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Enthüllungsbuch "Fire and Fury" wiederholt den immer gleichen Fehler, wenn es um Trump geht

"Fire and Fury": Das Enthüllungsbuch über Donald Trump
"Fire and Fury": Das Enthüllungsbuch über Donald Trump findet in den USA reißenden Absatz, bald erscheint es auch auf Deutsch
© Justin Sullivan/Getty Images/AFP
Steve Bannon ist das erste Opfer von "Fire and Fury". Die saftige Erzählung stellt Donald Trump und Co. wie so oft als Freaks in einem Kuriositätenkabinett in den Mittelpunkt - und verstellt damit den Blick auf ihre erzreaktionäre Agenda.

"Lassen Sie es mich so sagen", sagte US-Wohnungsbauminister Ben Carson im vergangenen Sommer: "Ich bin eigentlich ganz froh, dass Donald Trump die ganze Aufmerksamkeit auf sich zieht - so kriege ich hier meine Arbeit erledigt." Wie sehr die Einschätzung des früheren Starchirurgen noch immer gilt, haben einmal mehr die vergangenen Tage gezeigt, allen voran die Selbstbestätigungsbibel aller Trump-Kritiker, "Fire and Fury". Genüsslich erzählt Autor Michael Wolff, wie grotesk es im Weißen Haus zugeht, noch viel grotesker als gedacht. Humorlos kündigten die Anwälte des Präsidenten noch vor Erscheinen an, das Buch verbieten zu lassen. Dabei spielt der 360-Seiten-Schinken der Trump-Regierung mehr in die Hände, als ihr zu schaden.

An welche Schlagzeile erinnern Sie sich denn?

Warum, beantwortet vielleicht dieser kleine Selbsttest: Was fällt einem ein, wenn man an die jüngsten Trump-Nachrichten denkt? Möglicherweise die hübschen Anekdötchen um getrennte Ehebetten und Schwierigkeiten beim Absingen der Nationalhymne. Vielleicht, dass Trump ungern liest, dafür Cheeseburger liebt und frühen Feierabend. Sehr wahrscheinlich der Buch-Tenor, dass er von nahezu sämtlichen Mitarbeitern wahlweise für unfähig oder einen Idioten gehalten wird. Auch das Zerwürfnis zwischen ihm und seinem früheren Chefstrategen, dem reaktionären Publizisten Stephen Bannon hat für Aufsehen gesorgt.

Aber sonst? Ist da noch mehr außer Seifenoper, House of Cards und Screwball-Komödie? Ja, und nicht einmal wenig:

Umweltschutzauflagen werden im Dutzend aufgeweicht und US-Innenminister Ryan Zynke erteilt massenhaft Förderlizenzen für Öl- und Gasbohrungen, auch für sensible Biotope. Im Grunde ist die gesamte Küstenlinie des Landes mittlerweile zur Ausbeutung freigegeben, obwohl ein Großteil der betroffenen Gouverneure dagegen ist oder war. Bislang hat sich nur einer von ihnen mit seinem Wunsch nach Ausnahme durchsetzen können: der Konservative Rick Scott aus Florida. Dessen Küste sei nun doch schutzwürdig, beschloss Zynke und zog die Bohrgenehmigung zurück. Dass Donald Trump ein großes Anwesen in dem Tropen-Bundesstaat besitzt, ist vermutlich reiner Zufall.

Donald Trump lässt massenhaft Personal einsparen

Was zudem in dem täglichen Trump-Getöse untergeht: Die US-Regierung höhlt Stück für Stück das Verbraucherschutzrecht aus und schafft Errungenschaften wie die Netzneutralität ab. Letzteres werden sowohl Nutzer als auch kleine Firmen finanziell zu spüren bekommen. Daneben stehen in den Ministerien bis zu einem Drittel aller Stellen zur Disposition und/oder werden parteipolitisch motiviert umbesetzt. Wie zum Beispiel an Gerichten. Dutzende von jungen wie konservativen Richtern werden demnächst berufen. Sie werden über Jahrzehnte die Rechtsprechung beeinflussen.

Ironischerweise gehört dieses Hintergrundrauschen, das Trump und das Weiße Haus durch lautes Tamtam übertönen, zu den wenigen Wahlversprechen, die umgesetzt, aber nicht an die große Glocke gehängt werden. Das Stichwort lautet Deregulierung; weg mit Vorschriften, um die Wirtschaft in Gang zu halten. Bislang geht der Plan auf, die ökonomischen Eckdaten eilen von Rekord zu Rekord. Einigen ist die erzkonservative Umwälzung des Behördenapparates auch wichtiger als Business, wie etwa Jeff Sessions. Der Justizminister will den in vielen Bundesstaaten erlaubten Handel mit Marihuana wieder verbieten. Was nicht nur Kiffer aufregt, sondern auch die Kommunen. Denn die Steuereinnahmen aus dem Geschäft mit Gras sind gigantisch.

Steve Bannon bittet jetzt um Verzeihung

All dies passiert, während die Öffentlichkeit kopfschüttelnd die Irrlichtereien des schnöseligen Rowdys Donald Trump begafft und die seines Gefolges aus duckmäuserischen Lakaien, ahnungslosen Karrieristen und Stephen Bannon. Bannon, der reaktionäre Ex-Berater und Kopf hinter Trumps "America-First"-Agenda, ist die Hauptquelle für "Fire-und Fury"-Autor Wolff. Zu dem Zeitpunkt, als das Buch entstand, war der Stern des Chefstrategen bereits am Sinken - zu viel Ärger mit den Kindern des Präsidenten. Manche seiner Äußerungen dürften also im Schatten von Verletzungen und Enttäuschungen gefallen sein, wenn nicht die meisten. Kleinlaut bittet er daher mittlerweile um Entschuldigung, auch wenn es für ihn zu spät ist.

Dass sich nun die Gemäßigten unter den Konservativen durchgesetzt haben, ist erst einmal eine gute Nachricht. Denn mit Bannon ist auch sein Darth-Vader-Ansatz verschwunden: die Dekonstruktion, ja die Zerstörung der US-Politik, zumindest aber die Verursachung maximalen Chaos'. "Fire and Fury" ist im gewissen Sinn sein Vermächtnis. Ein lästerliches Werk, gespeist aus Kalkül und vermutlich auch Niedertracht mit dem Ziel, Washington zu verunglimpfen, Spuren der Verwüstung zu hinterlassen. Sein Gift hat längst zu wirken begonnen.

Nicht ernst genommen wurde Trump schon immer

Michael Wolffs Buch ist ein Bärendienst an der amerikanischen Öffentlichkeit. Es folgt dem vertrauten Impuls, den US-Präsidenten und seine Entourage als Hauptdarsteller eines Kuriositätenkabinetts abzutun. Ihn also immer noch nicht ernst zu nehmen. Aber nicht ernst genommen wurde Donald Trump schon, als er als Kandidat ins Rennen ums Weiße Haus eingestiegen ist. Und dort sitzt er nun - mentale Probleme hin oder her. Dass er tatsächlich der Vollpfosten ist, für den ihn jeder hält - geschenkt, denn das gilt für den Rest der Regierung leider nur bedingt.

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