Wahrscheinlich ist Donald Trump neidisch auf den Papst. Dem US-Präsidenten würde es mit hoher Wahrscheinlichkeit gefallen, wenn seine Gläubigen – von Wählern mag man gar nicht mehr sprechen – vor ihm niederknien und seinen Ring küssen würden.
Gesten der Ergebenheit, unterwürfige Schmeicheleien, Lobpreisungen – daraus speist der Casinobesitzer im Weißen Haus sein gefühltes Recht, Gesetze zu brechen, Verfassung und Völkerrecht zu missachten, politische Gegner zu verspotten oder der Korruption zu bezichtigen. Die freie, kritische Presse, deren Rolle durch den ersten Zusatzartikel der amerikanischen Verfassung geschützt ist, erklärt er zu "Feinden des Volkes". Und wie alle Autokraten verteidigt sich Trump mit einer kostengünstigen, aber durchschlagenden Waffe: der Lüge.
Donald Trump: Hybris in ungeahnten Höhen
Alles bekannt, ja. Aber nach der überstandenen Müller-Ermittlung und dem erfolgreich abgewetterten Impeachment-Verfahren wird sich Trumps Hybris in ungeahnte Höhen schrauben. Besser könnte es gerade nicht laufen: Die Demokraten vermasseln mit dem Zähl-Desaster ihre Vorwahlen in Iowa. Was deren Präsidentschaftskandidaten als Beginn von Trumps Ende prophezeit hatten, brachte ihnen nur beißenden Spott ein. Für das Trump-Camp ein Elfmeter ohne Torwart.
In seiner Rede vergangene Nacht zur Lage der Nation spielte der Präsident den Trumpf aus, mit dem er seine Wiederwahl sichern will: Amerikas Wirtschaft zeigt sich in Bestform. Für die meisten Wähler dürfte die florierende Ökonomie bedeutender sein als die Kritik an dem ruchlos-durchtriebenen Charakter des Präsidenten. Bestätigt wird dies durch eine gerade veröffentliche Gallup-Umfrage, in der es der Immobilien-Milliardär auf 49 Prozent Zustimmung bringt, der höchste Gallup-Wert seit Beginn seiner Amtszeit.
Trump wird Schranken der Verfassung niedertrampeln
Trumps willfährige Unterstützer der republikanischen Partei, seine Steigbügelhalter von "Fox News" und Millionen Fans mit roten "Make America Great Again"-Kappen könnten ihn also, Stand jetzt, durchaus in eine zweite Amtszeit katapultieren. Falls dies am 3. November gelingt, wird Trump diesen wichtigsten Sieg in seinem Leben als Aufforderung verstehen, seine persönliche Macht im Amt weiter auszuweiten und die Schranken der Verfassung niederzutrampeln, die den Präsidenten in normalen Zeiten einhegen. Für ihn wäre die Wiederwahl der endgültige Beweis, dass er tatsächlich "der Auserwählte" ("The chosen one“) ist, wie er schon vor einem halben Jahr der Presse diktiert hatte.
Die Wahrheit aber ist: Er, der scheinbar Unantastbare, hat sich zum schlimmsten Fehltritt der amerikanischen Geschichte entwickelt. Eine chaotische, destruktive Außen- und Wirtschaftspolitik mit dem Ziel, die USA zu isolieren. Gedemütigte Alliierte. Eine gespaltene Gesellschaft, deren Lager sich feindselig wie nie zuvor gegenüberstehen. Steuer-Geschenke für Amerikas Oberschicht, Ausgrenzung nichtchristlicher Religionen, unverhohlener Rassismus, autokratisches Regieren, Missachtung von Gesetzen, Grundwerten und Gewaltenteilung – so sieht es nach drei Jahren Trump aus.

Checks-and-Balances mit tiefen Wunden
Was bedeutet das für die politische Zukunft der wichtigsten Demokratie auf diesem Planeten? Wie werden kommende Generationen, kommende Präsidenten die Macht des Amtes im Oval Office interpretieren, nachdem Trump die Grenzen des Sagbaren, des Erträglichen und des rechtlich Machbaren in Sphären außerhalb der Verfassung und der guten Sitten verschoben hat? Nachdem nicht einmal mehr der Supreme Court, der oberste Gerichtshof, als letzte Instanz der Demokratie verlässlich erscheint, weil Trump zwei erzkonservative Richter ernannt hat, die im Zweifel Mehrheitsentscheidungen zu seinen Gunsten fällen?
Und wie tief sind die Wunden, die Trump in das amerikanische System der Checks-and-Balances geschlagen hat, wenn einer seiner Verteidiger am Rednerpult im Senat mit einer nie dagewesenen Rechtsauffassung für Schockwellen sorgt: Selbst wenn Trump den ukrainischen Präsidenten gebeten haben sollte, gegen den politischen Konkurrenten Joe Biden zu ermitteln, sei dies kein Impeachment-Vergehen, weil das Streben nach Wiederwahl dem Wohle der Nation dienen würde. Absurd? Ja. Aber ernsthaft vorgetragen von Alan Dershowitz, 81, Jurist und Inhaber eines Harvard-Lehrstuhls.

Wird Trump zum schlechten Vorbild?
Das gescheiterte Impeachment könnte künftige Präsidenten ermuntern, von anderen Staaten ungesetzliche Gegenleistungen zu verlangen. Zumindest wenn sie der Republikanischen Partei angehören, die Trump in eine Sekte der Wahrheitsverweigerer verwandelt hat. Dort ist man nun der Meinung, dass der Präsident das Privileg des uneingeschränkten Handelns genießt – einfach, weil er der Präsident ist.
Harsche Kritik der Opposition versandet, weil Trump via Twitter zurückschlägt und behauptet, die Demokraten kämen lediglich in ihrer Verlierer-Rolle nicht zurecht. Und die Gemeinde der Trump-Gläubigen versammelt sich dankbar hinter diesen Tweets.
Trump beschädigt Reputation westlicher Demokratien
Die Folgen einer zweiten Amtszeit des Größenwahnsinnigen könnten spätere Präsidentschaftskandidaten veranlassen, mit einer ähnlich rüden Rhetorik, mit Lügen, Beleidigungen und Drohungen Wahlkämpfe zu bestreiten. Das politische Klima, die Art der Auseinandersetzung droht noch radikaler zu werden bis hin zur Gewalt. Rauchende Colts im politischen Alltag? Soweit ist es noch nicht. Aber wenn der Präsident weiterhin alle, die ihm nicht folgen, zu nichtsnutzigen Feinden Amerikas degradiert, dann ist der Weg dorthin ziemlich kurz.
Ebenso verheerend ist, dass die Ära Trump die Reputation westlicher Demokratien auf lange Zeit beschädigen wird. Wenn der höchste Vertreter einer Demokratie mit seinen Handlungen den Unterschied zu Autokraten verwischt, kann er sich nie wieder auf diesen Unterschied berufen.