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"Anne Will" Missbrauchsgipfel im Vatikan: "Das Fundament der Kirche wackelt"

Diese "Anne Will" Sendung war ungewohnt zurückgenommen und leise.
Diese "Anne Will"-Sendung war ungewohnt zurückgenommen und leise
© Wolfgang Borrs / NDR
Bei "Anne Will" ging es um den Krisengipfel im Vatikan zum sexuellen Missbrauch. Die Erkenntnis: Die katholische Kirche tut sich sehr schwer mit einer echten Aufarbeitung. Es müssen dringend Taten folgen.
Von Andrea Zschocher

Hat die katholische Kirche mit dem dreitägigen Krisengipfel die letzte Chance genutzt, um ihre Glaubwürdigkeit wiederherzustellen? Bei "Anne Will" sollte vor allem die Frage im Vordergrund stehen, wie entschlossen die Kirche gegen Missbrauch kämpft. Bereits in den ersten Sendeminuten wurde klar: Nicht entschlossen genug. Bischof Stephan Ackermann erklärte, dass der Papst seiner Meinung nach zwar mit "starken Worten" deutlich gemacht hätte, dass Missbrauch in der Kirche keinen Platz haben darf und dieses nun auch in die letzten Winkel der Welt getragen wird, dennoch fehlten den anderen Gästen konkrete Handlungsansätze. Dass Missbrauch von Kindern und Jugendlichen ein Verbrechen ist, das strafrechtlich relevant ist und eben außerhalb der Kirche geahndet werden muss, das sollte eigentlich allen Würdenträgern bereits klar sein.

"Ansammlung von Selbstverständlichkeiten"

Heribert Prantl war ob der "Ansammlung von Selbstverständlichkeiten", die der Papst in seiner Rede aufzählte, erbost. Das "Vertuschen, Verstecken, sich nicht bekennen ist überall Zuhause gewesen." Und dass sich das nun ändern soll, sei kein zufriedenstellendes Ergebnis dieser Konferenz,  sondern schier das Mindestmaß an Anstand. Prantl berichtete aus seiner Zeit bei der Staatsanwaltschaft, als Verfahren gegen Priester wieder eingestellt wurden, weil diese versetzt wurden. Und so an anderer Stelle erneut Kinder und Jugendliche missbrauchen konnten. Eine Ungeheuerlichkeit, die bis heute in Teilen der katholischen Kirche fortbesteht.   

Zu Gast bei "Anne Will" waren:

Agnes Wich, Sozialpädagogin und Betroffene von sexualisierter Gewalt durch einen katholischen Priester

Matthias Katsch, Sprecher der Betroffenenorganisation "Eckiger Tisch" und Betroffener von sexuellen Übergriffen im Berliner Canisius-Kolleg

Heribert Prantl, Journalist und Mitglied der Chefredaktion der "Süddeutschen Zeitung"

Johannes-Wilhelm Rörig, Missbrauchsbeauftragter der Bundesregierung

Bischof Stephan Ackermann, Beauftragter der Deutschen Bischofskonferenz für Fragen des sexuellen Missbrauchs im kirchlichen Bereich und für Fragen des Kinder- und Jugendschutzes

Beim Missbrauch durch Priester in der Katholischen Kirche ist die Dunkelziffer enorm hoch. Viele Opfer schweigen, aus Scham, aus Angst, dass ihnen nicht geglaubt wird. Bei "Anne Will" waren zwei Geschädigte zu Gast, die als Kinder sexuelle Gewalt erfahren haben. Das sollte diese Menschen nicht definieren, und doch wurden beide vor allem mit diesem Fokus vorgestellt. Unangenehm mitanzusehen war vor allem, wie Will dann besonders die Leidensgeschichte von Agnes Wich in den Vordergrund rückte. Es ist selbstverständlich wichtig, Opfern Gehör zu verschaffen, sie ihre Geschichte erzählen zu lassen. Allerdings übernahm dies in beiden Fällen die Moderatorin, sowohl Wich als auch Matthias Katsch äußerten sich nicht zu den Vorfällen. Dieser Voyeurismus war in der Tiefe für die Talkrunde nicht nötig, für die Zuschauer hätte die Information, dass beide sexuelle Gewalt innerhalb der katholischen Kirche erlebt haben, sicherlich genügt. Wich und Katsch haben erst in ihren Vierzigern über die Gewalterfahrungen in der Kindheit gesprochen, was zur Frage führte, ob das deutsche Recht hier nicht auf Verjährung verzichten sollte.

Konkrete Handlungsanweisungen durch die katholische Kirche fehlen

Während Wich erklärte, dass sie mit den Worten von Papst Franziskus zufrieden sei und sie hoffe, dass sich nun wirklich etwas in der Aufarbeitung und Prävention verändern würde, war Katsch pessimistischer. Auch wenn Franziskus der Erste sei, der sich dem Thema öffentlich annehme, ohne konkrete Maßnahmen und Handlungsanweisungen werde auch in der kommenden Zeit kein Missbrauch verhindert werden, werden Opfer weiterhin alleingelassen mit der Täterorganisation. Die Opfervertreter waren auch nicht zum Krisengipfel eingeladen. Bischof Stephan Ackermann warb um Verständnis, dass die Uhren in der katholischen Kirche eben etwas langsamer laufen würden. Eine Ungeheuerlichkeit, denn, so Katsch, "der lange Atmen führt dazu, dass es weitere Opfer gibt". Auch Heribert Prantl echauffierte sich, dass die Kirche wie keine andere Institution moralische Instanz sein möchte und selbst so voller Widersprüche steckt. "Das Fundament der Kirche wackelt, aber man streicht an der Fassade herum", regte sich Prantl auf und forderte, dass die Kirche mit den Staaten zusammenarbeitet und aufhört, die Täter zu schützen.

Weitere Themenpunkte:

  • Fehlende Reformen in der Kirche: Ist das Zölibat noch zeitgemäß? Wird sich die Kirche auch für Frauen in Weiheämter öffnen (Dies schloss Bischof Ackermann aus)
  • Fehlende Aufarbeitung von und mit Geschädigten, besonders mit denen, bei denen die Taten verjährt sind und das eklatante Unrecht anerkennen
  • Archive und Akten öffnen, um so einen Einblick zu bekommen, wie viele Taten vertuscht wurden 
  • Die "Strafvereitelung" (Prantl), durch die Priester für ihre Taten nicht bestraft wurden, muss aufhören, die Kirche muss eng mit den staatlichen Behörden zusammenarbeiten
  • Entschädigungszahlungen für Geschädigte müssen in angemessener Höhe erfolgen

Diese "Anne Will"-Sendung war ungewohnt zurückgenommen und leise. Sie zeigte, dass Glaube etwas zutiefst Privates ist, dass die katholische Kirche aber ihre Machtposition viel zu lange missbraucht hat. Dass Priester tausende Kinder und Jugendliche missbrauchen und straffrei ausgehen, ist ungeheuerlich und muss aufhören. Da reichen die Worte von Papst Franziskus allein bei Weitem nicht aus. Nun müssen schnell auch Taten und konkrete Arbeitsprogramme und verbindliche Leitlinien entwickelt und umgesetzt werden.

tis

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