Unmittelbar vor dem Eingreifen von US-Präsident Barack Obama sind die Verhandlungen beim Kopenhagener Weltklimagipfel wieder ins Stocken geraten. In einer nächtlichen Verhandlungsrunde gelang es Unterhändlern einer Kerngruppe der wichtigsten Staaten und Regionen nicht, wenigstens eine grobe Linie in die wichtigsten Streitpunkte zu bringen. Sichtlich gestresst verließen Minister und Delegierte in den frühen Morgenstunden den Verhandlungssaal im Kongresszentrum.
Der schwedische Ministerpräsident und amtierende EU-Ratspräsident Fredrik Reinfeldt sagte dem Fernsehsender SVT: "Die Lage ist sehr ernst". Es gebe eine Gruppe beim Gipfel, die sich "nicht konstruktiv" verhalte und verwies auf Schwellenländer wie China und Indien. Auch die USA hätten "nicht genug getan", sagte Reinfeldt unmittelbar vor einem weiteren Sondertreffen der Kerngruppe, in der auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) mitverhandelt.
Obama spricht mit Wen
Nun ruhen die Hoffnungen vor allem auf Obama, der am Morgen in Kopenhagen eintraf. Der US-Präsident wird am Vormittag zu den Delegierten aus 192 Staaten sprechen und danach mit Chinas Regierungschef Wen Jiabao über die tiefen Meinungsverschiedenheiten zwischen Washington und Peking beim Klimaschutz sprechen. Der Streit über Verminderungen von Treibhausgas-Emissionen wie auch über deren Kontrolle und Finanzhilfen an ärmere Länder ist seit Beginn der Klimakonferenz vor fast zwei Wochen einer der wichtigsten Hindernisse für eine Einigung.
Die Streitpunkte in Kopenhagen
Vier Kernfragen sind immer noch strittig und stehen so einem Erfolg des Gipfels entgegen:
Emissionen
Die Industriestaaten sollen ihren CO2-Ausstoß bis 2020 um 40 Prozent und bis 2050 um 95 Prozent unter den Wert von 1990 verringern. Die EU hat 20 Prozent zugesagt und will auf 30 Prozent bis 2020 hochgehen, wenn die USA und China mitziehen. Die Entwicklungsländer verlangen, dass die Industrienationen den CO2-Ausstoß bis 2017 um 52 Prozent und bis 2020 um 65 Prozent senken. Erreicht werden soll eine Begrenzung der Erderwärmung um zwei Grad.
Finanzierung
Die Industrieländer erwägen eine Anschubfinanzierung für Klimaschutzmaßnahmen in den Entwicklungsländern in Höhe von rund 6,9 Milliarden Euro pro Jahr für zunächst drei Jahre. Die Entwicklungsländer sehen dagegen den Finanzbedarf für einen ökologischen Umbau bei 300 bis 500 Milliarden Euro jährlich.
Überwachung
Die Industriestaaten fordern ein Überwachungssystem zur Kontrolle der künftigen Treibhausgas-Emissionen in Schwellen- und Entwicklungsländern. Diese, allen voran China und Indien, weisen dies als Eingriff in ihre Souveränität zurück.
Rechtsform
Die rechtliche Form und Verbindlichkeit eines neuen Klimaabkommens ist strittig. Die Vorstellungen reichen von einem verbindlichen Folgevertrag des Kyoto-Protokolls von 1997, wofür u.a. die EU eintritt, bis hin zu einer freiwilligen Vereinbarung, die sich China und Indien vorstellen.
Die Stimmung bei dem Mammuttreffen mit mehr als 10.000 Delegierten sei schlecht, hieß es aus Verhandlungskreisen. Die Kerngruppe von gut zwei Dutzend Spitzenpolitikern soll eine politische Erklärung für die Plenums-Verhandlungen des Weltklimagipfels erarbeiten. "Wir brauchen die Zustimmung jeder einzelnen Delegation", betonte Japans Premierminister Yukio Hatoyama. Ziel war eigentlich die Einigung auf die wichtigsten Eckpfeiler eines Weltklimaabkommens, das von 1. Januar 2013 an das Kyoto-Protokoll ablösen soll.
Aus Kreisen verlautete, dass in dem derzeitigen Entwurf das Ziel festgehalten sei, dass die Erderwärmung nicht über zwei Grad steigen dürfe. Zudem würden die reichen Industriestaaten aufgefordert, den Entwicklungsländern bis 2020 jährlich 100 Milliarden Dollar zur Bewältigung des Klimawandels zu zahlen. Der Entwurf nenne in seiner jetzigen Fassung keine Ziele für die Industriestaaten zur Verringerung des Kohlendioxid-Ausstoßes. Es solle aber angestrebt werden, aus der Erklärung innerhalb eines halben Jahres ein verpflichtendes Abkommen zu formulieren.
Mini-Gipfel brachte nur kurzzeitig Schwung
Noch gegen Mitternacht hatte sich die Stimmung beim Klimagipfel vorübergehend gebessert, als sich nach einem Gala-Essen bei Königin Margrethe II. die Gruppe aus Staats- und Regierungschefs aus verschiedenen Kontinenten auf Initiative der EU zu einem improvisierten "Mini-Gipfel" traf.
Zu den Teilnehmerländern gehörten neben Deutschland und anderen maßgeblichen EU-Ländern auch Südafrika, Japan, Australien, und für die vom Klimawandel besonders hart betroffenen Länder Bangladesch und der Inselstaat Malediven. Die USA waren durch Außenministerin Hillary Clinton vertreten. Auch EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso und UN-Generalsekretär Ban Ki Moon nahmen am nächtlichen Kopenhagener Mini-Gipfel teil. Dagegen fehlte Chinas Regierungschef Wen Jiabao.
UN-Studie bewertet diskutierte Ziele als unzureichend
Laut einer Studie des UN-Klimasekretariats reichen die bislang bei der Konferenz genannten Ziele zur Verminderung von Treibhausgas-Emissionen nicht aus, um die Erderwärmung auf zwei Grad zu begrenzen. In dem vertraulichen Papier, das der Nachrichtenagentur AFP vorliegt, ist davon die Rede, dass die bei dem Klimagipfel zur Debatte stehenden Reduktionen zu einer Erwärmung um drei Grad führen würden. Ein Verfehlen der Zwei-Grad-Marke hat nach Ansicht von Forschern weitreichende Folgen und führt zu einem drastischen Anstieg des Meeresspiegels.