Andrang aus dem "Armenhaus Europas" Warum Kosovaren nach Deutschland strömen

Ihre Aussichten auf Asyl sind verschwindend gering. Trotzdem ist der Ansturm von Kosovaren auf Deutschland enorm. Warum kommen sie gerade jetzt in Massen? Wie gehen Bund und Länder damit um?

Zu Tausenden kommen Menschen aus dem bitterarmen Kosovo nach Deutschland. Sie hoffen auf ein besseres Leben. Bund und Länder beobachten die Entwicklung mit wachsender Nervosität - und ziehen nun alle möglichen Register.

Wie viele Kosovaren kommen nach Deutschland?

Allein im Januar stellten 3630 Menschen aus dem Kosovo einen Asylantrag in Deutschland. Zum Vergleich: 2014 waren es über das gesamte Jahr verteilt rund 8900. Im vergangenen Jahr kamen vor allem Minderheiten aus dem Balkanstaat, inzwischen kommen breite Bevölkerungsteile. Im Februar stiegen die Zahlen weiter: Seit Jahresbeginn sind etwa 18.000 Kosovaren nach Deutschland eingereist.

Die meisten konnten bisher noch keinen Asylantrag stellen, weil sich das Prozedere wegen des großen Ansturms verzögert. Derzeit werden fast alle Asylanträge von Kosovaren abgelehnt. Denn: Die Behörden sehen sie nicht als politische Verfolgte. Lediglich 0,3 Prozent dürfen bleiben - in der Regel Menschen, die aus gesundheitlichen Gründen nicht abgeschoben werden können.

Warum kommen die Menschen gerade jetzt in Massen?

60 Prozent Jugendarbeitslosigkeit, Gehälter um 300 Euro, Stromsperren, ein kollabiertes Gesundheitssystem, Korruption überall - die wirtschaftliche Lage im Kosovo ist extrem schlecht. Das Land gilt als "Armenhaus Europas". Im vergangenen Juni gaben Parlamentswahlen zunächst Hoffnung. Doch die zerstrittenen Parteien feilschten ein halbes Jahr um eine Regierung.

Ende des Jahres schlossen die beiden großen Parteien PDK und LDK dann eine Koalition, obwohl sie traditionell bis aufs Messer verfeindet sind. Die Bevölkerung interpretierte das als "Pakt zur Aufteilung des Staates". Als erstes erhöhte die Regierung drastisch die Zahl der Minister und Vizeminister, um ihre Parteigänger zu versorgen. Große Teile der Bevölkerung haben nun keine Hoffnung mehr, dass sich die Lage verbessert - und suchen ihr Glück anderswo.

Wie laufen die Fluchtrouten?

Die erste und größte Welle bahnte sich über Serbien den Weg nach Ungarn, dem EU-Staat an der Außengrenze der Europäischen Union. Die Menschen erreichten die serbisch-ungarische Grenze mit Bussen oder privaten Autos, die von Serben organisiert wurden. Dann ging es zu Fuß über die praktisch unbewachte Grenze nach Asotthalom und weiter nach Szeged. Eine zweite Route verläuft über Albanien und Montenegro.

Wie reagiert die Bundesregierung auf den Ansturm?

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge bearbeitet die Asylanträge von Kosovaren vorrangig. Schon nach zwei Wochen soll es eine Entscheidung geben - und nicht wie bisher erst nach mehreren Monaten. Nach dem Willen der Bundesregierung sollen die Asylbewerber aus dem Kosovo erst gar nicht auf die Kommunen verteilt werden, sondern in den Erstaufnahmeeinrichtungen der Länder bleiben und direkt von dort in ihre Heimat zurückgeschickt werden.

Außerdem entsendet die Regierung Bundespolizisten an die serbisch-ungarische Grenze, um dort die massenhaften Einreisen in die EU einzudämmen. Geplant sind auch Polizeistreifen deutscher, österreichischer und ungarischer Beamter auf der Zugstrecke von Budapest über Wien nach München. Die EU-Grenzschutzbehörde Frontex soll ihren Einsatz an der Landgrenze zwischen Serbien und Ungarn ebenfalls verstärken.

Wird das Kosovo bald auch als "sicherer Herkunftsstaat" eingestuft?

Mehrere Unions-Innenminister fordern das - allen voran Bayerns Ressortchef Joachim Herrmann (CSU). Sie argumentieren, die Kosovaren kämen allein aus wirtschaftlichen Gründen nach Deutschland und nicht wegen politischer Verfolgung. Wird ein Land per Gesetz zum "sicheren Herkunftsstaat" erklärt, kann das Bundesamt Asylbewerber von dort in einem vereinfachten Verfahren abweisen.

Seit dem vergangenen November geschieht das mit Anträgen aus den Balkanländern Serbien, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina. Die Zahl der Asylbewerber von dort ist dadurch aber kaum zurückgegangen. Der Nutzen ist fraglich. Die Bundesregierung musste bei der jüngsten Gesetzesverschärfung mit den drei Balkanländern auch starken Widerstand im Bundesrat überwinden. Bei einer Telefonkonferenz an diesem Freitag wollen die Innenministerien von Bund und Ländern ausloten, ob es in der Länderkammer eine Mehrheit dafür gibt, ein weiteres Land auf die Liste zu setzen. Ausgang offen.

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tob/DPA