen Hauses ein umfangreiches Dokument vorgelegt, in dem geplante nationale Sicherheitsstrategien für das kommende Jahrhundert dargelegt wurden.

Darin heißt es unter anderem:

"Massenvernichtungswaffen bergen die größte Gefahr für die globale Sicherheit. Wir dürfen nicht aufhören, dieser Gefahr, die von existierenden Waffenarsenalen dieser Art ausgeht, entgegenzuwirken und die Verbreitung der dazu notwendigen Technologien unter den den USA und globalen Sicherheitsinteressen feindlich gesonnenen Parteien zu unterbinden. Gefahr geht hierbei sowohl von sogenannten 'Schurkenstaaten' aus, die regionalen und globalen Sicherheitsbemühungen feindlich gesonnen sind. Aber auch Terroristen und internationale Verbrechensorganisationen, die nukleare, chemische oder biologische Waffen einsetzen könnten, stellen eine Bedrohung für Bürger und Regierungen dar."

Wie leicht wäre es für einen Selbstmord-Attentäter gewesen, inmitten von Manhattan eine Ampulle mit Botulinus-Toxin, dem stärksten bekannten Gift (schon ein Milligramm des Giftes, das vom Bakterium Clostridium botulinum produziert wird, vermag potenziell zehn Millionen Menschen zu töten), einfach so auf die Straße fallen zu lassen? Die Folgen wären in ihrer Schrecklichkeit kaum vorstellbar und würden ein Vielfaches an Opfern der Attentate auf das World Trade Center und das Pentagon fordern. Die Liste potenzieller Kampfstoffe ist lang, die Natur hat genügend Kandidaten anzubieten: Ebola, Cholera oder die schon als längst ausgerottet geltenden Pocken sind neben den momentan für Angst und Schrecken sorgenden Milzbrand-Erregern nur einige Beispiele.

Was sind Massenvernichtungswaffen?

Primär unterteilt man in Atom-, biologische und chemische Waffen (ABC-Waffen).

A-Waffen

Neben den fünf ständigen Mitgliedern des Weltsicherheitsrates (USA, Russland, Großbritannien, Frankreich, China) sind offiziell auch Indien und Pakistan im Besitz von Atomwaffen. In westlichen Geheimdienstberichten wurde wiederholt auch dem Irak unterstellt, bereits eine Atombombe gebaut und sogar getestet zu haben. Israel, Iran und Nordkorea gelten als inoffizielle Atommächte, die zum Bau von Atomwaffen in der Lage wären.

B-Waffen

Als biologische oder bakteriologische Waffen gelten Kleinstlebewesen oder deren Stoffwechselprodukte, durch deren Verbreitung Epidemien wie Pest, Typhus, Cholera oder Milzbrand ausgelöst oder Mensch, Tier und Pflanze in Massen vergiftet werden können. Trotz internationaler Ächtung vermuteten amerikanische Geheimdienste Mitte der Neunzigerjahre, dass mindestens 17 Staaten biologische Waffen entwickeln. Darunter der Iran, Irak, Libyen, Nord- und Südkorea, China und Russland.

C-Waffen

Chemie-Waffen sind meist haut- oder lungenschädigende Substanzen (Phosgen und Senfgas) und Nervengifte wie Sarin und VX. Schon geringste Mengen dieser Stoffe können zu einem qualvollen Tod führen. Seit 1997 untersagt ein UN-Übereinkommen Entwicklung, Herstellung, Lagerung und Einsatz von C-Waffen. Sie werden aber noch in etwa 20 Staaten vermutet, darunter Nordkorea, Libyen und vor allem Irak. Sowohl bei B- als auch den C-Waffen sind Vertragsverletzungen nur schwer nachzuweisen. Der Besitz dieser Stoffe wurde mitunter mit dem Argument verteidigt, sie würden zur Entwicklung von Abwehrstoffen benötigt.

Biowaffen - die "Atombombe des kleinen Mannes" ?

Biowaffen wurden in den vergangenen Jahren immer öfter als die Massenvernichtungswaffen der Zukunft angesehen, als die "Atombombe des kleinen Mannes", weil sie relativ leicht, billig und schnell herzustellen sind. Zudem ist umfangreiches technisches Know-How zu ihrer Herstellung nicht erforderlich. Und praktisch jedes Land mit einer einigermaßen entwickelten pharmazeutischen und medizinischen Industrie besäße die nötige Infrastruktur für eine Massenproduktion biologischer Waffen. Umso größer war die Angst der letzten verbliebenen Supermacht Amerika, auch kleinere "Schurkenstaaten" könnten diese Waffen im großen Stil herstellen.

In der zynischen Kosten-Nutzen-Kalkulation der Militärs besitzen Biowaffen einige entscheidene Vorteile, die sie so attraktiv machen. Der wohl entscheidenste ist ihre hohe Effizienz, d.h. mit relativ geringem Aufwand und Kosten könnten sehr viele Menschen getötet werden. Zudem ist keine kostspielige Technologie und Infrastruktur zur Produktion nötig. Die Herstellung von Biowaffen ist außerdem sehr schwer nachweisbar: Auf kleinem Raum können die Erreger unauffällig hergestellt werden, mit Gerätschaften die auch in der zivilen Forschung verwendet werden. Ein Labor zur Herstellung von Biowaffen ließe sich innerhalb von wenigen Stunden räumen und wäre von einem herkömmlichen Forschungslabor nicht zu unterscheiden.

Aber biologische Kampfstoffe haben auch Nachteile. Die geographische Unkontrollierbarkeit nach einem Einsatz von lebenden Erregern macht einen Einsatz in der Praxis schwierig. Eine genaue Eingrenzung des Einsatzgebietes ist bei lebenden Organismen unmöglich. Wie sollte man ein Virus oder ein Bakterium an seiner Verbreitung aufhalten? Zudem bestünde auch eine latente Gefährdung beim Nachrücken der Truppen des Aggressors in das verseuchte Gebiet. Ein Zeitfenster festzulegen, in dem ein Einmarsch mit absoluter Sicherheit erfolgen könnte, ist nicht möglich – es sei denn der Angreifer verfügte über ein Gegenmittel, mit dem er seine Truppen gegen den Bio-Kampfstoff gerüstet hätte. Eine weitere Crux bei den Bio-Kampfstoffen: Die vordergründig defensive Forschung an Gegenmitteln zu Biowaffen, die von zahlreichen Staaten betrieben wird, dient oft als Vorwand für die Entwicklung zu letztlich offensiven Zwecken. Aber auch wenn Staaten tatsächlich keine bösen Absichten hegen: Erkentnisse aus der Forschung zur Abwehr von Biowaffen beinhalten immer auch einen möglichen offensiven Nutzen.

Was lässt sich als biologischer Kampfstoff einsetzen?

Biologische Waffen können klassifiziert werden in Bakterien, Rickettsien, Viren und Toxine. Geeignete bakterielle Vertreter für einen Angriff wären unter anderem die Erreger des Milzbrands (Anthrax), der Pest, der Cholera oder Salmonellen. Rickettsien sind intrazelluläre menschliche Parasiten. B-Waffen-Forschungen haben sich hier auf den Erreger des Fleckfiebers konzentriert.

Bei den Viren wird u.a. das hochinfektiöse Ebola-Virus in Betracht gezogen, aber auch Gelbfieber, Pocken und Influenza sind mögliche Viren, die eingesetzt werden könnten. Pocken, die seit Ende der Siebzigerjahre als ausgerottet gelten, stellen aus diesem Grund eine besondere Gefahr dar, weil weltweit keine größeren Vorräte an Impfstoff mehr vorhanden sind.

Gifte (Toxine) sind Stoffwechselprodukte lebender Organismen. Als möglicher Kampfstoff eignete sich hier ganz besonders Botulinustoxin – das stärkste bekannteste Gift überhaupt. Das von dem Bodenbakterium Clostridium botulinum produzierte Gift kommt zuweilen in unzureichend haltbar gemachten Lebensmittelkonserven vor. Schon ein Milligramm des Giftes vermag potenziell zehn Millionen Menschen zu töten. Aber auch weniger gefährliche Gifte, wie z.B. die Aflatoxine (Gifte des Schimmelpilzes Aspergillus flavus) kommen hier in Frage.

Die fortschreitende Entwicklung der Gentechnik bietet zudem immer mehr Möglichkeiten, jeden dieser natürlich vorkommenden Erreger zu manipulieren. Verschiedene Techniken haben sich etabliert:

- Transfer von Antibiotika-Resistenz in einen Mikroorganismus

Herkömmliche Organismen, die man bislang mit Antibiotika bekämpfen konnte, schleust man Resistenzgene ein und erhöht so ihre Widerstandskraft.

- Modifikation der Antigendomäne eines Mikroorganismus

Unser Immunsystem erkennt einen Eindringling an seinen spezifischen Oberflächenstrukturen und reagiert mit der Produktion von Antikörpern, die ganz speziell auf diese Strukturen zugeschnitten sind. Der Eindringling wird unschädlich gemacht. Für das Immunsystem ungefährliche Mikroorganismen - weil bekannt - können dahingehend verändert werden, dass sie vom menschlichen Immunsystem nicht mehr als solche erkannt und bekämpft werden können. Der spezifische Antikörper-"Schlüssel" des Immunsystems passt nicht mehr zu den veränderten Antigenen des manipulierten Erregers. Die Folge: harmlose Erreger können nicht mehr gestoppt werden.

- Modifikation der Stabilität eines Mikroorganismus gegenüber seiner Umwelt

Ein ungewolltes aber zugleich erschreckendes Beispiel für die Modifikation eines Mikroorganismus präsentierten australische Forscher vor wenigen Monaten. Ursprünglich waren sie auf der Suche nach einem Mittel gewesen, das Mäuse unfruchtbar macht, indem die Bildung von Antikörpern stimuliert wird, die sich gegen die Eizellen der Mäuse richten.

Dazu führten sie in ein Mäusepockenvirus, das normalerweise eine leichte Infektion mit Schwellungen und Nekrosen der Pfoten hervorruft, ein Gen ein, das für die Produktion von großen Mengen an Interleukin 4 verantwortlich ist. Interleukin 4 ist ein wichtiger Stoff, der eine Botenfunktion in der komplizierten Kaskade der Immunantwort spielt. Beabsichtigt war, durch die verstärkte Produktion von Interleukin, die Antikörperproduktion gegen die Eizellen hervorzurufen. Allerdings unterdrückte das Interleukin gleichzeitig die Aktivität von bestimmten Immunzellen, die für die Immunantwort dringend benötigt wurden. Das genveränderte Virus führte dazu, dass die zellvermittelte Immunreaktion, d.h. der Angriff von T-Zellen auf infizierte Zellen völlig unterdrückt wurde.

Nach neun Tagen waren alle Tiere gestorben. Da das Mäusepockenvirus, das zwar Menschen nicht infiziert, aber nahe verwandt ist mit dem für Menschen gefährlichen Pockenvirus, erkannten die Wissenschaftler, was sie da zufällig geschaffen hatten. Es lag auf der Hand, dass das gleiche Experiment mit dem Menschenpocken-Virus fatale Folgen hätte.

- Transfer pathogener Eigenschaften in einen Mikroorganismus

Es können gezielt diejenigen Gene lokalisiert und isoliert werden, die einen Mikroorganismus für den Menschen so gefährlich machen. Unter Umständen kann durch die Übertragung dieser Gene in einen relativ harmlosen Erreger die schädliche Eigenschaft ebenfalls übertragen werden. Der Vorteil: der harmlose Erreger wird schädlicher, das Immunsystem kann den veränderten Erreger nicht ausschalten und existierende Impfstoffe gegen die natürliche Variante des Erregers wirken nicht mehr.

- Modifikation pathogener Eigenschaften eines Mikroorganismus

Was selbst harmlose Viren für tickende Zeitbomben sein können, zeigte ein erschreckendes Experiment, das kürzlich Wissenschaftler der University of Wisconsin-Madison durchführten.

Bei Untersuchung eines Grippe-Virus fanden sie heraus, dass kleinste Änderungen in einem der zehn Virusgene, die Virulenz des Grippe-Virus drastisch erhöhten.

- Herstellung völlig neuer Mikroorganismen

Moderne Gentechnik eröffnet die Möglichkeit aus verschiedenen Genen, maßgeschneiderte Mikroorganismen, vor allem Viren völlig neu zusammenzustellen.

Die Grenzen zur Science-Fiction wurden nach Darstellung Jan van Akens durch die Möglichkeiten der Gentechnik schon überschritten. "Mit Hilfe der Gentechnik wurden bereits Erreger entwickelt, die sehr viel effektivere B-Waffen abgeben als die natürlichen Mikroben", sagte der Wissenschaftler. So seien beispielsweise Gene für tödliche Gifte auf harmlose Darmbakterien übertragen worden.

Die "Dual-Use"-Problematik

Ein großes Hindernis beim Nachweis einer Biowaffen-Produktion ist der sogenannte »dual-use«-Charakter dieser Waffen. Forschung an potenziellen Biowaffen hat fast immer auch eine mögliche zivile Komponente. Verschiedene Toxine finden in der Medizin Anwendung und Erforschung und Herstellung genetisch veränderter Mikroorganismen ist in der heutigen Genforschung fast schon Alltag. Zudem lassen sich alle Forschungserkenntnisse über biologische Waffen, die man vielleicht für defensive Zwecke gesammelt hat, auch offensiv nutzen. Möchte beispielsweise jemand einen Impfstoff gegen einen Erreger für den Fall eines Angriffs entwickeln, so würde ihm der Besitz des Impfstoffs zum Vorteil gereichen, wenn er selbst als Aggressor aufträte. Und letztlich ist es unumgänglich, dass man auch für eine nur defensiven Zielen dienende Forschung natürlich im Besitz des zu erforschenden Objekts – des Kampfstoffs selbst - sein muss.

Wie einfach es ist, an die Erreger zu kommen, zeigten beunruhigende Recherchen der Sunday Times. Während einer erneuten Zuspitzung der Irak-Krise 1998 hatten sich die Reporter als Angestellte eines Laboratoriums in Afrika ausgegeben. Es gelang ihnen für ein paar hundert Pfund Milzbrand-Erreger und Pestkeime telefonisch bei einer indonesischen Firma zu kaufen, die der größte Hersteller von Impfmitteln des Landes ist. Für 1000 US-Dollar wären ihnen auch E-Coli-Bakterien angeboten worden. Weder war die Identität der Interessenten überprüft worden, noch habe man nach dem Verwendungszweck der tödlichen Mittel gefragt. Botulinus-Bakterien hätten sie von einem tschechischen Forschungslaboratorium für gerade einmal 50 DM erwerben können. Labors in Rußland und Indien hatten geäußert, daß sie die Anfragen in Betracht ziehen wollten.

So soll der Irak große Vorräte von Milzbranderregern aus amerikanischen und englischen Quellen bezogen haben. In Großbritannien haben auch einige irakische Wissenschaftler ihre Ausbildung erhalten, die dann in militärischen Labors zur Entwicklung von chemischen und biologischen Waffen gearbeitet haben.

Nach eigenen Angaben verfügte der Irak über 95.000 Liter Anthrax-Sporen, 25.000 Liter Botulinus-Toxin und 2.400 Liter Aflatoxin.

Biowaffen-Programme

Aber nicht nur die sogenannten "Schurkenstaaten" haben laufende Biowaffen-Programme. Der ehemalige russische Präsident Boris Jelzin gab 1992 zu, dass die ehemalige Sowjetunion von 1946 bis 1992 ein offensives biologisches Waffenprogramm durchgeführt hatte.

Zurzeit entwickelt Russland nach Darstellung des ehemals sowjetischen Wissenschaftlers Kanatjan Alibekow eine neue Generation von biologischen Waffen. Alibekow früher stellvertretender Leiter des B-Waffen-Programms der Sowjetunion, schied 1991 aus und lebt seit 1992 als Berater des Verteidigungsministeriums in Washington in den USA. In einem Gerspräch mit der Zeitung "Die Welt" im Mai diesen Jahres warnte Alibekow vor einer neuen militärischen Bedrohung des Westens

Kürzlich wurde auch bekannt, dass die USA jahrelang in Geheimprojekten biologische Kampfstoffe erforscht haben. Der Sprecher des Weißen Hauses, Ari Fleischer, sagte, Ziel der Forschung sei es gewesen, einen Impfstoff zu entwickeln, der US-Soldaten vor Angriffen mit chemischen Waffen schützen sollte. Das Programm sei rein defensiver Natur gewesen und habe dem Abkommen zur Ächtung biologischer Waffen von 1972 entsprochen.

In Deutschland wird die biologische Abwehrforschung der Bundeswehr seit 1995 massiv ausgebaut (Quelle: Sunshine-Projekt).

Jens Lubbadeh

PRODUKTE & TIPPS

Kaufkosmos