In Strafhaft gestorben Kremlkritiker Alexej Nawalny ist laut russischen Behörden tot

Der Ausweis, den Alexej Nawalny im Straflager tragen muss 
Der Ausweis, den Alexej Nawalny im Straflager tragen muss 
© Screenshot Instagram Alexej Nawalny
Sehen Sie im Video: Russische Justiz – Kremlkritiker Nawalny in Haft gestorben.
 
 
 
 
Der führende russische Oppositionspolitiker Alexej Nawalny ist nach Angaben der Justiz in Haft gestorben. Das teilte die Gefängnisverwaltung mit, wie die staatliche Agentur Tass meldete. Der 47-Jährige solll am Freitag nach einem Spaziergang in seiner sibirischen Strafkolonie zusammengebrochen sein. Wiederbelebungsversuche von Sanitätern hätten keinen Erfolg gehabt. Nawalnys Team erklärte, es habe bislang keine Bestätigung über den Tod des Oppositionellen erhalten. Nawalny ist unter anderem wegen angeblichem «Extremismus» zu insgesamt 19 Jahren Lagerhaft verurteilt worden. International jedoch wird der Politiker, der 2020 nur knapp einen Mordanschlag mit dem Nervengift Nowitschok überlebte, als politischer Gefangener eingestuft. Menschenrechtsorganisationen forderten seit langem Nawalnys Freilassung.
Im Dezember war Alexej Nawalny in ein Straflager hinter dem Polarkreis verlegt worden. Nun hat die Gefängnisverwaltung bekanntgegeben, dass der Putin-Kritiker in Haft gestorben ist. Nawalnys Team hat laut seiner Sprecherin noch keine eigene Todesbestätigung.

Alexej Nawalny hat seinen unerschrockenen Kampf gegen Russlands Präsidenten Wladimir Putin wie viele prominente Kremlkritiker vor ihm mit dem Leben bezahlt. Der berühmteste politische Gefangene des Landes starb am Freitag im Alter von 47 Jahren nach Angaben der Justiz in seiner sibirischen Strafkolonie. Er sei nach einem Spaziergang zusammengebrochen, Wiederbelebungsversuche hätten keinen Erfolg gehabt, hieß es.

Das Team des inhaftierten Oppositionspolitikers hat nach eigenen Angaben noch keine direkte Bestätigung seines Todes erhalten. Das schrieb seine Sprecherin Kira Jarmysch am Freitag im Portal X (früher Twitter). Bislang gebe es nur die allgemeine Mitteilung des Justizvollzugssystems im Autonomen Kreis der Jamal-Nenzen über den Tod Nawalnys im Straflager, sagte sie. Nawalnys Anwalt sei unterwegs in das Lager IK-3 in dem Ort Charp nördlich des Polarkreises. "Sowie wir Informationen haben, werden wir berichten", schrieb Jarmysch.

Immer wieder hatte der Familienvater fehlende medizinische Hilfe, Schikane und sogar Folter im Straflager beklagt. Bis zuletzt zeigte sich der abgemagerte und sichtlich geschwächte Politiker aber etwa bei Auftritten bei Gerichtsverhandlungen entschlossen in seinem Ziel, ein "Russland ohne Putin" erreichen zu können.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) äußerte sich erschüttert über die Todesnachricht. Der Kreml-Kritiker habe seinen Mut offenbar "bezahlt mit seinem Leben", sagte Scholz am Freitag in Berlin.

Alexej Nawalny kämpfte gegen Korruption

Vor allem mit seinem Kampf gegen Korruption im Machtapparat unter Putin machte sich der Jurist viele Feinde. Nawalnys Anti-Korruptions-Fonds baute in vielen Teilen des Riesenreichs jahrelang eigene Strukturen auf. Als sie zunehmend auch politisch an Einfluss gewannen und Nawalnys Leute gewählt wurden, ließ die Führung in Moskau das Netzwerk zerschlagen und als "extremistisch" verbieten. Führende Köpfe von Nawalnys Team flohen ins Ausland. Aus dem Exil heraus setzten sie den Kampf gegen die aus ihrer Sicht durch und durch kriminellen und mafiösen Machtstrukturen fort. Nawalny aber blieb. Nun muss sein Team ohne die Galionsfigur Nawalny auskommen.

Aus dem Straflager heraus prangerte der Politiker seit Beginn von Putins Überfall auf die Ukraine am 24. Februar 2022 als scharfer Gegner der Invasion nicht nur immer wieder russische Kriegsverbrechen an. Der charismatische Politiker mit den blauen Augen, der gern selbst Präsident geworden wäre, warnte vor allem vor einer Wiederwahl Putins in diesem Jahr. Der Kremlchef, der das Land seit fast einem Vierteljahrhundert führt, steuere Russland ins Verderben, mahnte Nawalny.

Seinem Kampf gegen das System wollte er sich im Land selbst und nicht aus dem Ausland heraus stellen. Dazu stand Nawalny, dafür schätzten ihn auch seine Familie und Freunde. Auch deshalb kehrte er im Januar 2021 aus Deutschland, wo er sich von einem Mordanschlag mit dem Nervengift Nowitschok in der Berliner Charité hatte behandeln lassen, nach Russland zurück – obwohl ihm Haft drohte. Im selben Jahr erhielt er auch den Sacharow-Preis des Europaparlaments für geistige Freiheit, den seine Tochter Dascha entgegennahm.

Haft in einem der entferntesten Straflager Russlands

Trotz der Inhaftierung gelang es Nawalny bis zuletzt, sich aus dem Straflager 6 in Melechowo nahe der Stadt Kowrow etwa 260 Kilometer nordöstlich von Moskau mit Mut machenden und oft humorvollen Texten an die Öffentlichkeit zu wenden. Auf 19 Jahre Haft insgesamt war die Strafe beim letzten Gerichtsverfahren erhöht worden, das wie alle anderen vorher als politisch inszeniert galt. Weitere Prozesse drohten. Seine Auftritte bei Gerichtsverfahren aber lösten immer wieder Entsetzen aus, weil ihm Schwächung und körperlicher Verfall zunehmend anzusehen waren.

Ärzte appellierten an Putin, er möge als Garant der Verfassung Nawalnys Recht auf ärztliche Behandlung sicherstellen. Auch Nawalnys Ehefrau Julia hatte dem Strafvollzug geschrieben und gefragt, ob dort überhaupt noch Menschen arbeiteten. Sie beklagte im vergangenen Jahr einmal, dass sie schon fast ein Jahr nicht mehr mit ihrem Mann habe telefonieren dürfen. "Briefe sind unser letztes Mittel der Verbindung." Doch zuletzt seien weder Briefe von Nawalny noch Schriftstücke an ihn zugestellt worden, sagte seine Sprecherin Kira Jarmysch Anfang Dezember.

Seine Frau Julia und ihre beiden Kinder waren in steter Angst um Nawalnys Leben, seit er im August 2020 nur knapp das Attentat mit dem chemischen Kampfstoff Nowitschok überlebte. Nawalny hatte Putin als "Mörder" bezeichnet, der ein Killerkommando des Inlandsgeheimdienstes FSB damit beauftragt habe. Der Kreml wies das stets zurück.

Nawalnys Team warf dem Kreml immer wieder vor, weiter alles dafür zu tun, um Putins wichtigsten Gegner auszuschalten. Die Warnungen blieben ungehört. Lange war die Hoffnung der russischen Opposition groß, dass Putin in seinem Krieg gegen die Ukraine eine Niederlage erleidet und abtreten muss. Doch seit Monaten sieht sich der 71-Jährige auf der Siegerspur.

Russlands liberale Opposition dürfte den Widerstand im Untergrund im In- und Ausland weiter organisieren. Millionen folgen in den sozialen Netzwerken Nawalnys Team, das auch aktuelle politische Nachrichtensendungen, Kommentare und Talkrunden bei Youtube bringt. Dort hatte zuletzt mit Blick auf die Präsidentenwahl die Kampagne "Russland ohne Putin" begonnen. Nawalny hatte dazu aufgerufen, für einen beliebigen Kandidaten zu stimmen – nur nicht für Putin.

Hinweis: Dieser Artikel wurde mehrfach aktualisiert.

Reuters · DPA · AFP
wue / tis / mkb