Es ist der der erste direkte Kontakt zwischen den USA und Iran seit mehr als 20 Jahren, zugestellt über die Botschaften in der Schweiz: In einem Brief an US-Präsident George W. Bush erklärt der iranische Präsident Mahmud Ahmadinedschad den Liberalismus und die Demokratie nach westlichem Muster für gescheitert.
In dem Schreiben das den Nachrichtenagenturen AP und Reuters vorliegt, fragt Ahmadinedschad mit Blick auf Atomprogramm seines Landes, warum jeder technische und wissenschaftliche Fortschritt im Nahen Osten als "Bedrohung des zionistischen Regimes" dargestellt werde. Lösungen oder Vorschläge zur Beilegung des Atomstreits mit dem Westen skizziert der iranische Präsident in dem auf persisch verfassten, 18-seitigen Text aber nicht.
"Irak-Krieg große Tragödie zweier Völker"
Stattdessen formuliert Ahmadinedschad ausführlich seine Sicht der Dinge. Zum Irak-Krieg schreibt er: "Unter dem Vorwand der Existenz von Massenvernichtungswaffen begab es sich, dass diese große Tragödie beide Völker befiel, das der Besatzer und das der Besetzten. Später wurde enthüllt, dass es von Anfang an keine Massenvernichtungswaffen gegeben hatte", schreibt das Staatsoberhaupt. Die USA hätten gelogen, um den Irak-Krieg zu begründen, nun müssten sie die Konsequenzen tragen.
"Im Fall des Iraks wurden Lügen erzählt. Ich habe keine Zweifel, dass Lügen in jeder Kultur verabscheuungswürdig sind, und dass Sie nicht gerne angelogen werden." Der Krieg habe die USA Milliarden von Dollar gekostet und zehntausende US-Soldaten in Gefahr gebracht. Soldaten, deren "Hände mit dem Blut von anderen befleckt sind" und die "unter so einem starken psychologischen Druck stehen, dass jeden Tag einige von ihnen Selbstmord begehen."
Ahmadinedschad stellt in dem Brief auch die Gründung Israels nach dem Zweiten Weltkrieg in Frage: "Wie kann man dieses Phänomen rational begründen oder erklären?" Zudem sei ihm nicht klar, wie man dagegen sein könne, dass die radikal-islamische Hamas die neue Palästinenser-Regierung stellt. Schließlich sei diese von den Palästinensern gewählt worden. Ahmadinedschad hatte schonm vor einiger Zeit dazu aufgerufen, Israel "von der Landkarte zu wischen" und wiederholt den Holocaust geleugnet. Die Hamas setzt sich für die Vernichtung Israels ein.
Auch stellt Ahmadinedschad in Frage, wie die Anschläge vom 11. September 2001 ohne das Wissen des US-Geheimdienstes hätten ausgeführt werden können. "Warum sind verschiedene Aspekte der Angriffe geheim gehalten worden? Warum erfahren wir nicht, wer in seiner Zuständigkeit versagt hat?"
"Die Menschen werden unsere Amtszeiten genau prüfen"
"Die Menschen werden unsere Amtszeiten als Präsidenten genau prüfen", schreibt der iranische Präsident weiter an Bush. „Haben wir es geschafft, dem Volk Frieden, Sicherheit und Wohlstand zu bringen, oder Unsicherheit und Arbeitslosigkeit?“ Habe man sich die Gerechtigkeit zum Ziel gemacht oder habe man nur Interessenverbände unterstützt, fragt Ahmadinedschad. Habe man einige wenige Menschen reich und mächtig gemacht, in dem man viele gezwungen habe, in Armut und Not zu leben? Der Liberalismus und die Demokratie jedenfalls seien nicht in der Lage gewesen, die Ideale der Menschheit zu verwirklichen.
Allgemein fordert Ahmadinedschad, dass gemeinsame religiöse Werte das politische Leben bestimmen müssten. Er scheint Parallelen zu ziehen zwischen dem US-geführten Einmarsch in den Irak 2003 und US-Drohungen gegen den Iran. Wissenschaftliche Forschung sei "eines der Grundrechte von Staaten", heißt es zudem.
"Mir ist gesagt worden, dass Ihre Exzellenz Bush den Lehren Jesu folgt und an das göttliche Versprechen einer Herrschaft der Gerechten auf Erden glaubt", so Ahmadinedschad. "Wir sehen mehr und mehr, dass die Menschen in der ganzen Welt zu einem zentralen Punkt zusammenströmen - das ist der allmächtige Gott", heißt es weiter. "Meine Frage an Sie lautet, 'Wollen Sie sich ihnen nicht anschließen?'"
"Weiteres taktisches Meisterstück"
Das US-Präsidialamt hatte den Brief am Montag erhalten, jedoch zunächst nicht veröffentlicht. In US-Kreisen zeigte man sich skeptisch und sprach von einem Ablenkungsmanöver. Ein europäischer Diplomat, der namentlich nicht genannt werden wollte, sprach dagegen von einem "weiteren taktischen Meisterstück", das Vertreter der US-Regierung "sehr nervös" gemacht habe.
Der Iran steht unter internationalem Druck, seine Uran-Anreicherung aufzugeben. Mehrere westliche Staaten befürchten, dass das Land insgeheim an Atomwaffen arbeitet. Der Iran hat dies zurückgewiesen und erklärt, sein Atomprogramm diene nur friedlichen Zielen. Zurzeit tagt der UN-Sicherheitsrat, um mögliche Sanktionen gegen das Land zu beschließen.