Meeresforschung Tödliche Giftgaswolken aus dem Meer

Vor der Küste Namibias findet alle paar Jahre wieder ein Massenfischsterben statt. Schuld daran sind riesige Giftgaswolken über dem Meer, die aus Schwefelwasserstoff bestehen. Deutsche Forscher untersuchen jetzt das Phänomen.

Alle paar Jahre bietet sich an der Küste Namibias ein dramatisches Schauspiel: Millionen Fische springen an Land und türmen sich über etliche Kilometer zu halbmeterhohen Bergen. Der Grund für diese Massenselbstmorde sind tödliche Wolken von gelöstem giftigem Schwefelwasserstoff im Meerwasser. Vor ihnen fliehen die Fische und stürzen sich lieber selbst in den Tod, als darin umzukommen. Auf offener See können die erwachsenen Tiere oft noch entkommen, aber ihre Eier und Larven gehen zu Grunde. Wissenschaftler des Instituts für Ostseeforschung in Rostock-Warnemünde (IOW) und des Max-Planck-Institutes für marine Mikrobiologie in Bremen sind diesem Naturphänomen jetzt auf der Spur.

"Das 200 000 Quadratkilometer große Seegebiet vor Namibia zählt zu den vier wichtigsten Fischgründen der Erde", sagt Hans Ulrich Lass, Experte für physikalische Ozeanographie am IOW. Die vor allem im Sommer vorkommenden Erscheinungen stellen eine große Gefahr für die "Kinderstube" von Sardinen, Sardellen, Seehechten und Makrelen dar. Auf der ersten Expedition mit dem Forschungsschiff "Alexander von Humboldt" zur Klärung der Ursache für die mysteriösen Wolken ist es den Warnemündern im Januar gelungen, eine solche Wolke zu beobachten. "Sie war etwa 150 Kilometer lang und mehrere zehn Kilometer breit", sagt Lass. Weitere Expeditionen sollen folgen.

"Wir glauben jedoch, dass er auch im Wasser gebildet wird"

Die Wolke gab den Forschern einen wichtigen Hinweis für ihre Hypothese: "Bislang galt die Annahme, dass der Schwefelwasserstoff ausschließlich im Sediment am Meeresboden entsteht. Wir glauben jedoch, dass er auch im Wasser gebildet wird." Schlüssel zum Beweis dieser These sind die Dicke der Giftwolken sowie unterschiedliche Bakterienarten: "Unsere Wolke war mehrere zehn Meter dick, was darauf schließen lässt, dass sie von Bakterien gebildet wurde, die im Wasser schweben und auch in anderen Meeren zu finden sind." Der Schwefelwasserstoff ist ein Stoffwechselprodukt dieser Bakterien.

Eine andere Bakterienart ernährt sich vom Schwefelwasserstoff aus dem Sediment und bildet am Meeresboden vor Namibia an vielen Stellen Zentimeter dicke Matten. "Diese Bakterien sind so groß, dass man sie mit bloßem Auge erkennen kann", berichtet Lass. Die Bakterienmatten funktionieren wie ein Schalter: Zum Abbau des Schwefelwasserstoffes brauchen sie Nitrat. Wenn im Wasser kein Nitrat mehr enthalten ist, lassen sie die giftige Schwefelverbindung, die im Sediment aus faulender organischer Materie entsteht, durch. Diese sammelt sich dann in einer nur wenige Meter dicken Schicht über den Matten.

Riesenbakterien schwimmen an die Oberfläche

Wird die Gasbildung dieser Riesenbakterien gestört, brechen ganze Platten aus dem Sediment und schwimmen zur Oberfläche auf. "Etwa alle fünfzig Jahre sind solche wie Eisschollen treibenden Gebilde vor Walvis Bay in Namibia beobachtet worden. Eine solche Giftinsel tötet dann alles in ihrer näheren Umgebung ab", erklärt Lass.

Falls sich die Erkenntnisse der Expedition bestätigen sollten, könnten sich nach Ansicht von Jürgen Alheit, Fischereibiologe am IOW, wichtige Hinweise für die Fischereipolitik ergeben. "Wenn eine sichere Vorhersage der Giftwolken möglich wäre, könnten vorher die Fische noch im großen Stil gefangen werden, da sie ohnehin sterben würden. Anschließend könnten Schutzmaßnahmen verhängt werden, damit sich die dezimierten Bestände wieder erholen können."

Noch keine exakten Daten vorhanden

Bislang seien jedoch keine exakten Daten vorhanden, um die mächtige Fischereibranche überzeugen zu können. "Bestandsschwankungen in diesem Gebiet können wir über die vergangenen 3000 Jahre nachweisen", sagt Alheit. "Ob der starke Rückgang der vergangenen 20 Jahre in Zusammenhang mit dem Schwefelwasserstoff oder menschlichen Einflüssen steht, ist bislang reine Spekulation."

DPA
Axel Büssem

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