Wütende Schreie und Gejohle hallten am Donnerstagabend durch den dunklen Hafen von Schlüttsiel. Dutzende Bauern blockierten eine Fähre, mit der Wirtschaftsminister Robert Habeck von der Hallig Hooge wieder in Nordfriesland anlegen wollte. Es kam zu Tumulten und Handgreiflichkeiten, nur mit Mühe konnte die Polizei den Mob daran hindern, das Schiff zu stürmen – setzte sogar Pfefferspray ein. Die Fähre mit Habeck als Passagier musste wieder ablegen. Die verärgerten Bauern feierten ihren "Triumph" mit Silvesterfeuerwerk.
Einen so aggressiven Protest gegen die Subventionskürzungen für Landwirte hat es bislang nicht gegeben. Zur Wahrheit gehört aber auch: Seitdem der Deutsche Bauernverband (DBV) zu einer "Aktionswoche" gegen die Sparmaßnahmen der Regierung aufgerufen hat, formieren sich rechte und rechtsextreme Gruppen, um den Protest für sich zu instrumentalisieren und die wütende Stimmung einiger Landwirte weiter anzufachen.
Ab dem 8. Januar wollen Bauern in ganz Deutschland Autobahnen und Bundesstraßen blockieren, um gegen die Subventionskürzungen beim Agrardiesel zu demonstrieren. Gleichzeitig will die Lokführergewerkschaft GDL auch den Bahnverkehr bestreiken, um die Deutsche Bahn in den Tarifverhandlungen unter Druck zu setzen. Zwei unabhängige Proteste, die das Land weitgehend lahmlegen könnten.
Vom Bauernprotest über den "Generalstreik" zum Staatsstreich? Rechtsextreme wollen Großdemos für ihre Zwecke missbrauchen
Einigen Akteuren scheint es weniger um die konkreten Sparpläne zu gehen, als viel mehr um Wut auf die Regierung an sich. In den vergangenen Tagen wurden auf Social-Media-Plattformen Bilder öffentlich, die den Protest mit geschmacklosen Plakaten und Parolen anheizten. So waren etwa Galgen zu sehen, an denen Ampeln aufgehängt waren.
Die rechte Szene hat das Potenzial der Aufgebrachtheit erkannt und versucht, es für sich zu nutzen. Die Bauernproteste und der angekündigte Bahnstreik der GDL werden dabei zu einem explosiven Gemisch zusammengerührt. Vom "Generalstreik" raunen bereits einige. Das "Volk lehne sich gegen die Ampelregierung auf", heißt es. Dass der Streik der Lokführer bereits seit Mitte Dezember angekündigt ist und die Bauernproteste nur zufällig in den gleichen Zeitraum fallen, wird dabei bewusst ignoriert.
Auf Plattformen wie Tiktok oder X (vormals Twitter) finden sich zahlreiche Beiträge, die jubilieren, "Millionen von Menschen" würden am Montag auf die Straße gehen. Die Infrastruktur des Landes würde lahmgelegt, man solle sich mit Lebensmitteln eindecken. Es sind Bürgerkriegsszenarien, die hier ausgerollt werden.
Die perfide Methode von AfD und Co.: Widerspruch und legitimer Protest, der zum Wesen der Demokratie gehört, wird zum Aufstand umgedeutet, um den Eindruck zu erwecken, dass ein Großteil der Bevölkerung aus Unzufriedenheit mit der Regierung zum Bürgerkrieg bereit sei. Mit Blick auf die Großkundgebung des DBV in einer Woche wird auf diversen Plattformen inzwischen schon vom Reichstagssturm fantasiert, bei dem sich die Bürger endlich "das Land zurückholen". Umsturzfantasien – auf dem Rücken der Landwirte.

DBV betont: "Angemeldete Demos und Aktionen: Ja! Sinnlose Blockaden und radikale Aktionen: Nein!"
Der Bauernverband ist bemüht, klare Kante zu zeigen und sich von den Trittbrettfahrern abzugrenzen. "Persönliche Angriffe, Beleidigungen, Bedrohungen, Nötigung oder Gewalt gehen gar nicht", sagte Verbandspräsident Joachim Rukwied. "Wir sind ein Verband, der die demokratischen Gepflogenheiten wahrt." Bei allem Unmut über die Steuerpläne des Bundes respektiere sein Verband selbstverständlich die Privatsphäre von Politikern.
Schon vor dem Vorfall von Schlüttsiel hatte sich die Organisation auf Schärfste distanziert von "Schwachköpfen mit Umsturzfantasien, Radikalen sowie anderen Randgruppen und Spinnern, die unsere Aktionswoche kapern und unseren Protest für ihre Anliegen vereinnahmen wollen", so der DBV auf X. "Demonstrieren? Ja. Aber wir stehen für friedlichen und demokratischen Protest!"
Eine Ansage, die in der rechten Szene offenbar bewusst übersehen wurde. Stattdessen beschwor man dort das "Ende der Ampel". Einschlägige Blogger und Medien wie etwa das rechte "Compact"-Magazin verbreiteten in den vergangenen Wochen Revolutionsstimmung und setzen die Proteste der Landwirte in eine Reihe mit dem Kieler Matrosenaufstand von 1918, den Montagsdemonstrationen in der DDR oder dem Bauernkrieg von 1524. Die Legende dazu: Das System sei am Ende, nun fehle es nur noch an groß angelegten Protesten, um die Regierung endgültig zu stürzen.
Auch Querdenker und die AfD werben für einen "Generalstreik" gegen die Regierung
Die Endzeit-Propheten, die diese Stimmung nähren, sind meist keine Unbekannten. Auffällig ist, dass viele Akteure der (ehemaligen) Querdenker-Szene dafür trommeln, am Montag auf die Straße zu gehen. Die Anliegen der Landwirte oder Lokführer sind dabei zweitrangig. Wie schon während der Corona-Pandemie geht es den Akteuren um die Zersetzung des Staates an sich. Was damals die angebliche Gängelung durch die Impfung war, wird heute abgelöst durch die Steuererhöhung auf Agrardiesel oder auch der Mehrwertsteueranhebung in der Gastronomie. Thesen wie diese vertreten etwa Blogger und Podcaster wie Philip Hopf und Horst Lüning, ebenso wie der Rechtsextremist und Holocaustleugner Nicolai Nerling. Allesamt seit Jahren unter Rechten und Querdenkern einschlägig bekannt.
Dabei bedienen sich die Aufwiegler altbekannten Verschwörungserzählungen, um ihre Thesen zu stützen. Die Regierung – und insbesondere die Grünen – wollten Deutschland zerstören. Der vermeintliche Grund dafür ist auch hier beliebig: Mal ist es der geplante "Bevölkerungsaustausch", mal die Einführung einer "Grünen Diktatur", mal sei alles aus den USA und von jüdischen Großindustriellen gesteuert, um Deutschland zu unterjochen. Spinnerei trifft übelsten Antisemitismus.
Doch nicht nur Verschwörungsfans, Ewiggestrige oder Querdenker mobilisieren für die angeblich "größte Demonstration seit dem 2. Weltkrieg". Auch die AfD springt auf den Zug auf. Beispielsweise erklärte der laut Verfassungsschutz als "gesichert rechtsextrem" eingestufte Landesverband aus Thüringen, man wolle sich solidarisch zeigen, denn die Demonstrationen richteten sich gegen die "katastrophale Politik der Ampelregierung". Deswegen wolle man "vor Ort" sein und rufe dazu auf, sich den Protesten anzuschließen.
Der augenfällige Widerspruch zum eigenen Parteiprogramm scheint die Thüringer AfD dabei nicht zu stören. Dort heißt es, dass sich die Partei ganz deutlich "gegen jegliche Subventionen" für Landwirte ausspreche und für "mehr Marktwirtschaft" eintreten wolle.
Hinweis der Redaktion: Dieser Artikel erschien zuerst am 5. Januar 2024.